Goal Attainment Scaling
Goal Attainment Scaling
56 psychiatric patients in day-hospitals and 12 outpatients in psychotherapy have been evaluated by goal-attainment-scaling:
That method itself has been questioned and scrutinized.
 
 

Materialien für eine Kritik der politischen Arbeitspsychiatrie:
Dominiert das Unternehmerinteresse die Forschung ?

Wolfgang Bolm
Unveröffentlichter Entwurf, Berlin 2020
Letzte Korrektur 2023


 

Inhaltsverzeichnis


 

Zusammenfassung
Einführung
Konstante Prävalenz psychischer Störungen?
     Methodische Mängel im Review von Richter et al.
     Methodenprobleme der bundesdeutschen Surveys
     Composite International Diagnostic Interview (CIDI) als Goldstandard?
Arbeitspsychiatrische Streitfragen
     Gefährdungsbeurteilung
     Dornes
     Karrierefragen?
     Der Umgang mit dem individuellen Faktor
     Linden & Co
Ideologiekritik und Sozialstruktur
Kriminalität der Mächtigen
Danksagung
LITERATUR

 


 

Zusammenfassung


 

Machen etwa die zunehmende Arbeitsverdichtung und Verunsicherung durch drohende Arbeitslosigkeit vermehrt seelisch krank ? Wer wollte daran zweifeln, auch wenn selbstverständlich psychische Krankheiten meist aus vielen Teilursachen entstehen ? Doch die zunehmenden Krankschreibungen und Verrentungen werden von Konservativen kleingeredet: Wer die seelischen Krankheiten nicht nur bei denen auszählt, die zum Arzt gehen, sondern Jedermann befragt, findet angeblich unveränderte Häufigkeiten. Aus der Riesengruppe derer, die trotz seelischer Leiden unbehandelt bleiben, gingen heute mehr zum Arzt und würden leichter als seelisch krank erkannt.
Eine gründliche Überprüfung der wissenschaftlichen Grundlagen dieser konservativen Behauptungen deckt jedoch eine erstaunliche Unglaubwürdigkeit ihrer Zahlen auf: Die Wiederholung einer bundesdeutschen Bevölkerungsuntersuchung von 1998 in 2008 leidet an soviel mehr Verweigerern, dass die Ergebnisse nicht mehr unbesehen verallgemeinert werden dürften.
Eine von Konservativen gern angeführte Untersuchung von Richter u.a. will in Fachaufsätzen bis zum Jahre 2008 und erneut 2013 keine Zunahme seelischer Störungen gefunden haben. Ihr Verfahren ist mangelhaft.
Die Bevölkerungsuntersuchungen 1998 und 2008 wurden mit einem als „CIDI“ abgekürzten Leitfaden zur Erstellung computergestützter Diagnosen aus Befragungen durch Laien durchgeführt: CIDI ist stark umstritten und führt zu in sich widersprüchlichen Ergebnissen, die mit ärztlichen Untersuchungen schlecht übereinstimmen.
Seelisch Kranke werden viel umfangreicher mit Arzneimitteln und Psychotherapie versorgt; wenn es trotzdem wenigstens nicht weniger werden, könnte das nicht z.T. am gewachsenen Arbeitsstress liegen ?
Die gesetzlich vorgeschriebene Untersuchung von seelisch gefährlichen Arbeitsbedingungen erfolgt nur an wenigen Arbeitsplätzen; nur bei einem Bruchteil der erfassten Gefahren werden die Maßnahmen dagegen überprüft. Ob die Gefahren beseitigt wurden, wird nicht erfasst, geschweige denn, geahndet.
Die Arbeitsweise einiger konservativer Wissenschaftler wird im Einzelnen untersucht: Wo fragwürdige Wissenschaft aufhört, wo unter der Tarnkappe der Wissenschaft die Verteidigung der Interessen der Reichen anfängt, bleibt meist ungewiss.
Beliebtester Einwand der Konservativen: Nicht der Arbeitsstress macht krank – die schon länger seelisch Kranken kommen nicht mehr mit und schieben ihre persönliche Schwäche z.B. auf den Chef, der zu viel Druck mache. Als ob die seelisch Kranken weniger Recht auf Schutz vor unerträglichem Stress hätten, als die Gesunden.
Aber die Wahrheit über seelisch unerträgliche Arbeitsbedingungen wird z.T. offen als Lüge verteufelt. Der Stress erwächst auch aus den Grundlagen des Kapitalismus, dem Zwang zur Leistungssteigerung ohne Ende, dem Abbau von Schutzrechten der Arbeitenden, der Begünstigung von Wirtschaftsstraftaten etc.. All dies unter den wachsamen Augen von Wissenschaftlern, die sich meistens damit arrangiert haben, dass Geld die Welt regiert und für die überwiegend gilt: Wes Brot ich ess‘, des Lied ich sing‘.

 


 

Einführung


 

Vorweg muss ich betonen, dass der folgende Text nicht behaupten soll, ich hätte in meiner Zeit als leitender Arzt einen nennenswerten Beitrag zur Verringerung des Arbeitsstress‘ meiner Mitarbeiter zustande gebracht oder meine bescheidenen Beiträge zur Arbeitspsychiatrie qualifizierten mich zum Beckmesser über andere Forscher. In der Geschichte der Psychiatrie gibt es Beispiele großer Hellsichtigkeit für die beruflichen Ursachen seelischer Störungen:
Esquirol hatte schon 1816 bemerkt, die „Häufigkeit der Geisteskrankheit steht mit den Berufen, die den Menschen von sozialen Erschütterungen abhängig machen, im Verhältniß“. Als Beispiele nennt er u.a. „Militairpersonen, deren Laufbahn vom Glücke abhängt, Kaufleute, besonders die, welche gewagte Speculationen unternehmen, Beamte, deren Existenz von dem Willen ihres Chefs abhängt...“Allerdings führt seine Statistik (S. 50) nur 3 Fälle mit „Änderung des Standes“ von insgesamt 264 bzw 200 Krankenhausbehandelten auf , aber 10 bzw 14 mit der angenommenen Krankheitsursache „Masturbation“ !
Die Freude an der historischen Kontinuität meines Themas bleibt auch nicht ungetrübt bei Hellpach, der 1906 in einer Nebenbemerkung „eine der wichtigsten Ursachen chronischer nervöser Erschöpfung“ ganz selbstverständlich gegeben sieht “in der Widerwilligkeit der Berufsausübung [d.h. Unfreiwilligkeit, W.B.], in der Überanstrengung durch Fremde – den Brotherrn, den Vorgesetzten – oder durch zwingende Motive – Erhaltung der Familie, Sorge für die Zukunft, sozialer Ehrgeiz...“. Aber an seinen „Berufspsychosen“ beeindruckt doch zuerst die Vergänglichkeit der Fachsprache ( er verwirft den Cäsarenwahn und den „Apothekerklaps“ führt aber hysteriforme Erkrankungen bei Schauspielern, eine Art dissoziale Persönlichkeitsentwicklung bei Sammlern und die Hypochondie der Ärzte auf).
Milieutheoretische Ansätze in der psychiatrischen Ursachenlehre sind in den letzten Jahrzehnten weitgehend verdrängt worden durch einen Biologismus, der von machtvollen Interessengruppen beherrscht wird (Weinmann, 2019).
Halliday leitete 1948 den Zusammenhang von psychischer Verelendung, Wirtschaftskrise und kapitalistischer Entwicklung (die er so nicht beim Namen nennt) am Beispiel der Krise der britischen Bergleute nach Mechanisierung ihrer Arbeit in qualitativ absolut überzeugenden Passagen ab; so zitiert er einen Kollegen über die Hauptursache der Unzufriedenheit der Bergleute „ ...they were being driven much harder because they had to keep up with the machinery.“ (a.a.O. S. 185 f.) Besonders i.R. der Massenarbeitslosigkeit in Schottland 1930-35 mit sinkenden Löhnen sei die Rate psychosomatischer Erkrankungen erheblich angestiegen, (Gastritis 120%, „nervous debility“ 100% etc.), eins der vielen Symptome einer Desintegration der Gemeinschaften der Bergarbeiter. Jedoch sei auf den a.u.- Bescheinigungen als Diagnose nicht direkt Neurose oder Neurasthenie angegeben worden, vielmehr „the nature of the illness was often disguised by terms such as „debility“, „anemia“, „gastritis“,“rheumatism“ (a.a.O. S. 62). Wie täuschungsanfällig die Rückübersetzung solcher diagnostischen Konventionen geraten muss, bleibt offen.
Diese ganzheitliche, historische und tiefenpsychologische Ätiologie ist aber insgesamt so beeindruckend dargestellt, einschließlich ausdrücklicher, wiederkehrender Hinweise auf den sekundären Krankheitsgewinn (sic ! ), dass sie im Reader von Mitscherlich et al. 1967 in ganzer Breite nachgedruckt wird; dennoch lässt das Original bei den statistischen Belegen arg viel zu wünschen übrig. Nach der Entdeckung von helicobacter pylori überzeugen heute das Ulkusleiden als psychosomatische Kardinalstörung ebensowenig wie die Frauenemanzipation oder die nachlassende Fertilität als Zeichen einer „sick society“. Interessanterweise stellt Halliday seiner Arbeit als Motto ein Zitat aus einem Roman des schottischen Autors Neil M. Gunn voraus (The serpent, 1943): „Every personal problem is more than a personal problem; it is a communal one.“ „I never rightly understood – about that.“ murmured the shepherd. „Who does ?“ replied the philosopher, „after giving more years to it than I can remember, my own thoughts have become a little clear only to myself.“ Das sollte man nicht nur als wundervolles understatement britischen Humors goutieren: Durch das Grenzgebiet zwischen Tiefenpsychologie, Geschichte und Epidemiologie verlaufen doch auch die Schützengräben der tagespolitischen Klassenkämpfe – und stirbt im Krieg die Wahrheit nicht als Erste ?
Seit meinen frühen Jahren als psychiatrischer Assistenzarzt versuchte ich dennoch, die beruflichen (Teil-) Ursachen psychischer Störungen zu verstehen (Bolm 1976, 1980a, b), hoffte auf die zukünftige Entwicklung eines Spezialgebiets „Arbeitspsychiatrie", entsprechend "occupational psychiatry", die sich im englischen Sprachraum etabliert hat. Da ich seit meinem Ruhestand Ende 2012 meine Muße für ein wenig wissenschaftliche Reflektion nutze, könnte die Entfernung vom Alltag der Patientenarbeit die Gültigkeit meiner Ergebnisse einschränken. Voraus sei auch erinnert an die Selbstverständlichkeit, dass seelische Krankheiten sich fast immer aus dem Zusammenwirken einer größeren Zahl von Teilursachen entwickeln (bio-psycho-soziale Multikonditionalität); im Folgenden soll also keinesfalls einer beruflichen Monokausalität das Wort geredet werden. Kürzlich hörte ich von einem kanadischen Epidemiologen Soskolne (2017), der in London in einem Vortrag über ein meinem Thema scheinbar fern liegendes Gebiet, die Toxikologie der Flugzeug-Kabinenluft, moralisch empört einen Überblick über die uralte, dramatische Tendenz zu interessegeleitetem Betrug in der Wissenschaft gab. Di Trocchio (2003) bringt diesen Betrug in einen wissenschaftsgeschicht- lichen Zusammenhang mit der exponentiellen Zunahme der Wissenschaftler und einem relativen Rückgang der Fördermittel, dem System von „publish or perish“ und dem Vorherrschen von Mittelmaß in der Förderbürokratie : „Statt also Anreize für wirklich kreative Forscher zu schaffen, werden systematisch professionelle, aber wenig kreative Wissenschaftler ausgewählt und bevorzugt, von denen man sich mehr erhofft, als sie dann einlösen können. Das ist der Grund, warum sich diese Forscher am Ende manchmal gezwungen sehen, bei einem Betrug Zuflucht zu nehmen...“ (a.a.O. S. 95).

Die adäquate Entschädigung der seelischen Störungen mit beruflicher (Teil-) Ätiologie und deren Prävention wäre vermutlich ein Multimilliarden - Euro-Thema, viel größer als Asbest oder Blei. "Sollte in Vergessenheit geraten sein, mit welchen Manipulationen und PR-Tricks die Pharma-Lobby (Angell, 2010), die Asbest-Lobby (JPC-SE, 2012), die Zigaretten-Lobby, die Zucker-Lobby etc. (Oreskes u. Conway, 2011 , Union of concerned scientists, 2017) die wissenschaftliche Community an der Nase herumgeführt haben - und im Fall der Arbeitspsychiatrie sollen wir weiter das Spiel von Hase und Igel mitmachen ?" (Bolm 2017)
Selbstverständlich will ich damit keineswegs das Gros derjenigen Arbeiten über arbeitstressbedingte psychische Störungen unter Ideologie- oder Korruptionsverdacht stellen, die dem Arbeitsstress eine ätiologische Bedeutung absprechen. Diese Forschung findet aber offensichtlich in einem politisch verminten Gelände statt, dem Klassenkampf von oben:”There’s class warfare, all right, […] but it’s my class, the rich class, that’s making war, and we’re winning.” – Warren Buffet im Interview mit Ben Stein, New York Times, 26. November 2006.
Eine Untersuchung des Zusammenhangs von Arbeitsbedingungen und psychischer Gesundheit unter Außerachtlassung dieser heftigsten historisch gewachsenen Interessenkonflikte gerät natürlich leicht ins Ideologische, in die Vernebelung und damit Stabilisierung sozialer Machtstrukturen.
Insofern gibt es eine politische Arbeitspsychiatrie, die , soweit ich beobachten konnte, überwiegend im Gewand der biederen Empirie auftritt.
Als erster Schritt zu einer späteren politischen Würdigung dieser Positionen soll im Folgenden ihre Methodenkritik stehen, ganz immanent !

Natürlich hat der Streit wissenschaftlicher Meinungen auch seine allzumenschliche Seite: Gemeint ist der „Machiavellismus der Rede“, „die Lehre vom Verfahren der dem Menschen eigentümlichen Rechthaberei“, also Schopenhauers eristische [gr. erizein = streiten] Dialektik (1995).

 


 

Konstante Prävalenz psychischer Störungen?


 

Die sozialkritische Feststellung, die Arbeitsbedingungen trügen zu psychischen Störungen bei, wird vom bürgerlichen Lager gern konterkariert mit dem Hinweis auf gleichbleibende auf die Allgemeinbevölkerung bezogene Einjahres-Prävalenzraten:
Die von Wittchen et al. 2011, Richter u. Berger 2013 oder Jacobi et al. 2014 durchaus benannten vielfältigen Begrenzungen ihrer epidemiologischen Methoden bleiben bei diesen pauschalen Aussagen erstaunlicherweise völlig unberücksichtigt, z.B. in dem offen tendenziösen Essay von Dornes, 2016, oder der ähnlich fragwürdigen, sich als „Wissenschaftliche Standortbestimmung“ aufwertenden Arbeit von Rothe et al. (2017; zur Kritik vgl. Bolm 2018). Die methodischen Grundlagen dieses Schlüsselarguments einer Konstanz der Prävalenzrate psychischer Störungen sollen deshalb hier genauer betrachtet werden:

Jacobi et al. (2013a) beklagen, dass die zwischen 1998 und 2008 von 64% auf 42% (für die neu rekrutierten Befragten) gefallene Responsrate der Felduntersuchungen (Surveys) zu einer Unterschätzung der wirklichen Prävalenz führt - das rund ein Drittel gewachsene Ausmaß dieser Unterschätzung allein könnte m. E. einen nennenswerten Zuwachs psychischer Störungen verbergen ! In Jacobi et al. 2014 werden diese Bedenken zerstreut unter Hinweis auf Galea & Tracey (2007), „ dass es wenig Evidenz dafür gibt, dass diese niedrigeren Teilnahmeraten automatisch mit einem erhöhten Bias verbunden sind.“ (S. 84/85) . Hier stutzt der kritische Leser, haben doch Galea & Tracey in ihrem nichtsystematischen Übersichtsartikel zwar 6 Arbeiten gefunden, die einen geringen Einfluss von höherem Nonresponse auf verschiedene Risikohäufigkeiten belegen (S. 648 zitieren sie jedoch quantitative Daten nur aus einen unveröffentlichten Vortrag), sie hatten zuvor jedoch 15 Arbeiten mit gesteigertem Nonresponse bei psychiatrisch relevanten Minderheiten zitiert, allerdings ohne die Auswirkung dieses Zusammenhangs von z. B. Unterschicht, Stigma, Risikoverhalten einerseits und Nonresponse andererseits auf die Zielvariablen quantitativ auszuführen: Bezüglich der Unterschicht heißt es lediglich „ Commensurate then with the observation that persons with lower socioeconomic status are less likely to participate in epidemiologic studies, study nonparticipants have higher disease and mortality rates, poorer health status, and lower levels of functioning than study participants.” (S. 647) Gar keine Entwarnung jedoch geben diese Autoren für die Unterminierung der Repräsentativität: „Declining participation rates and the growing complexity of reasons for study nonparticipation add unpredictability about who is choosing to participate in a study an who is not and challenge the ability of these studies to confidently obtain a population-representative sample.“ (S. 648)
Wittchen et al. (2011), die ebenfalls als Kronzeugen für stabile Prävalenzraten psychischer Störungen aufgerufen wurden, befragten zur Validierung ihrer Daten nationale Experten; im ungünstigsten Fall fanden aber z.B. 35% die Alkoholismusraten für ihr Land zu niedrig ,"with a confidence interval of +/- 25%" (S. 659 f). Als „limitations“ führen sie u.a. aus:“For methodological reasons studies typically covered only one diagnosis, or a restricted set of diagnoses, or were very limited to certain age groups. Thus, the calculation of overall rates and extrapolation to broader age ranges are based on potentially imperfect assumptions and should be regarded with caution.“ (S.669) Diese Abhängigkeit der Daten von Wittchen at al (2011) von Schätzungen nennen Richter u. Berger (2013) sogar als ein Motiv für ein Update ihres Reviews über Trenduntersuchungen von psychiatrischen Prävalenzraten von 2008 ! (a.a.O. S. 176).

 


 

Methodische Mängel im Review von Richter et al.


 

Richter et al. (2013) sprechen ihrerseits von "deutlichen Limitationen" ihres Versuchs, aus wiederholten Querschnittstudien die Trends der Prävalenz psychischer Störungen abzuleiten: ..."Die Erhebungszeiträume reichen von 3 –70 Jahre, die Stichprobengrößen von mehreren 100 bis zu über 100 000 pro Messzeitpunkt. Die Instrumente variieren von einer Frage bis hin zu aufwendigen Testbatterien. IN NACHFOLGENDEN SYSTEMATISCHEN REVIEWS ZU DIESER THEMATIK SOLLTE DIE QUALITÄT DER ARBEITEN BEWERTET WERDEN (Hervorhebung: W.B.)". Weiter bemängelten sie schon in der Vorläuferstudie von 2008, es “finden sich in unseren Ergebnissen auch Publikationen, bei denen die Datenerhebung in drei aufeinanderfolgenden Jahren stattgefunden hat .“ Ich finde 4 Studien mit 3 oder weniger Jahren Abstand der Messpunkte, alle ohne Zunahme der Prävalenz.
In der Studie 2013 wird dieses Problem des ausreichend großen Abstands der Messzeitpunkte nicht wirklich problematisiert, obwohl 5 der 33 Studien nur 4 oder weniger Jahre Distanz haben.
Die größte Studie mit „unveränderten“ Häufigkeiten selbstberichteter Depressivität von Talala et al. (2009) mit über 71000 Befragten gibt Anlass zu Zweifeln: Die Autoren stellen selbst Limitationen fest: Zur abfallenden Responserate von über 80% auf 65 % im Langzeitverlauf : „ Lower response rates in the lower socio-economic groups may signify that the true socio-economic differences in self-reported depression are even wider than observed in this study“.
Dass sie nur über einen Indikator berichten können (in den letzten 30 Tagen Depression ?) weckt zurecht Zweifel : „However, one has to remember that it is not a measure of clinical depression, but may cover a wide range of meanings from the temporary decrease of mood to deeply impaired, even life-threatening disorders. One main limitation of this study was that the present general health surveys included only one question on depression „ (S. 875). Dieses einzige item korreliere nur mit bestenfalls r = 0,58 mit einem validierten Maß für Depression/Angst. Auch wenn sich in der langen Serie von Querschnittserhebungen kein Anstieg für „Depression“ fand, bei der Untergruppe mit geringstem Einkommen wird eine odds ratio angegeben (OR > 1 bedeutet erhöhte Chance z.B. für Depression bei dem untersuchten Risiko) von 1.54 für Frauen und 1.81 für Männer im Vergleich der Jahre 1979 mit 2002 (Tab. 2 u.3); bei allen genannten Unsicherheiten - könnte sich hier nicht auch eine Folge der finnischen Rezession seit dem Anfang der 90-iger Jahre zeigen ?
Doch ich kann das Verfahren im Review von Richter & Berger auch in weiteren Details nicht nachvollziehen:
Bei der großen Untergruppe der Depressionen Erwachsener (8 von 33 Studien) stehen entgegen dem Resümee der Autoren lt. Tab 1 sich gleich viele Studien mit Anstiegen wie Abnahmen/Konstanz gegenüber; in der Zusammenfassung der 3 Untersuchungswellen der Studie von Spiers et al.(2012) wird nämlich von Richter & Berger in ihrer Tab. 1 irrtümlich „keine Veränderungen nach einem Anstieg“ resümiert, während das ausweislich der dortigen Angaben nur für die Männer zutrifft: Beide Geschlechter weisen zwischen 1. und 3. Welle eindeutige Anstiege der Depressionswerte auf.
Wenig überzeugend finde ich auch die Zusammenfassung zur Entwicklung der Prävalenzen bei Kindern und Jugendlichen („In 5 Veröffentlichungen wurden keine Veränderungen berichtet, 4 Studien fanden einen Anstieg psychischer Probleme, 1 Studie eine Abnahme.” (S. 177) : Als „keine Veränderung“ wird die Arbeit von Trzesniewski u. Donnellan (2010) gezählt, diese Autoren haben aber gar keine Daten zur Psychopathologie erhoben, dafür u.a. 5 items über Diebstahlsvarianten etc !. In Tab. 1 wird diese Schwäche des Designs mit „diverse Persönlichkeitseigenschaften und psychische Gesundheit“ als Indikator für Psychopathologie m. E. verbrämt: Die Aufrechnung von Persönlichkeitseigenschaften gegen psychische Störungen vergleicht Äpfel mit Birnen !
Im Diskussionsteil von Richter u. Berger (2013) werden frühere Arbeiten von Twenge et al. („Generation Me“, „Narcicissm-Epidemic“) mit einer Reihe von methodenkritischen Referenzen aus einem Themenheft der Zeitschrift „Perspectives on psychological science“ , 2010, 5(I), in den Bereich der Unglaubwürdigkeit gerückt (S. 180). Beim Nachlesen der zitierten Quellen finde ich z.B.: „Twenge (2000) argued that ‘‘The average American child in the 1980s reported more anxiety than child psychiatric patients in the 1950s’’(zit. nach Terracciano 2010). Die hier zitierte Arbeit von Twenge (2010) spricht aber über sog. Trait-anxiety als Persönlichkeitseigenschaft (S. 1017), die über den Vergleich mit einer einzigen Patientenpopulation für klinisch relevant erklärt wird; so bleibt dieses Glied der Argumentationskette über eine evtl. zunehmende Prävalenz psychischer Störungen wirklich fraglich.
Sollte es ein Zufall sein, dass Richter & Berger (2013) ausgerechnet von den Arbeiten, die ein Gleichbleiben oder einen Abfall der psychischen Störungen behaupten, keine einzige methodisch hinterfragen ?
Aber zurück zur einseitigen Kritik an Twenge et al.: Nicht zitiert wird aus den ausführlichen Diskussionen in „Perspectives on psychological science“ , 2010, 5 (I) der australische Autor Eckersley (2010), der gute Argumente für Twenge et al. beisteuert („Youth suicide rates, especially for males, increased between the 1960s and 1990s in many Western nations, tripling or more among males aged 15 to 24 in the U.S., Australia, Canada, and New Zealand … . Although male youth suicide has fallen in all four countries since then, the evidence suggests this is because more young people are seeking and getting help, not that fewer need help.“ An Glaubwürdigkeit gewinnt dieser Autors zudem, wenn er die Frage zulässt:“Is it possible to precisely measure inherently imprecise phenomena, which are both highly subjective and involve multiple entities interacting in often weak, diffuse, and nonlinear ways?“.
In der Diskussion ihres Reviews erwägen Richter u. Berger (2013) als Erklärung der Diskrepanz zwischen öffentlicher Sorge über den Anstieg psychischer Störungen und ihren Daten eine „Psychiatrisierung von Belastungsreaktionen nach kritischen Lebensereignissen wie partnerschaftlichen Trennungen oder Arbeitsplatzverlusten“ ( S. 328): Das verwundert, ist doch die akute Belastungsreaktion eine anerkannte psychische Krankheit (ICD 10 F 43.0). Verrät sich im Diskussionsteil dieser ungeheuer fleißigen, nach größter Objektivität strebenden Arbeit der Zipfel eines vorwissenschaftlichen Motivs ?
Alles in allem finde ich sie nicht überzeugend, die Schlussfolgerung in Richter & Berger 2013 „Die Steigerung der Inanspruchnahme von psychiatrischen Gesundheitsleistungen ist nicht mit einer Zunahme psychischer Probleme oder Störungen in der Bevölkerung assoziiert“.

 


 

Methodenprobleme der bundesdeutschen Surveys


 

Jacobi et al. (2014) benennen als Limitation ihrer Aussage zur annähernden Stabilität der 12-Monatsprävalenzen zwischen 1998 und 2008: „Die Gegenüberstellung mit den Ergebnissen des BGS98 erfolgt unadjustiert, d. h. dieser Vergleich der Gesamtprävalenzen bedarf weiterer Korrektur (u.a. weil sich Diagnosespektrum und Definitionen sich nicht vollständig decken) und kann im vorliegenden Beitrag nur als grober Anhaltspunkt für einen möglichen Trend herangezogen werden“ (S. 79); 2 Seiten weiter heißt es dazu: “Bei derartigen Vergleichen muss jedoch beachtet werden, dass in weiteren Analysen für einen solchen Vergleich noch Anpassungen vorgenommen werden müssen, da sich die einbezogenen Diagnosen, manche diagnostischen Konventionen sowie einige Designfaktoren zwischen BGS98 und DEGS1-MH (2008, W.B.) (soziodemographische Zusammensetzung und Gewichtung) unterscheiden, sodass ein endgültiger und differenzierter Vergleich der beiden Studien noch aussteht.“ Ob der Anteil von 12,5% Telefoninterviews 2008 den Vergleich mit dem 1. bundesdeutschen Survey 1998 erschwert, wird nicht erwogen, obwohl 1998 alle Interviews direkt erfolgten (Wittchen et al. 1998).
Zu diesem Problem bemerken Brandstätter et al. (2017) „There were also alterations in assessment methods which limited the degree of comparability across the two surveys and resulted in the exclusion of specific diagnoses: In GHSMHS (1998, W.B.), illicit substances were subsumed under substance and medication abuse/dependency, but were not assessed at all in DEGS1-MH (2008, W.B.)”. Ob das von ihnen genannte Gewichtungsverfahren eine Vergleichbarkeit der Surveys zwischen 1998 und 2008 gewährleistet, geht für mich aus den spärlichen Hinweisen nicht hervor; für die Prävalenzraten werden jedenfalls keine korrigierten Zahlen vorgestellt.
Zum methodenkritischen ABC gehört der Hinweis, dass schon das statistische 95%-Vertrauensintervall für "irgendeine psychische Störung" im Bundesgesundheitssurvey 1998/99 zwischen 29,7 und 32,6% liegt (Jacobi et al. 2004), diese „Unschärfe“ von 2,9 Prozentpunkten also in einen Vergleich mit der Folgeuntersuchung DEGS-MH einfließt, die ihrerseits ein entsprechendes 95%-Vertrauensintervall von zufällig genau 2,9% hat (Jacobi et al. 2014), so dass die Frage des Vergleich beider Werte mit einem Fehler von 5,8% belastet ist, denn „Veränderungsmaße vereinigen die Messfehler beider Messzeitpunkte in sich und sind somit weniger reliabel als Einzelwerte“ (Stieglitz u. Baumann 2001, S. 23). Genaugenommen gilt diese Aussage für eine Wiederholungsmessung an derselben Gruppe; solche Daten haben Jacobi et al. (2014) aber gar nicht vorgelegt, sodass eine Fehlervarianz aus der geänderten Stichprobe DEGS1-MH in mir unbekannter Höhe hinzugerechnet werden muss.
Jorm & Reavley (2012) hatten im Vergleich von 3 australischen surveys keinen Abfall der kursorisch erhobenen Prävalenz psychischer Beschwerden festgestellt, trotz sehr ausgeprägter Verbesserung der Versorgung. Sie erwägen als eine Erklärung, dass ihre Daten ( N = 1964, 3507 und 5131 in den Jahren 1995, 2003/4 und 2011) nicht genug Power haben, um einen 1%-igen Unterschied in der Prävalenz zu entdecken, für die Entdeckung eines 2%-igen Unterschieds in den beiden bestbesetzten Jahren betrage die Power (Wahrscheinlichkeit der Entdeckung eines wahren Unterschieds, W.B.) nur 81% (a.a.O. S. 355). Jorm & Reavley machen für diese Schwäche ihres Datensatzes neben der Fallzahl auch die aus nur 4 mit Ja/Nein/Unbekannt zu beantwortenden Symptomabfragen bestehende Datenbasis verantwortlich. Wie sähe eine solche Poweranalyse für die bundesdeutschen surveys aus ?
Ohne diese Einschränkungen zu diskutieren oder die fehlende differenzierte Auswertung vorzulegen, fassen Jacobi u. Linden (2018) holzschnittartig zusammen, es sei “keine Zunahme der WAHREN (Hervorhebung: W.B.) Prävalenz in den letzten Dekaden zu verzeichnen”, in einer Zwischenüberschrift im folgenden Text klingt das geradezu kämpferisch: ”Die beklagte Zunahme psychischer Störungen gibt es nicht.” Das verwundert umso mehr, als Jacobi im gleichen Jahr (Handerer, Thom Jacobi 2018) zwar immer noch nicht die 2014 angekündigte differenzierte Auswertung des Vergleichs der deutschen Surveys vorlegt, aber immerhin eine ansehnliche Zahl von methodischen Relativierungen:
- die behauptete Verbesserung von Validität und Reliabilität des DSM sei fraglich (S. 163)
- die Datenlage zu zeitlichen Trends von Depressionsdiagnosen in Feldstudien sei widersprüchlich: 9 Studie hätten eine Zunahme verzeichnet, 5 eine Konstanz, oder wenigstens eine Stagnation nach länger zurückliegendem Anstieg (4 Studien).
- die Selektion der Studienpopulationen liefere tendenziell konservative Ergebnisse, die sinkende Teilnahmebereitschaft komme dazu, so “könnte die Häufigkeit von Depressionen anhand der Feldstudien unterschätzt werden, möglicherweise über die Jahre sogar zunehmend”. (S. 188)
- eindeutige Schlüsse über die wahre Entwicklung der Depressionsprävalenz werde erschwert durch unterschiedliche Krankheitsbilder bei Alten und Jungen, Männern und Frauen und die Verzerung durch Erinnerungseffekte (S. 188 f)
- die massiv gesteigerten Behandlungsangebote könnten einen Anstieg der Prävalenz maskieren (S. 192 ff).

 


 

Composite International Diagnostic Interview (CIDI) als Goldstandard?


 

Die Gütewerte des im Bundesgesundheitssurvey 1998 und der Folgestudie DEGS1-MH verwendeten Interviewleitfadens (Composite International Diagnostic Interview, CIDI) erreichen im schlechtesten Diagnosebereich für die Re-Test-Reliabilität nur einen Kappa-Wert von 0.49, die Validität der Schizophrenie-Diagnosen im Vergleich zu klinisch-psychiatrischen Konsensusdiagnosen bildet mit sogar nur 0,39 das Schlusslicht (Wittchen et al. 1998). Diese Art Messfehler vergrößern die Ungenauigkeit beim Vergleich der bundesdeutschen Bevölkerungsstichproben 1998 und 2008 weiter.
Nach einer gnadenlosen Abrechnung mit einer Kritikerin offenbart das Fazit der CIDI-Vorkämpfer deren ganzes Dilemma (Knappe et al. 2008) “In einer kaum überschaubaren Anzahl von Studien der letzten 20 Jahren hat sich das CIDI als reliables und in Hinblick auf Außenkriterien relativ valides Diagnostikum bewährt. Dabei ist das Ausmaß der Reliabilität und Validität keineswegs befriedigend, im Vergleich zu allen Alternativen wird das CIDI manchmal auch als Einäugiges unter Blinden eingeordnet.“ Diese „Einäugigkeit“ des CIDI muss weiter beleuchtet werden:
- Keine Erfassung von Anpassungsstörungen (Hund et al. 2013), was für den hier speziell interessierenden Bereich der Folgen von Arbeitsstress sozusagen einen blinden Fleck bedingt.
- Kulturelle Einengung auf den angloamerikanischen Sprachraum, wodurch die recht große Population mit Migrationshintergrund unterbelichtet bleibt (Rosenman 2012), die überdies bei der Arbeit den ausgeprägtesten Mehrfachbelastungen exponiert ist. Mit einer Lebenszeitprävalenz irgendeiner psychischen Störung von 79% bei Türken , der Vergleichswert der deutschen Allgemeinbevölkerung wird mit 43% benannt ( Dingoyan et al. 2017), wäre das keine Kleinigkeit, wenn die nicht- repräsentative Studie bestätigt würde.
- Im Vergleich mit 68 klinischen Patienten, deren Ärzte nach DSM-IV unter Verwendung aller Informationen aus Vorgeschichte und Fremdanamnese urteilten (LEAD, der Goldstandard) würde CIDI Psychosen, Dysthymie, Panik & Agoraphobie, Phobie & somatoforme Störungen beträchtlich überdiagnostizieren (Reed et al. 1998): 334 Lifetime-Diagnosen von CIDI gegenüber 168 der Kliniker – das relativiert die vielen lobenden Worte über die Validität von CIDI stark.
- CIDI liefert im Vergleich mit Arztdiagnosen zweifelhafte Werte für Depression: Nach Maske et al. (2017) wurde bei den Befragten, die im Vorjahr von einem Arzt die Diagnose Depression erhalten hatten, diese bei den 18-29- Jährigen in 63% durch CIDI bestätigt, bei den 65-79- Jährigen jedoch nur in sage und schreibe 30% ! Die AutorInnen diskutieren u.a. folgende Erklärungen: „... underreporting of depressive symptoms by older participants in the CIDI due to its complex questioning and its multiple time frames [35] and due to problems recalling the symptoms are possible methodological explanations. Research has suggested that older adults more frequently show clinically significant depressive symptoms without fulfilling all diagnostic criteria [36]. In this context, our finding could at least partly be explained by the fact that the depression diagnosis based on the CIDI might exclude older people due to the diagnostic algorithm who might have reported significant symptoms to the health professional, resulting in a depression diagnosis.“ Sind da nicht schwerwiegende Probleme der Validität des CIDI angesprochen ?
- Das Ausmass der möglichen Fehleinschätzung der Prävalenzrate psychischer Störungen bei Älteren durch CIDI zeigen Asselmann et al. (2018, Tab. 3): Die Lebenszeitprävalenz irgendeiner psychischen Störung in Nordostdeutschland liegt in der Altersklasse der 29-44 – jährigen bei 61,7 %, bei den 60-74-jährigen bei 49,3% und fällt im höheren Alter noch drastischer auf 32,0% ab .
- Haro et al. (2006) verglichen die modifizierte CIDI3.0-Version der WHO mit einem nachgeschalteten Rating durch „clinical interviewers“ (SKID) . Bei den Lebenszeit-Diagnosen lag der mittlere Prozentsatz korrekt durch CIDI klassifizierter SKID-Fälle (Sensitivität) bei 63% für irgendeine psychiatrische Diagnose, für PTSD nur bei 38%, soziale Phobie 37% und Drogenabhängigkeit mit Abusus 25% ! Ein Grossteil der SKID-Interviews waren telefonisch, angeblich seien Telefoninterviews in mehreren Studien als valide befunden worden. Die SKID-Interviewer waren zwar für die CIDI-Diagnosen „verblindet“, die Antworten auf die CIDI-“Stammfragen“ sollten sie aber verwenden, um einer „Ermüdung“ der Befragten beim Zweitinterview vorzubeugen. Wird so eine unabhängige Überprüfung von CIDI durch SKID nicht vereitelt? Dieser Einwand bedeutet, dass die bereits geringe Sensitivität von CIDI womöglich eher überschätzt wird !
- CIDI stimmt schlecht mit dem Goldstandard des halbstandardisierten Experteninterviews überein (Brugha et al. 2001: CIDI überbewertet die Prävalenz von Depressionen / Angststörungen auf 9.0 statt 6,2%), während die CIDI-Macher den Spiess umgedreht hatten: Vor den Psychiatern verheimlichten die männlichen Patienten mit niedrigem Einkommen aus ethnischen Minderheiten ihre Störungen eher als gegenüber den ihre Fragen ablesenden Laien-Interviewern (CIDI) mit dem Ergebnis signifikant niedrigerer Prävalenzen; diese mangelnde Reliabilität der Experteninterviews verbiete es, CIDI daran zu eichen (Wittchen et al. 1999). Allerdings überzeugt dieses Argument wenig, wenn die angegebene Quelle (Riessman 1979 statt irrtümlich angegeben 1977) explizit nicht über Diagnose-Prävalenzen, sondern über die Mittelwerte zweier von 14 Symptomskalen (anscheinend ohne Bonferroni-Korrektur für mehrfaches Testen) und die Autorin wirklich sehr viele methodische Schwächen der Studie nennt, v.a. mit 6 Männern und 15 Frauen in den kritischen Zellen eine viel zu kleine Fallzahl und wegen vieler drop-outs keinerlei Repräsentativität: „ However, the low completion rate (38-28%, W.B.) severely limits generalizability.“ (a.a.O. S. 486) Besonders irritierend: Die Mehrzahl der Interviews sei von nur drei männlichen Psychiatern durchgeführt worden und wegen methodischer Besonderheiten heißt es im Original „possibly idiosyncratic performance of one psy-chiatrist cannot be explored“. Wie groß muss der Mangel an Argumenten sein, um zu einem solchen Strohhalm zu greifen ?
CIDI - von kurz geschulten Laien erhobenes Futter für Computeralgorithmen - bietet Discounter-Diagnosen (die Riesenfeldstudien der WHO wären mit klinisch geschultem Personal unbezahlbar); das ist die Parthenogenese der Diagnose aus dem Kopf der Methodiker: Die Grundlage der Goldstandards der psychiatrischen Diagnose ist die gelingende Begegnung zweier Menschen im Gespräch , das dazu motiviert, offen auch über Peinliches, schwer Erinnerbares Auskunft zu geben. Die gute diagnostische Praxis verlangt, diese Auskünfte mit dem Bild abzugleichen, das sich aus Fremdanamnese und sämtlichen Vorbehandlungen ergibt (LEAD, s.o., ein Standard, der bei Bevölkerungsstudien nicht anwendbar ist, wodurch diese Daten uneinholbar um Einiges an Validität verlieren ). Vor dem Hintergrund seiner Erfahrung mit Kranken muss nun der Arzt/Psychologe das Leid nach „normal“ oder „krankhaft“ beurteilen, eine Quelle beträchtlicher Unzuverlässigkeit, wie Frances (1998) ausführt: „ (1) the definition of mental disorder in DSM-IV fails to provide a clear boundary between psychopathology and normality; (2) the concepts "clinical significance" and "medical necessity" are difficult to operationalize and to assess reliably; and (3) lay interviewers do not have the experience necessary to judge clinical significance.“
Das führt unvermeidlich zu wechselnden Ergebnissen. Wer mag konstantere Ergebnisse glauben, die den Befragten unter Verhüllung dieser Aufgabe entlockt wurden ? Die technizistische Abtrennung der Diagnose von der Selbsterkenntnis in der hilfreichen Begegnung ist nach meiner Berufserfahrung ein Irrweg.
Doch zurück zu Jacobi et al. 2004. Die Differenzierung ihrer Prävalenzen nach dem Geschlecht führt zu 25,3% für Männer und 37,0% für Frauen (also knapp 12% Unterschied): Dieser große Abstand wird nun von den Autoren weiter relativiert: Es"kann vermutet werden, dass ein Teil dieses geschlechts-spezifischen Unterschieds darauf zurückzuführen ist, dass frauentypische Störungen umfassender erfasst wurden" (Jacobi et al. 2004 S. 739). Die Prävalenzwerte der Surveys 1998 und 2008 werden auf eine Stelle nach dem Komma genau angeführt, aber irgendein Teil der genannten knapp 12% Geschlechtsdifferenz könnte aus methodischen Gründen ungültig sein - eine bemerkenswerte Einschränkung der Güte der Zahlen !
In einem Überblick zur psychiatrischen Epidemiologie kritisiert Jablensky (2002): „Since the 1980s, the comparability of clinical diagnostic data has been considerably improved by the introduction of operational diagnostic criteria such as RDC, DSM – III/ IIIR / IV and ICD10. However, there is no conclusive evidence that the increased reliability of diagnoses for clinical and biological research has been paralleled by an equally improved validity of diagnostic classification for epidemiological research.“ (S.301)
Eaton et al. (2007) sehen in ihrem methodenkritischen review, das neben der WHO -Version des CIDI viele andere Verfahren umfasst, die Validität der epidemiologischen Fall-Definitionen als fragwürdig; „Panic disorder, obsessive compulsive disorder, bipolar disorder, and schizophrenia have measurement characteristics that are likely to capture less than one third of the true positives in 25% or more of the studies“( S. 502)
Kurdyak u. Gnam (2005) besprechen 3 Validierungsstudien des Depressions-Moduls des CIDI mit dem ernüchternden Ergebnis, dass wegen fehlender Validierung in Feldstudien die falsch positiven Diagnosen viel zu hoch ausfallen dürften.
Auch Linden et al. (1996) stellten in ihrer Hausarztstudie eine „mangelnde Übereinstimmung zwischen dem Arzturteil und der ICD-10-Klassifizierung“ fest, nur 46,4% der vom Allgemeinarzt als psychisch krank Beurteilten erhielten nach dem CIDI-Interview eine ICD-10 – Diagnose für psychische Störungen, der größte Teil blieb als unterschwellig verkannt. Diese psychiatrischen Universitätskliniken in Berlin und Mainz kamen nicht auf die Idee, die CIDI-Diagnosen als Goldstandard zu feiern !
Ganz anders liest sich das in der Hausarztstudie von Jacobi et al. (2002), die allerdings nur einen auf dem CIDI aufbauenden Depressionsfragebogen mit 12 Fragen verwendete: Hiernach wurden 11,1 oder 4,2 % als depressiv diagnostiziert, je nachdem, ob 5 Symptome oder 2 Leitsymptome der Depression und 2 Zusatzsymptome als Kriterium angelegt werden. Beim Vergleich dieser aus Patientenfragebögen abgeleiteten Diagnosen mit denen der Hausärzte bekamen 32,7% der nach Fragebogen ohne Depression Befundeten vom Hausarzt eine unterschwellige oder sichere Depression attestiert ! In der Diskussion dieses beachtlichen Unterschiedes wird zwar auch erwogen, dass die Hausärzte ihre Kranken lange kennen und aus Frühwarnzeichen (die dem Fragebogen verborgen bleiben) eine sich evtl. erneut anbahnende Depression richtiger feststellen; es wird auch bedacht, dass vermutlich die Hausärzte gehäuft Grenzfälle der Depression sehen - aber zusammenfassend beklagen die Forscher zu viel "falsch positive" Depressionsdiagnosen (der Hausärzte- nicht aber ungültige Fragebogen-Diagnosen).

Jeder Psychiater hat schon aus seiner Weiterbildung die lebhaftesten Beispiele vor Augen, dass ein Patient in der Exploration unter 4 Augen seine Geschichte dramatisch anders erzählt hat, als bei der Nachexploration durch den Oberarzt, die Kontrollanalytikerin oder gar im Gespräch mit der Nachtwachenschwester – von den gelegentlich nach außen dringenden Geständnissen gegenüber Mitpatienten oder den überraschenden Mitteilungen in der letzten Stunde einer Langzeittherapie ganz zu schweigen. Diese weitgehende Abhängigkeit des psychischen „Befundes“ vom zwischenmenschliche Kontext wird von den Befürwortern der strukturierten Diagnostik und der Bewertung von deren Symptomen mittels Algorithmen ignoriert.

In dieser Hausarztstudie sind bei einer Untergruppe 33% der Prävalenz strittig - aber wenn bei der Wiederholung der bundesweiten surveys nach vielen Jahren keine Zunahme auf die Stelle nach dem Komma "bewiesen" wird - dann werden die Größenordnungen der berechtigten Zweifel an den Zahlen verschwiegen. Wem könnte das nutzen ? (Cui bono ?)
Ganz ähnlich spricht auch Mojtabai (2013) davon, die Kliniker überdiagnostizierten Depressionen; er fasst seine Daten aus den USA zusammen: Nur 38% (bei den über 65-Jährigen sogar nur 14%) derer, die angaben vom Arzt oder „medical professional“ für depressiv erklärt worden zu sein, wiesen im modifizierten CIDI eine Depression auf. Nach einer erklecklichen Liste von Limitationen folgt der Literatur-Hinweis „lay-administered structured interviews for depressive disorders had sensitivities in the 67–69% range when compared against the gold standard of clinician-administered semi-stuctured interviews.“ Das bedeutet ja nichts anderes, als CIDI diagnostiziert von 100 tatsächlich Depressiven nur 68.
Mauz u. Jacobi haben 2008 eine vertiefte Analyse des Zusatzsurveys Psychische Störungen des Bundesgesundheitssurveys 1998 berichtet: Weil ihre Berechnungen für die jüngste Alterskohorte der Männer ein 12-fach höheres Depressionsrisiko als bei der ältesten Kohorte auswies und ihnen das "unrealistisch" erschien, diskutierten sie als Erklärung Erinnerungsfehler der Alten und eine größere Offenheit gegenüber psychischen Symptomen bei den Jüngeren. Unrealistische Zahlen in einzelnen Zellen bis zum 12-fachen, aber bei Wiederholungsuntersuchungen solcher Surveys darf eine Konstanz der Erkrankungsrate Gültigkeit beanspruchen ?
Eine Geburtskohortenstudie in Neuseeland liefert sogar Hinweise auf eine viel ausgeprägtere Unterschätzung - allerdings von Lebenszeitprävalenzen (Mofitt et al. 2010). In dieser Studie war die prospektiv erhobene Lebenszeitprävalenz von DSM - Diagnosen bei 32-Jährigen doppelt so hoch wie die retrospektiv ermittelte Lebenszeitprävalenz.
Ich würde mich sehr wundern, wenn säkulare Prävalenzunterschiede von +/- 5% im Rauschen epidemiologischer Methoden nicht unbemerkt untergehen könnten. Wer die gestiegenen Behandlungs- und Berentungszahlen gestresster Berufstätiger mit dem Hinweis auf die „konstante Prävalenz“ psychischer Störungen in der Allgemeinbevölkerung relativiert, ohne die erstaunlich tönernen Füße dieser Daten zu erwähnen, lässt Grundregeln des wissenschaftlichen Argumentierens außer Acht. Das gilt auch, wenn es anscheinend keine verfügbaren und besseren epidemiologischen Methoden gibt.
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NACHTRAG 3/2023: "Die modernen Klassifikationssysteme seien für ihn in der Abgrenzung zwischen Gesundheit und Krankheit nutzlos. Sie täuschten eine Scheingenauigkeit in der Einordnung von angeblichen und tatsächlichen psychischen Störungen vor und würden dadurch zu Mitteln der Täuschung und Selbsttäuschung zugleich." (G. Kruse in seiner Besprechung von Finzen A: Normalität; Sozialpsychiatrische Informationen 4/2019, 49. Jg. S. 64)
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Arbeitspsychiatrische Streitfragen


 

Anders urteilt die Deutsche Rentenversicherung (2014): Sie hält auch die Prävalenzzahlen für stabil, benennt aber deutlich auch die wirtschaftlichen Kräfte, die Kranke aus dem undiagnostizierten in den diagnostizierten Bereich treiben: „Als ursächlich für die zunehmende Bedeutung psychischer Störungen in Behandlung und Rehabilitation werden die veränderten Arbeits- und Lebensbedingungen angesehen. Als Stressoren aus dem Arbeitsleben gelten z.B. steigende Arbeitslosigkeit, unsichere Arbeitsverhältnisse, Über- und Unterforderung, wachsender Konkurrenzdruck, ständige Erreichbarkeit, erhöhte Anforderungen an Flexibilität und Mobilität sowie schlechtes Betriebsklima. Immer mehr moderne Arbeitsplätze verlangen den psychomental uneingeschränkt leistungsfähigen Beschäftigten. Gefährdungsbeurteilungen im Rahmen des Arbeitsschutzes berücksichtigen psychische Belastungen oft noch nicht ausreichend. Belastungen aus der Gesellschaft betreffen z. B. einen abnehmenden familiären Zusammenhalt und mangelnde soziale Unterstützung, Wegfall bisher funktionierender sozialer Strukturen, Verlust von Solidarität, erhöhte Anforderungen an Sozialkompetenz sowie ökonomische Unsicherheit.
Nach einer 2012 von der OECD veröffentlichten Studie arbeiten Menschen mit psychischen Störungen häufiger auf Arbeitsplätzen mit geringen Qualifikationsanforderungen. Oft bestehen hohe psychische Anforderungen dadurch, dass große Anpassungsleistungen mit einem geringen individuellen Handlungsspielraum kombiniert sind. Menschen mit psychischen Störungen wechseln vermehrt, häufig auch in kurzen Zeitabständen ihren Arbeitsplatz.“ (a. a. O. S. 9)

Die Behauptung einer gleichbleibenden Prävalenz psychischer Störungen ist also nachweislich ungesichert. In den epidemiologischen Studien führt eine Veränderung der Fall-Definition zu grob unterschiedlichen Prävalenzraten, wie Schleim (2018) im Vergleich mehrerer Studien darlegt; ähnlich urteilte schon 1998 Frances. Im Blog des in Groningen lehrenden Psychologen Schleim heißt es dazu weiter: „Die Geschichte von der konstanten Häufigkeit dient dabei vor allem dem Paradigma der biologischen Psychiatrie: Wenn psychische Störungen genetische oder neurobiologische Störungen sind, dann erscheint es logisch, dass es keine große Ab- oder Zunahme gibt. Denn so schnell verändert sich unsere genetisch-körperliche Konstitution bekanntermaßen nicht. Dumm nur, dass man die entsprechenden Gene oder Gehirnzustände trotz mehr als 170-jähriger Suche nicht finden kann.
Die Geschichte dient außerdem konservativen politischen Kräften, die ein ewiges “Weiter so!” predigen und gegen gesellschaftliche Reformen sind. Davon abgesehen werden die Ursachen so im Individuum verortet, nicht in der Gesellschaft.”
Die Über-Betonung der individuellen, genetisch verstandenen Vulnerabilität für die Verursachung seelischer Störungen klingt für den alten Sozialpsychiater wie die Marschmusik des jahrzehntewährenden roll-backs durch die biologische Psychiatrie.
Priebe (2018) spricht in diesem Zusammenhang nüchterner davon, daß "die dominierenden reduktionistischen Forschungsansätze kaum der Vielfalt menschlichen Erlebens, dem biographischen und sozialen Kontext psychischen Leidens und der Komplexität sozialer Prozesse gerecht werden können“.
Wie leicht wäre beim Blick über den Tellerand der eigenen Disziplin bei der Katastrophenforschung eine soziale Dimension der Vulnerabilität kennenzulernen: Lange u. Garrelts (2008) verfolgten dieses Konzept bis in die Mitte der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurück, als ein Erdbeben in Guatemala als "class quake" (a.a.O. S.28) verstanden wurde.
"Über soziale Verwundbarkeit kann bestimmen
• die Verteilung von Einkommen,
• der Zugang zu anderen Ressourcen wie Informationen und Wissen,
• das Geschlecht,
• die ethnische Zugehörigkeit,
• das Altersgruppe, wobei sowohl ganz jung – Kinder - als auch ganz alt Verwundbarkeit ausmachen kann,
• mögliche Behinderungen,
• der Grad an sozialer Einbindung bzw. der Grad an verwundbar machender soziale Exklusion
(Beispiel: BürgerInnen mit illegalem Einwanderungsstatus),
• der Zugang bzw. die Eingebundenheit in Netzwerke (Sozialkapital), was wiederum Einfluss auf den Zugang von Informationen und „Beziehungen“ haben kann." ( S.33)

Ratlos hinterlässt mich eine Besprechung der aktuellen Kritik von Frances an psychiatrischen Diagnosen anlässlich des Erscheinens von DSM-V durch Lehmkuhl (2015), gewiss kein Arbeitgeber-Propagandist: Unter dem wirtschaftlich motivierten Einfluss der Pharma-Industrie seien vermittels aufgeblähter Diagnostik fiktive psychiatrische Epidemien erzeugt worden. Einschränkend will ich vorab einen skeptischen Blick auf zwei wichtige Kritiker des DSM werfen, auf die sich Frances beruft: Kutchins und Kirk (1997) verfolgen die DSM-Entwicklung zu polemisch, konstruktivistisch, fast effekthascherisch, zu fern vom Elend und der Unterminierung der Menschenwürde durch den Krankeitsprozess, um für einen Beitrag zum Wohl der Patienten von Interesse zu sein.
Was könnte Frances DSM-Kritik für mein Thema bedeuten ? DSM-V hätte ja seit 2013 nur den allerneuesten Teil der US-Literatur zu berufsbedingten psychischen Störungen verzerren können; die o.g. Surveys zur Prävalenz in der deutschen Bevölkerung sind nach ICD10/DSM-IV erfolgt. Die Neufassung der ICD11 wird in Deutschland auch mit der Inkraftsetzung durch die WHO 2022 längst noch nicht verbindlich. Wie die kritisierte Senkung der diagnostischen Schwelle selektiv den Beschäftigten an seelisch belastenden Arbeitsplätzen, nicht aber den Privilegierten zu einer psychiatrischen Diagnose verhelfen könnte, bleibt offen. Die steigenden Krankschreibungen und Frühverrentungen wegen psychischer Störungen wären dann z.T. auch fiktiv ?

Nur scheinbar völlig konträr zur o.g. Argumentation einer konstanten Prävalenz psychischer Störungen steht folgende Bemerkung von Jacobi u. Kessler-Scheil (2013) in einem epidemiologische Überblick : "Außerdem fallen die Einschränkungsprofile bei psychischen Störungen in der modernen Arbeitswelt mit ihren vermehrten psychomentalen , emotionalen und kommunikativen Anforderungen besonders ins Gewicht. Personen mit psychischen Vulnerabilitäten oder manifesten Störungen wären in früheren Zeiten, in denen eher körperliche Tätigkeiten im Mittelpunkt standen, noch leichter beruflich unauffällig geblieben, als dies heute der Fall ist" (ähnlich auch Linden 2014, Jacobi und Linden 2017 s.u.). Jacobi u. Kessler-Scheil verweisen auf die säkular massiv gestiegene Prävalenz psychischer Störungen, im Vergleich zu Zeiten, als nur ein schmaleres Diagnosespektrum mit ungeeigneteren Methoden erfasst worden sei. Der Kulturschock, dass fast jeder Zweite einmal im Leben eine dieser verpönten Psycho - Diagnosen zu erwarten hat, äußere sich auch in der Unterstellung, es würden Befindlichkeiten medikalisiert.
Sandrock (2015) vom Institut ifaa, getragen von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie, führt gegen die IG-Metall - Initiative zur Antistress-Verordnung ins Feld, die Arbeit werde zu Unrecht häufig pathologisiert. Weil nicht bewiesen sei, dass die modernen Arbeitsformen eine Zunahme psychischer Störungen verursachten, seien zur Prävention keine neuen Regelungen erforderlich. Die Arbeitgeberpresse macht daraus fettgedruckt „Psychische Störungen nehmen faktisch nicht zu...“(Sandrock 2017).
Dieser Argumentationsrahmen blendet die methodische Schwäche des vermeintlichen epidemiologischen Befundes aus und schließt zusätzlich mit der Fokussierung auf die Zunahme psychischer Störungen den Blick auf die pathogenen Verhältnisse im Bestand aus, quantitativ am bedeutendsten dabei vermutlich (bisher habe ich zu dieser Unterscheidung keine Zahlen gefunden !) das durch Arbeitsstress (mit-) bedingte Risiko der Wiedererkrankung ! Beeindruckend, wie erfolgreich dieser rhetorische Kunstgriff auch den Bericht der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zur Standortbestimmung der Arbeitspsychiatrie (Rothe et al. 2017) dominiert - der darüber hinaus m.E. den "healthy- worker-effect" (HWE) nicht genügend würdigt: "Most studies indicate that HWE will reduce the association between exposure and outcome by an average of 20-30% ," so hoch schätzt Shah (2009) die Größenordnung des Phänomens, dass die berufliche Abwanderung der Geschädigten und Gefährdeten aus riskanten Tätigkeiten die Gesünderen zurücklässt, bei denen sich folglich nur noch weniger Gesundheits-Effekte eines Stressors zeigen. Doch wie solide ist eine solche Angabe, über welche Expositionen hinweg ?

Außerdem kann aus der These von der gleichbleibenden Prävalenz der psychischen Störungen nicht auf das Gleichbleiben des psychopathologisch relevanten Stress bei der Arbeit geschlossen werden. Dieser Schluss ist aber auch aus weiteren Gründen unzulässig: - wer die Prävalenz mit Bevölkerungsbefragungen misst, hat den größer werdenden Anteil der wegen Arbeitsstress in Arbeitsunfähigkeit oder Rente Gedrückten doch gar nicht erfragt ! Bei einer fast identischen Prävalenzrate der Schizophrenie hat sich der Anteil der Berufstätigen unter den Schizophrenie- patienten in England in der 2. Hälfte des 20. Jhd. von ca 50% auf nahezu Null verringert ! (Jacobi & Linden 2018).
- es gibt einen relativ kleineren Anteil Bevölkerungsuntersuchungen, die durchaus erhöhte Prävalenzen der psychischen Störungen belegen (Jorm et al. 2017). Diese Autorengruppe sieht in der schlechten Qualität der Psychopharmakotherapie in Australien, England, Canada und den USA den Grund dafür, dass trotz rasantem Anstieg vor allem der Antidepressiva-Verordnungen kein Absinken der Prävalenzzahlen zu beobachten sei. Welche Rolle dabei eine evtl. Maskierung durch gestiegenen beruflichen Stress spielen könnte, haben sie nicht untersucht !

 


 

Gefährdungsbeurteilung


 

Satzer (2014) kritisiert das Kurzverfahren Psychische Belastung (KPP) des Instituts für angewandte Arbeitswissenschaft (ifaa, getragen von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie) als "Alibiverfahren ohne Aussagekraft ", weil es relevante psychosoziale Gefährdungfaktoren wie das Führungsverhalten ausklammere, Gefährdungsfaktoren aus der GDA-Leitlinie wie die Sofwareergonomie nicht erfasse und als Gefährdungsbeurteilung eine "objektive Arbeitsplatzbeobachtung", fakultativ durch die Vorgesetzten, ausreiche. Solche "Pro-Forma-Verfahren zur Gefährdungsbeurteilung" würden regelmäßig in Einigungsstellenverfahren zurückgewiesen. Ob das auch für die neueste Version des KPP gilt, wäre zu prüfen !
Die 2015 gegenüber 2011 fast unverändert geringe Zahl von 52% durchgeführten Gefährdungsbeurteilungen, die nur in 44% psychische Gefährdungen einschlossen, entspricht 23% aller Betriebe (Geschäftsstelle NAK 2018) und dabei ist noch keine Rede davon, ob mit den erkannten Risiken adäquat umgegangen wurde ! Eine regelrechte Gefährdungsbeurteilung garantiert natürlich noch lange keine Beseitigung der Gefahr für die psychische Gesundheit (Bolm 2018), wie auch schon 2017 bei Jürgens et al. nachzulesen ist. Damit fokussiert die Spitze des DGB die Diskussion über mögliche Sanktionen (immerhin bringen sie eine Verlängerung der Lohnfortzahlungspflicht über 6 Wochen hinaus für säumige AG ins Gespräch) – lediglich auf nicht beurteilte statt auf nicht beseitigte Gefährdungen; cui bono ?.
Bei der BAuA (2018) finde ich aktuell die Zahl von 12,9% auf ihre Wirksamkeit überprüfter Maßnahmen zur Behebung von Mängeln, die bei Gefährdungsbeurteilungen festgestellt wurden; von Beseitigung der Mängel ist auch bei dieser Restgröße nicht die Rede: Keins der Praxisbeispiele der BauA (2014) für beispielhafte Gefährdungsbeurteilungen teilt mit, welcher Anteil der erkannten Gefahren bei der Kontrolle erforderlicher Maßnahmen beseitigt wurde.
Beim TÜV bekomme ich meine Plakette nur bei erfolgreich reparierter Bremse, nicht schon bei Überprüfung der Reparaturnotwendigkeit ! Diese abenteuerliche Schlagseite beim Spitzenprojekt der Reform des psychischen Elends in der Arbeit, der Gefährdungsbeurteilung, mag getrost als Beleg für die außerordentliche Dominanz der Arbeitgeber über dieses Bemühen um „Gute Arbeit“ gelten.
Die BAuA- Studie von Rothe et al.(2017) bezweifelt die berufliche Verursachung seelischer Störungen v.a. wegen fehlender Interventionsstudien. Nebenbei: Anlässlich der Gonarthrose diskutiert der Ärztliche Sachverständigenbeirat Sektion “Berufskrankheiten” beim Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung die Beweislage an Hand einer langen Liste von Kriterien für das Vorliegen einer kausalen Beziehung zwischen Exposition und Erkrankung: Erstaunlicherweise lese ich hier (sozusagen ex kathedra) „Interventionsstudien liegen bei den wenigsten Berufskrankheiten vor."(BAuA Berufskrankheiten Merkblätter; ",Wissenschaftliche Begründung zur Berufskrankheit Nummer 2112 Gonarthrose durch eine Tätigkeit im Knien..." a.a.O. S. 15) Sollte hier zu erkennen sein, das die psychisch Gestörten gegenüber den Körperkranken eine verschärfte Beweislast tragen sollen ? Dieses Argument legt es überdies letztlich in die Hand der Unternehmer, ob sie jemals die Betriebe für methodisch gute Studien öffnen. Unabhängig davon hatte bereits Griffits 1999 das unangemessene naturwissenschaftliche Design der experimentellen Methode im sozialen Feld des Betriebs für das Versagen von Interventionsstudien verantwortlich gemacht.

 


 

Dornes


 

"Macht der Kapitalismus depressiv?" Die TAZ (Feddersen, 2016) scheint ganz einverstanden, wie der Psychoanalytiker Dornes (2016) in seinem gleichnamigen Buch "mit diesem Märchen aufräumt"."
Heftig verrissen wird dagegen Dornes' Kapitalismus-Apologetik von Brede (Ressentiment von "Unterstellungen simulierten oder eingebildeten Leidens"), wie von Egloff (Positivismus, überzogener Empirismus) oder Engelmann (alle 2015):"Es ist schon überraschend, wenn Dornes "weltanschauliche Grabenkämpfe" ausschließlich bei den anderen verortet, während er sie doch selbst führt." Alle drei Genannten kritisieren Dornes von therapeutisch-psychoanalytischer oder kritisch-soziologischer Warte. Dornes kann aber auch seinen eigenen epidemiologischen Standards gar nicht genügen:
- er nennt zwar die selbstverständliche Abhängigkeit der Prävalenz von der Methode, wird aber weit überwiegend methodenkritisch nur bei Arbeiten, die erhöhte Depressionsraten berichten (S. 17 f, S. 23-30, S 54).
- Er ignoriert trotz seitenlanger Beschäftigung mit beruflichen potentiell depressiogenen Faktoren die empirischen Argumente entgegenstehender Positionen zum Thema, die er vor seiner Publikation im Jahr 2016 bereits bei Angerer et al. 2013, Siegrist 2015, Sonnentag u. Frese 2012 und vielen anderen hätte finden können. Aus der Zusammenfassung dieses Kapitels S. 46 ("...wie groß der Anteil arbeitsbedingter psychischer Belastungen an möglichen späteren psychischen Erkrankungen ist, kann derzeit nicht definitif beantwortet werden") wird überraschenderweise S. 123 ohne adäquate Begründung eine ganz neue "Bilanz": "Man kann nicht sagen, dass arbeitsbedingte Beschwerden oder Erkrankungen zugenommen haben, aber man kann sagen, dass die schon immer vorhandenen diffusen Leiden an der Arbeit eine neue Form angenommen haben, in der sie als psychische Leiden in Erscheinung treten. Dabei ist die Überforderung durch Arbeitsverdichtung, wie sie in der Burn-Out-Diskussion zum Ausdruck kommt, das kleinere Problem". Das Hauptproblem sei die vermehrt geforderte fachliche und persönliche Kompetenz, v.a. der Selbststeuerung. Für dieses ranking finde ich ebensowenig eine Begründung.
- Dornes Versuch einer Sammelbesprechung von 8 Reviews über Studien zur Arbeitsplatz-Intervention bei burn-out (S. 49 ff.) enthält mehrere Reviews über Depression oder "mental health", die Zahlenangaben zu erfolgreichen bzw. mißlungenen Interventionen werden nur selektiv berichtet, die Reviewmethode in keinem Fall bewertet, eine Methodenkritik nur bei dem, mit 25 Interventionsstudien anscheinend größten Review ausgeführt, das dem Resümee von Dornes zuwiderläuft, "Verhaltensänderung ist also wirksamer als Verhältnisänderung" (S. 51).
- Selbst wenn man in Gedanken für einen Moment von Dornes Kernthesen absieht, dass die Depressionsprävalenz stabil bleibt, die gesteigerte Inanspruchnahme durch einen verbesserten Zugang der Kranken zum entwickelteren Versorgungssystem erklärt werden kann und die Zunahme des Stresserlebens bei der Arbeit längst abgeschlossen wäre - gäbe es nicht neben diesen „Argumenten fehlender Steigerung“ wie ich sie einmal nennen will, zahllose kränkende Konstanten des Lebens im Kapitalismus, die z.B. über psychopathogene Pfade im Bereich der Erwerbsarbeit oder der häuslichen Arbeit zu seelischen Störungen beitragen ? (ähnlich u.a. Brede, 2015).
- Erst auf S. 94 zitiert er zustimmend Deaton, der 2013 die Welt als einen besseren Ort bezeichnet habe, als jemals zuvor in der Geschichte und S. 129 Fulcher, die Suche nach einer Alternative zum Kapitalismus sei verlorene Mühe, und fügt an, daran habe sich seit 2008 nichts geändert. Es soll jeder nach seiner Facon selig werden, aber diese Sätze wie eine Schlussfolgerung aus seinen empirischen Quellen erscheinen zu lassen, wirkt wie Wunschdenken: Er dürfte seine Daten durch diese Brille gesucht und bewertet haben.
Eine ähnliche individuumzentrierte Sichtweise findet sich auch bei Rudolph (2012); er bestätigt zwar die Psychotherapeuten-Erfahrung, dass der “Umgang in Beruf und Schule immer mehr unempathisch- aggressive Seiten erkennen lässt”, wichtiger scheint ihm aber ein anderer Aspekt: “Speziell die Aufmerksamkeit der Medien richtet sich auf eine Welt voller Traumatisierungen und voller Opfer”, während “andererseits die objektiven Lebensbedingungen hierzulande in den letzten Jahrzehnten besser waren als je zuvor”. Sein Fazit, dass “die Häufigkeit der Traumafolgestörung offensichtlich überschätzt wird”. Für die Häufung von “Opferüberzeugungen” vermutet er, sei auch die Erziehung zu narzisstischen Riesenansprüchen verantwortlich, deren Scheitern die Wutbürger hervorrufe. Selbstverständlich sind solche Fall-Konstellationen nicht selten – aber diese Einzelimpressionen mit einer grob verzeichneten Skizze der makrosozialen Entwicklung zu hinterlegen – da scheint mir eher, dass hier der Boden der Tatsachen zugunsten ideologischer Mutmaßungen verlassen wird.

 


 

Karrierefragen?


 

Bedenkenswert in unserem Zusammenhang ist die Karriere v. Prof. Rainer Schlegel, CDU, zum Präsidenten des Bundessozial- Gerichts aus der BMAS- Abteilungs-Leiter Position heraus, in der er Fortschritte des Arbeitsschutzes gegen Arbeitsstress torpediert hatte: „Aber die Regierung nutzt solchen wissenschaftlichen Dissens (vgl. Schlegel, 2013, Leiter der Abteilung Arbeitsrecht und Arbeitsschutz im BMAS), um wegen "fehlender Dosis-Wirkungs-Beziehung" die Antistress-VO auszubremsen“ (Bolm, 2016). Was braucht es mehr, als solche Beispiele, um die BAuA-WissenschaftlerInnen (vgl. Rothe et al. 2017) ins Grübeln über die Konsequenzen sozialkritischer Interpretationen ihres Literatur-Rewies zu bringen ? Dieser bloße Verdacht, die Karrierechancen hingen daran, ob arbeitgeberfreundliche Positionen vertreten werden, verlangt selbstredend breitere Überprüfung, auch wenn er nach der Lebenserfahrung eines alten Achtundsechzigers plausibel klingt. Hier müssen vier beispielhafte Hinweise genügen, die natürlich nur sehr vorläufig sind:
Der erste findet sich bei Seffrin (2015) in einer sehr wohlwollenden Besprechung von Gøtzsches pauschaler Kriminalisierung der industriellen Psychopharmaforschung (Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität.. Riva, München 2014): „Forscher, die die Wahrheit über schlecht wirksame oder gefährliche Medikamente verbreiten, müssen mit Verfolgung, Einschüchterung und Bedrohung bis zur Vernichtung ihrer beruflichen Existenz rechnen. Gøtzsche hält auch dazu eine Anzahl bedrückender Beispiele bereit ...Auch die „Zeitschrift für Allgemeinmedizin“ wird aufgeführt, als 2006 (damals noch bei Thieme verlegt) ein Artikel von zwei der Herausgeber wegen Missliebigkeit bei einem Konzern vom Verlag zurückgezogen und die Ausgabe des Monats August eingestampft wurde.“
Bei Hien (2016) finde ich zum Einfluss mächtiger Interessengruppen auf die Freiheit der Forschung den Hinweis, der frühe (1980) Asbest-Kritiker Dobbertin beim Umweltbundesamt sei nach einer Klage der Industrie kaltgestellt worden (a.a.O. S. 60).
Nach Rohrbeck (2017) könnte der Wachstumskritiker Niko Paech seine Professur in Osnabrück verloren haben, weil politisch unerwünscht.
Während die Entfernung von Gøtzsche 2018 aus dem Governing-Board von Cochrane mir bisher zu undurchsichtig ist, um sie hier einzureihen, gibt es seitdem bei Cochrane Reformbestrebungen: aus den Hintergrundinformationen fand ich im Zusammenhang meines Themas bemerkenswert den Satz „If you complain about the conduct of how a Cochrane Review is worded, produced or whatever, there is genuine fear of punishment by Cochrane leadership and consequently academia more broadly.“ (Cochrane Members for Change open meeting in Krakow, April 3rd, 2019. Posted on April 30, 2019 by Jani Ruotsalainen )
Zapf, Dormann & Frese (1996) zerpflücken 43 ausgesuchte Längsschnittstudien über Jobstress methodenkritisch derart, dass nur eine einzige über alle Zweifel erhabene übrigbleibt- die den Zusammenhang von Persönlichkeit und Arbeitsstress thematisiert: Dass Arbeit krank machen könnte, verschwindet im (zugegebenermaßen für den ärgerlichen Leser schwer verständlichen) Methoden- Hochseilakt. 2012 stellen im Gegensatz dazu Sonnentag und Frese fest:"In summary, there is good and increasing evidence that stressors at work have causal effect on health and wellbeing."
Frese hat mit diesem Rigorismus Karriere gemacht als Arbeits-und Organisationspsychologe in Lüneburg und Singapur, hat sich inzwischen den psychologischen Faktoren erfolgreichen Unternehmertums verschrieben und mit dem von mir verspotteten Aufsatz einen Preis erhalten: „Best paper award (one of two best papers) published in JOHP (Journal of Occupational Health Psychology) over the past 10 years for Zapf, Dormann & Frese (1996)“.

 


 

Der Umgang mit dem individuellen Faktor


 

Konservative behaupten gern, die Häufung psychischer Störungen unter Arbeitsstress sei mit einer verzerrten Darstellung der Arbeitsbedingungen durch anderweitig verursachte psychische Störungen zu erklären, sozusagen werde die Arbeit durch die "schwarze Brille" gesehen. Unter den Überschriften "negative affectivity" oder "reverse effect" ist das in der einschlägigen Literatur ein alter Hut: Das sind Alternativhypothesen mit deutlich geringerem Erklärungswert (vgl. Angerer et al. 2014, a.a.O. S. 71). Sonnentag und Frese, 2012 S. 467, berichten, dass von 12 Studien, die einen reverse effect untersucht hätten, 9 ihn nicht fanden. Allerdings fassen sie (a.a.O. S. 460) Untersuchungen zusammen, die eine teilweise Verringerung des strain fanden, wenn der Arbeitsstress zur Vermeidung der potentiellen Verzerrung durch "negative affectivity" objektiv erfasst wurde. Schwer nachvollziehbar, dass der ansonsten methodisch so interessierte Frese keine Worte für die zahlreichen Probleme einer objektiven Erfassung von beruflichem Psychostress findet, die schon 1996 Semmer et al. (frühere Mitautoren von Frese) ausführlich würdigten.
Entgegen diesem meinem bisherigen Bild der Literatur zu "reversed effects" erhält das Thema in dem Review von Madsen et. al. (2017) eine prominente Bedeutung, die genauer bedacht werden sollte: Sie zitieren als wichtige Kronzeugen u.a. Kolstad et al. (2010), die in einer Querschnittsuntersuchung den erhöhten Zusammenhang von demand und control mit Depression (OR > 2,5) sehr stark verringert fanden, wenn sie die Exposition statt an der Selbstauskunft (auch der Depressiven) an der Selbstauskunft der Nichtdepressiven in derselben Arbeitsgruppe maßen. Diese Studie verliert nicht nur an Glaubwürdigkeit, wenn sie umstandslos auch die Ideologen (s.u.) Wainwright und Colnan zum Beleg für Zweifel an der beruflichen Verursachung von Depressionen zitieren, "An important reason for this state of ignorance is lack of reliable independent measures of adverse psychosocial work characteristics" (Kolstad et al. S. 94). Sie diskutieren auch die Arbeit von DeSanto Iennaco et al. (2010) als Beleg, dass ein Zusammenhang von control und Depression fehlt, ohne zu erwähnen, dass diese Arbeitsgruppe ein Paradebeispiel für die Schwierigkeiten einer "objektiven" Erfassung des Arbeitstress liefert: Die Exposition wird mittels nicht auf ihre Güte hin überprüfter externer ratings je eines einzigen Vorgesetzten in den 11 Fabriken eines Aluminiumherstellers erfasst; diese Studie kann Unterschiede der Depressionsprävalenz zwischen den 11 untersuchten Fabriken von 3.1% - 4.2% an 7 Standorten mit Ausreißern von 1% (N=1) und 6.3 – 11.3% (N=3) nicht erklären und lässt auf dieser zweifelhaften Grundlage alle Zusammenhänge von demand, control und Depression verschwinden, wenn der Ort statistisch kontrolliert wird. Kolstad et al. finden es auch nicht der Rede wert, dass der Aluminiumhersteller Alcoa. Inc. an der Finanzierung der Studie - und für die Hälfte der AutorInnen auch ihres Gehaltes - beteiligt war.
Die 378 Arbeitsgruppen bei Kolstad et al. bestanden zu über 50% aus mehr als 3 Berufen (Tab. 3); die "Objektivität" dieser Art Stresserfassung durch gemittelte Gruppenwerte nennen die Autoren auch selbst als "limitation". Wie kann ich beispielsweise die Angabe einer depressiven Krankenschwester, beruflich überfordert zu sein, durch ein entgegenstehendes Urteil der nichtdepressiven Stationshilfen, Krankengymnasten, der Pflegedienstleitung etc. über "demands" korrigieren ? Mag überdies diese Krankenschwester eine Kassandra sein, hat sie doch die feinere Antenne für ihre Arbeitslast. Über dieses Paradox ist viel geschrieben worden, hier soll es nicht ausgebreitet werden (Judge, Erez und Thoresen, 2000; mehrere Quellen bei Spector et al. 2000, S. 81).
Das Review von Madsen et al. bestätigt prospektiv auch für klinisch definierte Depressionen als outcome die erhöhten Risiken bei Exposition gegenüber "job strain" (erhöhte Anforderungen bei verringerter Kontrolle). Bei der sehr großen Untergruppe unveröffentlichter Studien allerdings verschwand dieser Zusammenhang weitgehend, wenn die in diesen Studien eingangs gemessene Depressivität rechnerisch kontrolliert wurde. Dieses Verfahren zur Kontrolle von Verzerrungen durch negative affectivity (NA), das ist meist state anxiety oder Depressivität (!), im slang "Herauspartialisieren" genannt, unterzog das Journal of organizational behavior in einer Reihe von Beiträgen einer Kritik, die das Editorial von Cooper (2000) zusammenfasst:"...the growing use of statistical controls for NA has not been endorsed as an effective strategy for enhancing the interpretability of job stress research." In dieser Diskussion warnen Spector et al. (2000) davor, das Kind mit dem Bade auszuschütten, wenn ein Teil der Varianz der NA vom jobstress verursacht sein könnte und zitieren (a.a.O. S. 82) Meehl, der schon 1971 – allerdings bezogen auf Querschnittstudien - geurteilt hatte, diese Praxis sei "the commonest methodological vice in contemporary social science research". Ein häufiger methodischer Fehler, der die psychischen Folgen von Arbeitsstress kleiner aussehen lässt – cui bono ?
Doch noch einmal zurück zum Review von Madsen et. al. (2017) : Außerdem wurde bei den eingangs Depressiven ohne strain, dieser am Ende deutlich erhöht gefunden, woraus die Autoren auf eine Bidirektionalität schließen. Jedoch werden im Appendix S3, Table S2, für diese 10 unveröffentlichen Datensätze 5 verschiedene Messinstrumente für depressive Symptome zu Studienbeginn aufgeführt, wobei in der Fußnote nicht unerwähnt bleibt, "We applied the full GHQ-12 scale in adjusting for baseline depressive symptoms in the Whitehall II study, instead of the depressive symptoms subscale that was outlined in the protocol. This decision was based on the content of the depressive symptoms subscale, which focused mainly on suicidal ideation, and thus measured more severe symptoms than the other included scales.” Auch wenn die Autorenliste der Studie von Madsen et al. von sehr respektabelen Namen geziert wird wie Theorell etc. vermag ich nicht nachzuvollziehen, mit welchen Messfehlern dieses Verfahren der Metaanalyse die Daten kompromittiert haben könnte; dazu fehlt es an Angaben. Selbstredend gehört ein enger Zusammenhang von depressiven Beschwerden mit späterer stationärer Behandlung wegen Depression zum klinischen Allgemeinwissen und es erstaunt, dass die Autoren als Folge von hohen demands nur dann vollstationär wegen Depression Behandelte gelten lassen wollen, wenn sie am Anfang der Studie keine sogenannten depressiven Brückensymptome hatten. Die Suche nach möglichst harten Beweisen für schädliche Folgen des Arbeitsstress blendet zudem die mögliche Verschlimmerung subklinischer Verstimmungen aus, ganz zu schweigen von geschwächten Selbstheilungskräften , der Reinheit des Designs zuliebe !
"Negative affectivity" findet also weiter Beachtung als Teil einer forschungspolitischen Agenda, die sehr viel mehr methodische Sorgfalt darauf verwendet, den Arbeitgebern keine Lasten für von ihnen nicht zu vertretende psychische Störungen zuzumuten, als umgekehrt den Patienten und ihren Krankenkassen vermeidbaren Stress zu ersparen. Ein relativ aktuelles Beispiel finde ich bei Harvey et al. (2017), deren großes Metareview zusammenfasst, "there was moderate level evidence from multiple prospective studies that high job demands, low job control, high effort-reward imbalance, low relational justice, low procedural justice, role stress, bullying and low social support in the workplace are associated with a greater risk of developing common mental health problems." Allerdings sehen sie trotz dieser sehr zahlreichen Längschnittstudien mit ähnlichen Ergebnissen („the evidence for a prospective relationship is strong“ , S. 308) keine Kausalität bewiesen – ganz wesentlich wegen des Verdachts der subjektiven Verzerrung der Selbsteinstufung der Stressoren durch die befragten Beschäftigten unter Berufung auf die oben skizzierte Querschnittstudie von Kolstad et al. (deren Bericht über „reporting bias“ allerdings von einer methodisch relativ rigoroseren Längschnittstudie von Elovainio et al. 2013 nicht bestätigt wird): In der Diskussion dazu finden Harvey et al. „results have been mixed“ , dabei fällt die die höchst unterschiedliche methodische Güte der 2 sich widersprechenden Arbeiten unter den Tisch ! Ähnlich einseitig finde ich die Besprechung der Metaanalyse von Verkuil et al. (2015) zum Bullying: Harvey et al. berichten zwar, dass diese Autoren in den Längschnittstudien (immerhin 21 Arbeiten mit über 54000 Befragten !) einen schwächeren Zusammenhang von Bullying mit seelischen Beschwerden fanden (r = 0.21) als in den Querschnittstudien. Nicht berichtet wird das Ergebnis von Verkuil et al., dass in 7 Längschnittstudien worplace bullying mit PTSD-Symptomen viel stärker korrelierte (r = 0.46), ebenso in 6 Studien mit Burnout-Symptomen (r = 0.51). Harvey et al. verwenden mehr Zeilen darauf, die Befunde von Verkuil et al. methodisch anzufechten, als sie darzustellen, wie gesagt, unter Kürzung der massivsten Befunde. Dabei haben sie selbst diesem Metareview die zweitbeste Qualitätsnote zugeteilt (Tab. 2).
Wie oben bereits am Beispiel der Arbeit von DeSanto Iennaco et al. (2010) belegt, blenden die Kritiker des „reporting bias“ die eklatanten Schwächen der „objektiven“ Erfassung von Stressoren befremdlicherweise aus: Elovainio et al. (2013) verwenden als Indikator für organizational justice das Gruppenmittel der Arbeitsgruppen (Größe 3 - 215 Personen) gemittelt zudem über 2 Messungen in den Jahren 2000 und 2004 ohne zu wissen, ob die Indexperson in diesem ganzen Zeitraum den Arbeitsplatz innehatte mit dem so ohne ihren „reporting bias“ festgestellten Stressor (S. 46), ganz zu schweigen von der Frage, ob die Homogenität der Arbeitsgruppe diese Extrapolation vom Gruppenmittelwert des Stressors auf den einzelnen Platz rechtfertigt, bei einer Korrelation der Ratings der beiden Jahreswerte von 0.53 (S. 41).
Es bleibt für mich ein selbstverständliches Ideal, den Arbeitsstress objektiv zu messen , etwa eine Fremdanamnese zu erheben. Als Psychotherapeut und Sozialpsychiater habe ich erfahren, wie selten das möglich ist, dass vielmehr in kleinen Gruppen wie auch in den sie versorgenden Institutionen die Rede von objektiven Gegebenheiten allzu oft Herrschaftsinteressen verschleiert; die Systemiker wie die Soziologen beschäftigen sich folgerichtig auch meist nicht mit objektiven Wahrheiten, eher mit standpunkt-abhängigen Interessen.
Da türmen die Empiriker der Arbeitsstress- Forschung über Jahrzehnte immer ausgefeiltere Beweise auf (Längschnittstudien, klinische Interviews statt Selbstauskunft über Symptome, neue Stressmodelle wie effort-reward-imbalance oder organizational justice z.B.) - und die kritischen Rezensenten stampfen die Ergebnisse in die Tonne von in der Forschungspraxis unerfüllbaren methodischen Idealen, wollen bestenfalls Interventionen testen . Cui bono ?
Als Beispiel seien die Bradford-Hill-Kriterien für kausale Beziehungen zwischen Exposition und Krankheit betrachtet:
„Here then are nine different viewpoints from all of which we should study association before we cry causation. What I do not believe - and this has been suggested - is that we can usefully lay down some hard-and-fast rules of evidence that must be obeyed before we accept cause and effect. None of my nine viewpoints can bring indisputable evidence for or against the cause-and-effect hypothesis and none can be required as a sine qua non. What they can do, with greater or less strength, is to help us to make up our minds on the fundamental question - is there any other way of explaining the set of facts before us, is there any other answer equally, or more, likely than cause and effect?“ (Hill, 1965, S. 299) Völlig entgegen dieser fast weise abwägenden Relativierung jedes einzelnen seiner Kriterien wird allzu oft die Erfüllung aller Kriterien verlangt, ehe von Kausalität geredet werden dürfe (z.B. Ferrie et al. 2007)
Zusätzlich sollte fantasiert werden, wie die "positive affectivity" der geforderten objektiven Beobachter der Arbeitsbelastungen kontrolliert wird, welche Unternehmer welche Mitarbeiter zu welchem hoffentlich neutralen Blick auf die Betriebspraxis freistellen, falls sie berufliche Belastungen objektivieren wollen. Ob Jeff Bezos, Amazon-Chef und reichster Mann der Welt, 2014 beim Weltkongress des Internationalen Gewerkschaftsbundes zum „Schlechtesten Chef der Welt“ gewählt, eine objektive Untersuchung seiner Arbeitsbedingungen (s.u.) zulassen würde ?
Ich frage mich angesichts der relativ geringen Zahl derartiger objektiver Arbeitsstressuntersuchungen, ob dass nur am Desinteresse der Forscher für diese seit Jahrzehnten für nötig gehaltene Methodenerweiterung liegt, oder ob ihnen der betriebliche Zugang fehlt. Die anhaltende Fokussierung eines Teils der Arbeits-Stressliteratur auf „reporting bias“ macht jedenfalls insofern den Arbeitgeber zum Zünglein an der Waage.
Ganz sicher aber finden solche Studien nicht in den konkursbedrohten Problembetrieben statt, die nach meiner therapeutischen Erfahrung gar nicht selten ihre Mitarbeiter das Fürchten lehren. Wem dieser Hinweis auf den „Herr- im - Hause - Standpunkt“ der meisten Unternehmer nicht genügt, der hätte schon lange bei Rügemer & Wigand (2014), Wallraffs Anklageschrift (2012) oder bei Gewerkschaftlern wie Beelze (1971) fündig werden können.

Wie in einer anderen Welt fasst Muschalla, 2016, dagegen zusammen, "Patienten mit psychischen Erkrankungen geben jedoch bei subjektiver Einschätzung erlebter Überlastung oder mangelnder sozialer Einbezogenheit (KFZA) höhere Werte an, als Menschen ohne psychische Erkrankungen". Das hätte auch der gesunde Menschenverstand erwartet. Bei 58 getrennt getesteten items zur Beschreibung der Arbeitssituation hätte sie dennoch eine Korrektur für multiples Testen, also eine erheblich niedrigere Irrtumswahrscheinlichkeit als die von ihr verwendeten 1% anwenden müssen; falsch positive Unterschiede zwischen ihren neurologischen Reha-Patienten mit und ohne psychische Störung sind also sehr gut möglich. Die Autorin betont selbst als Limitation, dass bei einer Korrelation (von Querschnittsdaten) keine Kausalschlüsse möglich sind. Hätte sie dann aber nicht wenigsten erwähnen können, dass bei der Arbeit Überlastete oder weniger sozial Unterstützte öfter psychisch krank werden ?

 


 

Linden & Co


 

Deutlicher wird diese individuumzentrierte Ätiologie, die wesentliche soziostrukturelle Pathomechanismen skotomisiert, in Muschalla u. Linden (2013): Schon im Vorwort heißt es, Arbeitsplatzphobiker externalisierten aus Sorge , als psychisch krank stigmatisiert zu werden, und "zeigen auf den Chef oder die Umstände am Arbeitsplatz als Erklärung, so wie Patienten mit U-Bahn-Phobie in aller Ernsthaftigkeit behaupten, deswegen nicht in den Tunnel zu können" (a.a.O. S. 11). Mir scheint, hier wird direkt zu Beginn das framing vorgegeben, Angstpatienten seien so irrational , dass man ihrem Bericht über die Arbeitsbedingungen keinesfalls trauen sollte. (Womit ich den großen Wert der Fremdanamnese keinesfalls bestreiten will !) Über Arbeit als Belastungsfaktor könne man mangels Längsschnittstudien keine Kausalaussagen treffen (S. 24), urteilen sie nach einer fehlerhaften Skizze der Literatur (das Anforderungs-Kontrollmodell von Karasek und die Gratifikationskrisen von Siegrist werden erwähnt, ohne z.B. auf die schon damals bekannten Längschnittstudien über vermehrte Depressionen unter diesem Stress hinzuweisen, vgl. Zusammenfassung bei Siegrist 2012 ).
Ganz unverbunden mit dem übrigen Text, wie ausgestanzt demgegenüber, zählen sie S. 42-48 zahlreiche und z.T. existenzielle Quellen realer Angst bei der Arbeit auf, vom Banküberfall über den Suizid vor den Augen des Zugführers bis zum Arbeitsplatzverlust etc. Ebensowenig mit dem individuumzentrierten Ansatz des Buches verbunden sind im Kapitel über Prävention die vielen plausiblen, aber leider überwiegend nicht empirisch bewährten (was lt. Rothe et al. die Regel ist) Vorschläge zur Reduktion objektiver angstauslösender Bedingungen in der Organisation des Betriebs.
In ihren Kasuistiken S. 198-208 dagegen fehlt weitgehend eine Arbeitsplatzanalyse (Kapitel 14.1, 14.3, 14.4); im Fall 14.2 ist sie stark verkürzt: Eine "einfach strukturierte" Küchenfrau, die durch erhöhte Anforderungen (zur bisher bewältigten Küchenarbeit waren Service am Buffet mit Gästekontakt hinzugekommen) im Gegensatz zu den Kolleginnen überfordert war, sodass sie z.B. das Buffet durcheinanderbrachte, war mehrfach im scharfen Ton von einer neuen Chefin gerügt worden und hatte sich gemobbt gefühlt. Die auslösende Szene wird so beschrieben:"...dass die Patientin mit ohnehin bereits gesteigerter Anspannung, in Eile im Speisesaal am Buffet hantierte und die Chefin hinzukam und sie barsch anging, warum sie noch nicht längst fertig sei. Darauf entgegnete die Patientin erregt und mit lauter Stimme, das sei Schikane und was die Chefin denn wolle, sie könne auch nicht mehr tun als zu arbeiten. Die Vorgesetzte hatte sie daraufhin richtig angeschrien und aus dem Speisesaal in die Küche verwiesen. Die Patientin fühlte sich erniedrigt und öffentlich bloßgestellt...". Ohne jeden Hinweis, dass die naheliegende Frage nach destruktivem Vorgesetztenverhalten abgeklärt wurde, folgt die Beschreibung des folgenden Angstzustandes mit Generalisierung , Krankschreibung etc. Die Psychotherapie "begann mit einem Reframing der sehr starken Externalisierungstendenz und Schuldzuweisung an die "böse neue Chefin". Dies geschah durch Einführung einer Perspektive von Normalität und Bewältigung."Ja, es stimmt, es gibt schon doofe Chefinnen. Aber das Chefs meckern, ist eigentlich normal, oder ?"". Stattdessen konnte die Patientin lernen, ihre persönliche Übererregbarkeit zu managen. Nach erfolgreicher Therapie wurde mit dem übergeordneten Vorgesetzten eine stufenweise Wiedereingliederung "zunächst" nur in der Küche verabredet. Unerwähnt bleiben Gründe, das Verhalten der neuen Chefin nicht zu problematisieren oder auf die Beschäftigung der Erkrankten am Buffet zu verzichten; immerhin wurde doch im Präventionskapitel (a.a.O. S.139 f.) "grundsätzlich wertschätzendes und unterstützendes Führungsverhalten" und eine "konstruktive Reaktion" auf Befindlichkeitsstörungen oder Ängste der Mitarbeiter gefordert !
Eine solche Schilderung aus einer Verhaltenstherapie lässt längst überwunden geglaubte sozialkritische Zerrbilder von einer Dressur zur Unterwerfung unter die herrschenden Verhältnisse erinnern; so ging es mir als Leser auch bei Fall 14.4: Ein langjähriger erfolgreicher Manager eines kleinen Unternehmens wird von seinem Kompagnon, bisherigem Freund, nach unbemerkter Intrige in rechtlich nicht anfechtbarer Weise gekündigt und gerät in eine Anpassungsstörung mit Arbeitsplatzphobie i. S. einer posttraumatischen Verbitterungsstörung. Die therapeutische Haltung erscheint mir mindestens widersprüchlich. Einerseits wird berichtet:"...wurde immer wieder therapeutischerseits signalisiert, dass man auf der Seite des Patienten steht und mit ihm einer Meinung ist bzgl. der herrausragenden Ungerechtigkeit der Geschehnisse...". Andererseits zentriert die Diagnostik auf das Individuum: "Der jetzigen Erkrankung zugrunde liegt eine Persönlichkeitsstruktur mit hoher Leistungserwartung gegenüber sich und anderen"…."Im Verlauf gelangte der Patient langsam zu der Erkenntnis, dass seine Reaktion mit der affektiven Verharrung und nicht die Situation der Arbeitslosigkeit das Problem ist." Weil sich keine befriedigende berufliche Perspektive fand, führten die "weisheitstherapeutischen Interventionen" nur zu einem Teilerfolg. Mir fehlt die Einfühlung in diese Weisheit, die an den ungerechten Ruin eines Lebenswerks anpassen will, ohne eine vertiefte Analyse der ökonomischen und juristischen Gründe für die wie nebenbei kurz mitgeteilte Unanfechtbarkeit des Vorgangs. Nun macht die kognitive VT vielfach Anleihen bei der Stoa, an deren Überlebensvorteil zur Zeit der ubiquitären Sklaverei erinnert sei. Solche philosophischen Prämissen ignorierenen den Anspruch der universalen Menschenrechte im Ansatz.
Wie gesagt, nicht nur bei den Kasuistiken vermeiden die Autoren, von beruflich bedingten oder verursachten Störungen zu sprechen, es geht ihnen um individuelles "Belastungserleben" oder dysfunktionales Vermeidungsverhalten mit Krankheitsfolge.
Linden (2014) ist fest überzeugt, die Wiederholung des Bundesgesundheits- Surveys beweise, dass psychische Krankheiten nicht zugenommen hätten, nur besser erkannt würden.
Die Verkündung dieser Gewissheit ohne deren methodische Grenzen zu erwähnen, erstaunt umso mehr, als er selbst bei der Validierung - allerdings eines anderen - Fragebogens zur Feststellung psychiatrischer Diagnosen von 15 "Fragebogen-Depressionen" nur eine bestätigen konnte und sarkastisch titelte "Garbage in, garbage out" (Linden und Muschalla 2012); hatte er nicht 1996 die Güte des CIDI als mangelhaft diskutiert (s.o.) ?
Nach Schilderung der umfassenden Mitarbeiterüberwachung durch Digitalisierung und Qualitätssicherung behauptet Linden 2014:"Gesunde Menschen können damit umgehen", weil aber "die Toleranz an den Arbeitsplätzen immer geringer wird, dann muss die Zahl der Menschen mit chronischen psychischen Erkrankungen, die mit Teilhabestörungen assoziiert sind, zunehmen". In diesem traditionellen Modell individuumzentrierter Ätiologie kommt nur eine Wirkrichtung vor: Der aus anderen Gründen psychisch Kranke nimmt seine Arbeitsbedingungen verzerrt war und/oder versagt krankheitsbedingt im Beruf; die entgegengesetzte Wirkrichtung (schädliche Arbeitsbedingungen sind (Teil-) Ursache psychischer Störungen) wird bagatellisiert - trotz über Jahrzehnte gewachsener Evidenz ( Angerer et al. 2014).
Linden, Preisträger der Dt. Ges. f. Psychotraumatologie und Fokus-Mediziner des Jahres ist auch in der Politikberatung tätig: „Man muss aufhören zu sagen, das Leid kommt von der Arbeit“ ( Linden lt. TAZ v. 12.4.2013, Bericht der Redakteurin Dribbusch über die Tagung der Friedrich-Ebert-Gesellschaft, Berlin, über Medikalisierung sozialer Probleme).
"Wer sich vom Chef schikaniert fühlt, kann sich unter Vortrag beliebiger Klagen „krankschreiben“ lassen und damit dem Arbeitsplatz fernbleiben." Das schreiben Gensichen u. Linden (2013) in einem Meinungsartikel, ohne ein konkretes Kriterium zu bieten, welches helfen könnte, nur gefühlte oder fälschlich behauptete und reale Schikane zu differenzieren; aber es werden immerhin die vielen u.a. von destruktiven Chefs bis zur Krankheit Schikanierten diffamiert. Arbeitsmedizinisch-epidemiologische Evidenz dazu hätte auch 2013 schon gefunden werden können : Rau u. Buykens (2015) besprechen drei bis 2012 erschienene Metaanalysen zum Beitrag von "bullying" bzw. aggressivem Vorgesetztenverhalten zu psychischen Störungen; das wurde später weiter bestätigt: Angerer et al. 2014, S. 45; Theorell et al 2015, S. 8; Rothe et al. 2017, S. 174 ff .
Lindens Tendenz ist von Dauer, so schrieb er schon 2011: Die Zunahme der diagnostizierten PTSD sei als Ausdruck eines "zunehmenden Resilienzdefizits" unserer Gesellschaft zu vermuten, der ein "vorherrschendes psychologisches Schonklima" zugeschrieben wird; aus seiner klinischen Erfahrung (nach der die Diagnose "komplexe posttraumatische Persönlichkeitstörung"ein Irrweg sei) ergebe sich der „Eindruck, dass mehr als die Hälfte der Diagnosen einer PTSD schlicht falsch sind". Anscheinend sieht er seine Diagnosen erhaben über solche Zweifel, tatsächlich engt seine Kurzbeschreibung der Psychopathologie -"panikartige Angst mit Intrusionen" die PTSD-Beschreibung des ICD10 gravierend ein; den ICD-10 Text "Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, z.B. zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären" scheint er nicht zu gelten zu lassen, wenn er als einen der Gründe häufiger Fehldiagnosen anführt, "dass eine psychische Störung auch schon lange vorher in der Biographie belegbar ist", die häufigen Komorbiditäten der PTSD scheint er zu ignorieren.
Linden (2014) meint weiter, es würden lebensübliche Ereignisse "in der Öffentlichkeit wie von Therapeuten zunehmend dramatisiert": Mit dem Framing, dass "wahrscheinlich kaum eine Gesellschaft unter so friedlichen Bedingungen gelebt hat wie derzeit die Bevölkerung in den Industriestaaten" erspart sich der Autor die Diskussion der übrigen traumatisierenden Verhältnisse, die ja erst seit Einführung des Konzepts der PTSD 1980 im DSM3 als Krankheitsursache systematisch erforscht werden.
Aber Linden publiziert auch ganz aktuell mit derartiger Tendenz : “Zwar ist unstrittig, dass bestimmte Belastungen am Arbeitsplatz das Risiko für das Auftreten klinisch relevanter psychischer Erkrankungen erhöhen (z.B. Theorell et al. 2015), aber eine Zunahme solcher Stressbelastungen in der Arbeitswelt, die auch nur annähernd die Zunahme der Diagnoseraten erklären könnte, ist nicht zu belegen. “ (Jacobi & Linden 2018) Dieser Text verdient eine ausführlichere Kritik:
In der Literatur fand ich Angaben zwischen 4% und 20% (Bolm 2016) über den Anteil durch berufliche Bedingungen erklärter Varianz psychischer Störungen; Verkuil et al. (2015) geben sogar ca. 2-26% allein für workplace bullying an: Wo nun die beruflichen Belastungen zugenommen haben, wer wird da auf die Idee kommen, die psychischen Störungen stiegen im selben Ausmass an ? Wer könnte in Erstaunen geraten, dass zuerst die bereits Erkrankten oder Gefährdeten ausfallen ?
Die Auswirkungen der beruflichen Belastungen kommen selbstverständlich mehrfache gebrochen bei denen an, die unter förderlichen Umständen nie mit einer psychischen Erkrankung rechnen müssten.
Aus solchen Binsenweisheiten ein Strohfeuer der Empörung über Denkfehler derer zu entfachen, die die gestiegenen Arbeitsunfähigkeits- und Berentungszugänge mit psychiatrischem Hintergrund als Folge eines neoliberalen Durchmarschs in den Betrieben deuten – das riecht nach Propaganda.
So polemisieren Jacobi & Linden (2018): ”Die heutige Diskussion um krankmachende Arbeitsplätze erinnert an die Diskussion um die Neurasthenie im ausgehenden 19. Jahrhundert, als psychische Krankheiten in New York als Folge der zunehmenden Modernisierung angesehen wurden – und nicht zuletzt auch als Folge der Schulbildung von Frauen.”
Mag der Spott über die bekannten Exzesse der Modediagnose Neurasthenie sein Recht fordern - der “medizinische Kern ist weitgehend identisch mit dem der Ermüdungswissenschaft: Der aufgrund der Modernisierung aller Lebensverhältnisse enorm angestiegene Verbrauch an Nervenkraft führt zu einer allgemeinen Erschöpfung der psychophysischen Substanz des Individuums, aber auch des Kollektivkörpers der Gesellschaft” (Böhme 2018). Wer von der Irritation über die schnellen Wechsel der Sprachmoden wegkommt, kann der nicht den gemeinsamen Hintergrund der “Chronopathologie einer ständig beschleunigten Gesellschaft” ( Fuchs 2018) erkennen ?
Dementsprechend verschließen sich Jacobi & Linden (2018) der historischen und sozialen Dimension des Problems; darüberhinaus hinterfragen sie ihr Kernargument, die angebliche Konstanz der Prävalenzraten psychischer Störungen, mit keiner Silbe. Die administrativen Daten zur gestiegenen Inanspruchnahme werden jedoch liebevoll zerlegt. Ihr Hinweis, wie notwendig inklusive Arbeitsbedingungen für die psychisch Kranken sind, kann nur unterstützt werden. Es schließen sich hier aber 2 Fragen an:
1. Wer heute wegen psychischer Störungen und /oder Behinderungen “nicht mehr mitkommt”, aber noch arbeitsfähig bleibt, der ist doch meistens auf den Arbeitsmarkt für Behinderte, hauptsächlich die Werkstatt für Behinderte, verwiesen und landet damit in der Armut. Das dürfte Linden als langjährigem Chefarzt einer Reha-Klinik kaum verborgen geblieben sein, ist ihm aber 2018 keine Silbe wert. Wie soll das eine massenwirksame Perspektive sein bei 71300 aus psychischer Erkrankung Berenteten pro Jahr ? (FAZ 2018)
2. Wer als bereits psychisch Kranker an den “modernen” Arbeitsplätzen überfordert ist, wird der evtl. kränker, langsamer oder gar nicht wieder gesund ? Dafür haben die Autoren keinen Blick und keine Daten ; mit der holzschnittartigen Ausschließlichkeit ihres antithetischen Titels “Macht die moderne Arbeitswelt psychisch krank – oder kommen psychisch Kranke in der modernen Arbeitswelt nicht mehr mit?” scheinen sie das Ersterkrankungsrisiko durch Jobstress aus dem Forschungsfeld räumen zu wollen . Das unter fast vollständiger Vernachlässigung der einschlägigen Literatur (s.o.), die ja z.B. im Review von Theorell, den sie ausnahmsweise selbst zitieren, den Faktor “vorbestehende psychische Krankheit” kontrolliert hat. Außerdem zitieren sie selektiv: “Auch Untersuchungen der Bundesanstalt für Arbeitssicherheit und Arbeitsschutz [vermutlich gemeint Bundesanstalt f. Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, BAuA, W.B.] sprechen dafür, dass die Menschen, die in Arbeit sind, sich überwiegend nicht gestresst fühlen und dass auch die Rate der subjektiv gestressten Arbeitnehmer über die Jahre hin nicht wesentlich zugenommen hat (Lohmann-Haislah 2012; …. ). Deren Rate beträgt unter 20%, d.h. sie liegt unter der Rate der psychisch Kranken in der Bevölkerung.” In der zitierten Studie finde ich im Fazit jedoch auch den Hinweis:”...bei zwei der am meisten verbreiteten Anforderungen -”starker Termin - und Leistungsdruck” und ”sehr schnell arbeiten müssen” sei ein Anstieg der subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen (S. 178) und ebendort lese ich:”dass der Wandel der Arbeitswelt zu deutlichen Veränderungen in den Anforderungen führt. Dabei hat, wie eine Vielzahl von Studien in der Vergangenheit bereits dargelegt hat, die psychische Belastung zunehmend an Bedeutung gewonnen”. In der Abb. 26, S. 96 geht es um die Frage, welche Beschwerden während der letzten 12 Monate während der Arbeit häufig aufgetreten seien: Bei allen 4 Indikatoren zeigt sich eine leichte Zunahme von 2005 nach 2011, bei der Frage, ob der subjektive Gesundheitszustand weniger gut oder schlecht sei, steigt die Bejahung von 10 % auf 14%. Soweit Lohmann-Haislah 2012. Im DGB-Index Gute Arbeit 2016 (DGB 2017) gaben zwar 27% an, durch die Digitalisierung größere Entscheidungsspielräume zu haben, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf bejahten 21%. Aber gleichzeitig berichteten jeweils über 50% von einer größeren Arbeitsmenge bzw einer größeren Zahl gleichzeitig zu bewältigender Arbeitsvorgänge im Gefolge der Digitalisierung. Spricht das nicht insgesamt für zunehmende Belastungen ? Nachträglich rücken ganz aktuelle Zahlen der Techniker-KK (2019) die Behauptung von Linden & Jacobi 2018 (es gäbe gar keine Zunahme des Jobstress mehr) in ein sehr zweifelhaftes Licht :
Zwischen 2006 und 2015 sei es zu einer erheblichen Zunahme von Fehlzeiten mit Diagnosen aus dem Bereich psychischer Störungen um mehr als vier Fünftel gekommen. (Abb. 23, a.a.O. S.6 5) "Die psychische Belastung von Pflegekräften scheint im Laufe der letzten Jahre, wie auch in anderen Berufen, noch zugenommen zu haben. Es ist davon auszugehen, dass die Verdichtung von Arbeit, die aufgrund von zunehmenden Wirtschaftlichkeitserwägungen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen zu beobachten ist, sowie ein wachsender Personalmangel für Pflegekräfte auch hohe psychische Belastungen mit sich bringen. Motivation für eine Tätigkeit in der Pflege wird bei vielen Pflegekräften unter anderem der Wunsch sein, mit Menschen umzugehen und Menschen zu helfen. Möglicherweise ist es auch die Bereitschaft, anderen Menschen zu helfen und sich in sie einzufühlen, wie sie durch die Wahl eines Pflegeberufes zum Ausdruck kommt, die die betroffenen Männer gleichzeitig anfälliger für psychische Erkrankungen macht. Die Diskrepanz zwischen dieser Motivation und der Möglichkeit, ihr im Berufsalltag gerecht zu werden, dürfte psychische Erschöpfungszustände auch bei weiblichen Pflegekräften begünstigen. Neben diesen Faktoren sind auch Belastungen durch Arbeitsbedingungen wie Schicht- und Nachtarbeit zu nennen, die in diesem Arbeitsbereich kaum zu vermeiden sind und ebenfalls mit negativen Effekten auf die Gesundheit verknüpft sind."(a.a.O. S.12)

Allein der healthy-worker-effect sollte es schon verbieten, derlei Häufigkeiten umstandslos mit der Prävalenzrate für psychische Krankheiten in der Allgemeinbevölkerung wegzuerklären.
Bei der Festlegung des Grenzwerts für gesundheitschädlichen Lärm am Arbeitsplatz gab der Schutz einer Minderheit von wenigen Prozent Lärmempfindlichen den Ausschlag: Schon wenn die Lärmexposition je nach Alter ca 4-12% mehr Betroffene mit Hörverlust von 15 dB (A) erwarten lässt greift die Schutzgrenze von 85 dB (A)* (Dieroff 1994, Abb 124 ) - dieses Risiko liegt weit unter den 40 dB(A) Hörverlust, die für eine Anerkennung als Berufskrankheit gefordert sind. Wie wenig paradiesisch andererseits diese Arbeitsbedingungen an der geschützten Grenze zur Lärmschwerhörigkeit sind, belegt das Review von Passchier-Vermeer (2000): "Given such exposure over a lifetime in a job, a hearing impairment at 4,000 Hz of about 5-10 dB is estimated for most workers, although for those persons highly sensitive to noise, noise-induced impairment is considerably greater." (S. 129) Trotz alledem, bei der Lärmschwerhörigkeit ist in langen Auseinandersetzungen echte Prävention erkämpft worden. Wenn bei häufigen Schikanen die Depressionen bis auf das Achtfache steigen (Theorell 2015) oder bei traumatischer Exposition in Feuerwehr, Rettungsdienst etc. die Häufigkeit der PTBS mehr als verdoppelt sein könnte, (allerdings bisher nur in Studien ohne Kontrollgruppen , vgl. Bolm-Audorff et al. 2019) gibt es keinen Arbeitsschutz.
Im aktuellen Positionspapier (2018) der Pneumonologen zur Luftverschmutzung heißt es: “So können z. B. unterhalb der in der EU gültigen Grenzwerte erhebliche Gesundheitseffekte durch Luftschadstoffe nachgewiesen werden .... Medizinisch abgeleitete Werte sind z. B. die Richtwerte der WHO, deren Einhaltung aus gesundheitlicher Sicht empfohlen wird. Ziel dieser Ableitung ist es, diejenigen Mengen oder Konzentrationen einer Belastung festzulegen, mit deren Aufnahme über einen definierten Zeitraum mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine relevante schädliche Wirkung mehr verbunden ist. Hierbei gilt es, bestimmte Bevölkerungsgruppen, z. B. Kinder, ältere Menschen, schwangere Frauen, besonders zu berücksichtigen. Ein zentrales Leitprinzip, das in diesem Kontext von hoher Bedeutung ist, ist das Vorsorgeprinzip.” Auf dem Gebiet der Primärprävention ist die Gleichstellung von psychisch Kranken und somatisch Kranken, die bereits 1975 in der Psychiatrieenquete eingeklagt wurde, längst noch nicht verwirklicht. Sind etwa die psychisch Kranken inkl. der Genesenen und der Risikogruppen weniger zu berücksichtigen als Kinder, Ältere, Schwangere ?
Jacobi und Linden zitieren Theorells et al. (2015, S. 8) Metaanalyse, die für depressive Symptome eine Erhöhung um das 1,7- Fache bei Jobstrain feststellen (Bei häufigen Schikanen das 2,5- bzw 8,3- Fache) und verwerfen dennoch ein arbeitsbedingtes Mehr an psychischen Störungen, mit der impliziten Behauptung, die Anpassungsfähigkeit an derzeit gegebene Arbeitsbelastungen sei der Ausweis der psychischen Gesundheit. Dabei hat Linden 2012 das Positionspapier (DGPPN 2012) zum Burn-Out mit verfasst, das trotz des Hinweises auf begrenzte empirische Evidenzen unter den arbeitsplatzbezogenen Bedingungsfaktoren des Burn-Out feststellt:” Die Globalisierung führt zu einer immer breiteren und größeren Konkurrenzsituation im Wirtschaftsleben. Eine Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen wird häufig durch massive Stellenkürzungen und durch Rationalisierungen erreicht, was zu einer verstärkten Arbeitsbelastung der am Arbeitsplatz Verbleibenden führt, die oft verbunden ist mit Ängsten vor weiteren Stellenkürzungen.”

Nun gibt es schon seit 2005 Ioannidis' Behauptung "Most Research Findings Are False for Most Research Designs and for Most Fields"; als besonders begünstigende Randbedingungen solcher Fehleranfälligkeit nennt er gleich mehrere unbestreitbar typische Charakteristika der Sozialpsychiatrie der Arbeit:
- "The smaller the effect sizes in a scientific field, the less likely the research findings are to be true"
- "The greater the flexibility in designs, definitions, outcomes, and analytical modes in a scientific field, the less likely the research findings are to be true."
- "The greater the financial and other interests and prejudices in a scientific field, the less likely the research findings are to be true."
So gewiss es viele Beispiele heftig umstrittener, aber im Lauf der Geschichte als unfruchtbar verlassener Forschungsfelder gibt, so sicher ist der Kampf um methodische Klärung unverzichtbar – insoweit ist Ioannidis zuzustimmen; aber ist es wirklich so schwer, in den ultraskeptischen Bedenkenträgern nützliche Idioten der Unternehmer zu erkennen, die aus dem Fortdauern ruinöser Arbeitsbedingungen ihren Extraprofit schlagen – oder den Bankrott ihres kriselnden Unternehmens hinausschleppen?

 


 

Ideologiekritik und Sozialstruktur


 

Wer die sozialpsychiatrischen Beziehungen von beruflicher Lage und Psychopathologie durchdringen will, muss über den individuellen Bedingungszusammenhang weit hinausgreifen:
Die Schattenseite einer der Grundlagen unsere Wirtschaftssystems, der Konkurrenz, beleuchtet der Soziologe Hondrich (Der neue Mensch, 2001; zit. n. Herrmann): "Wettbewerb erzeugt Ungleichheit. Sogar, wenn alle ihre Leistung steigern, sind einige zum Scheitern verdammt. Der Erfolg des einen ist der Mißerfolg des anderen. Leistungssteigerung führt - später oder früher, dort oder hier - zu Leistungsversagen. Dieses Leistungsversagungsgesetz ist das fundamentale Paradox der Wettbewerbsgesellschaft, eine Fortschrittsfalle, aus der es kein Entrinnen gibt...".
Einen anderen Aspekt nennt Keupp (2010): „Die in den letzten Jahrzehnten registrierte Zunahme etwa von Depressionen, Burnouterfahrungen, Borderline- oder Essstörungen sind Beispiele für die Notwendigkeit, neben einer psychodiagnostischen auch eine gesellschaftsdiagnostische Einordnung vorzunehmen. Bei vielen der aktuell bedeutsamer werdenden Störungsbilder handelt es sich um Identitätskrisen, die auf veränderte gesellschaftliche Lebensbedingungen im globalisierten Netzwerkkapitalismus verweisen. Diese stellen Anforderungen an die alltägliche Identitätsarbeit dar, mit denen viele Menschen nicht mehr zu Recht kommen.“
Die herrschende Lehre in der Sozialpsychiatrie der Arbeit kann ich in diesen makrosozialen Aspekten nur als einäugig bewerten. Die psychopathogene Wirkung soziostruktureller Faktoren wie etwa überflüssiger Repression im Betrieb z.B. bleibt weitgehend skotomisiert. Dabei hatte schon Dahrendorf im Wörterbuch der Soziologie hierzu Grundlegendes angesprochen „Vielleicht liegt die letzte Ursache für die Persistenz industrieller Konflikte im Herrschafts- und Disziplinierungscharakter von Industriebetrieben. Hier begegnen sich industrielle und Klassenkonflikte, wobei unter diesen die politischen Auseinandersetzungen in Gesellschaften verstanden werden sollen.“(zit. nach Krysmanski, 1971, S. 189)
Diese makrozozialen Rahmenbedingungen ignoriert der Psychoanalytiker Dejours (2016) keineswegs, der in einem narrativen Text darlegt, wie die Entscheidung des Managements zu wettbewerbssteigernden Personalbeurteilungen die kollegiale Solidarität grob beschädigt und schließlich zu einer Zunahme von ihm untersuchter betrieblicher Suizide in Frankreich führte, überraschenderweise meist ohne psychiatrische Vorgeschichte. Eine Serie von 25 Suiciden bei bei France Telekom in weniger als 2 Jahren waren für Kivimäki, Hotopf und Henderson (2010) noch der Aufhänger für ein Editorial, dass es bessere Beweise brauche, ehe feste Schlüsse über die Verursachung depressiver Symptome durch Arbeitsstress möglich seien und damit arbeitsmedizinische präventive Interventionen.
2019 wurde allerdings in der Sache France Telekom wegen Mobbing in Paris zur Höchststrafe verurteilt (droit-travail-france.fr ), Gutachter war u.a. Dejours.
Der philosophische Anthropologe Micali (2018) beschreibt den „Leistungskult in der unternehmerischen Gesellschaft“- die “Forderung nach ständiger Innovation, die zu einer Optimierung der Leistungen, der Produkte und des Profits führen soll, hat einen klaren Nachteil: Ein solches Übermaß an Anforderungen erzeugt beim Individuum ein Gefühl intrinsischer Insuffizienz und letztlich des Sich-schuldig-Fühlens.“
Einen Blick auf angstfördernde Sozial-Strukturen in unserer Zeit steigender Behandlungs / Berentungsziffern für seelische Störungen erlauben Betzelt & Bode 2017: "Die unter dem Druck von Globalisierung und neoliberalem Zeitgeist betriebene Deregulierung von Arbeitsverhältnissen bescherte der Kapitalseite ein wachsendes Drohpotenzial und vielen Erwerbstätigen neue, mitunter existenzielle Risiken sowie ein höheres Potenzial für Statusgefährdung. Entstanden sind erweiterte Zonen ungesicherter, vielfach niedrig entlohnter Erwerbsarbeit, und soziale Abstiege in diese Zonen wurden auch für qualifizierte Beschäftigte vorstellbar(er), während Aufstiege in besser gesicherte Segmente immer schwieriger erscheinen. Die Reformpolitiken der 2000er Jahre haben dies insofern begünstigt, als sie viele Bürger_innen stärker den Kräften der Märkte aussetzten, also eine „Re-Kommodifizierung“ der Arbeits- und Lebensverhältnisse antrieben. Der reformierte Sozialstaat wurde so zum Angsttreiber."

Wilkinson & Pickett (2009) behaupten eine lineare Abhängigkeit der Prävalenz psychischer Störungen (WHO – Daten) von der sozialen (Einkommens-) Ungleichheit:

Quelle: https://www.equalitytrust.org.uk/mental-health, abgerufen 7.11.2019
Auf ihrer Webseite stellen sie auch die vermuteten pathogenetischen Pfade dar:“The most plausible explanation for income inequality’s apparent effect on health and social problems is ‘status anxiety’. Income inequality is harmful because it places people in a steep hierarchy that increases status competition and causes stress, which in turn leads to poor health and other negative outcomes... There is little consensus on how these mechanisms, particularly ‘status anxiety,’ work in practice, given different people’s different reference groups, their knowledge (or lack of knowledge) about social stratification and the complex nature of ‘status’ and self-esteem…Other possible mechanisms put forward include stress in the womb and early life and the socioeconomic status of your parents. ”
Unterstützung bekommen sie von Friedli (2009): „Mental health is also the key to understanding the impact of inequalities on health and other outcomes. It is abundantly clear that the chronic stress of struggling with material disadvantage is intensified to a very considerable degree by doing so in more unequal societies. An extensive body of research confirms the relationship between inequality and poorer outcomes, a relationship which is evident at every position on the social hierarchy and is not confined to developed nations. The emotional and cognitive effects of high levels of social status differentiation are profound and far reaching: greater inequality heightens status competition and status insecurity across all income groups and among both adults and children."

Die Metaanalyse von Ribeiro et al. (2017) dagegen berichtet eine geringe Effektstärke der sozialen Ungleichheit auf die psychischen Störungen, weist aber selbst auf derart massive methodische Einschränkungen (S. 560) hin, dass man sie weder pro noch contra Wilkinson & Pickett werten sollte: keine der 27 ausgewählten Studien war für die Fragestellung konzipiert (!); von den 9 Studien, die ausreichende Angaben für eine Metaanalyse aufwiesen, hatte nur eine einzige eine positive Assoziation von Ungleichheit und Ausmaß psychischer Störungen; die geografische Analyseebene reichte von Gemeinde und Nachbarschaft über Region, Stadt, Bundesstaat bis zu Land (S. 558) . Das halte ich bei jedem einzelnen dieser Kritikpunkte für ein k.o.-Kriterium, was die Vergleichbarkeit der Ergebnisse der Studien untereinander betrifft.
Der entscheidender Einwand gegen Wilkinson & Pickett folgt aus ihrer unkritischen Übernahme der psychiatrischen Prävalenzen: Während sie für Deutschland eine Einjahresprävalenz irgendeiner psychischen Störung von 9,1% angeben (nach The WHO World Mental Health Survey Consortium 2004), sollen es ebenfalls nach DSM4 / CIDI bei Jacobi et al. 2014 27,7% sein, seit der Vorläuferuntersuchung von 1998 angeblich quasi konstant. Auch wenn die Jacobi-Daten ein ca. 6% breiteres Diagnosespektrum umfassen und die Altersverteilung der Befragten differiert – ein unglaublicher Unterschied, der im oben gezeigten Diagramm von Wilkinson & Pickett Deutschland zu einem krassen Ausreißer machen würde.
Einen anderen Aspekt der These von Wilkinson & Picket beleuchtet Brenner (2012); er erklärt 82% der Varianz der Suizidraten in 27 hochindustrialisierten Ländern im Krisenjahr 2008 mit deren makroökonomischer Lage: Eine Querschnittstudie ohne direkte kausale Beweiskraft, wäre da nicht der Hinweis Brenners auf ähnliche, sehr lange Zeitreihen zu Suizidraten und hätte er nicht (seit 1979 auf Deutsch verfügbar !) auf der Grundlage von US-Daten der Jahre 1841-1967 einen Zusammenhang von Rezession und Zunahme psychiatrischer Hospitalisierungen nachgewiesen.
Ebenfalls vergleichsweise pragmatisch klagt die US- Philosophin Elisabeth Anderson (2019) in ihrem frisch übersetzten Werk die „Unterwerfung der Arbeitnehmer unter eine willkürliche, nicht rechenschaftspflichtige“ Herrschaft der Arbeitgeber an, „unter der sie leicht zu Opfern von Machtmißbrauch werden.“(a.a.O. S. 202) Empirisch unterlegt sie ihre Kritik z.B. S. 195 f. mit Berichten über die Bedingungen in einem Amazon-Lagerhaus: „Das Arbeitstempo ist durchweg hoch. Die Arbeitskräfte werden wegen „Zeitdiebstahls“ zurechtgewiesen, wenn sie innehalten, um nach einer besonders schwierigen Aufgabe Luft zu holen...Sie werden permanent steigenden Pensen unterworfen, wegen der Nichterfüllung ihrer Vorgaben ständig angeschrien, täglich mit Entlassung bedroht und schließlich gefeuert, wenn das geforderte Tempo für sie zu hoch wird…2011 ließ Amazon zu, dass die Innentemperatur in seinem Warenlager in Allentown, Pensylvania, auf 39 Grad Celsius anstieg. Als die Beschäftigten darum baten, die Türen zur Laderampe zu öffnen, um Luft zirkulieren zu lassen – ein übliches Vorgehen bei anderen Lagerhäusern - lehnte Amazon dies mit der Begründung ab, es würde zu Diebstahl durch die Angestellten führen. Stattdessen ließ Amazon Rettungswagen vorfahren, die diejenigen Arbeitskräfte in Empfang nehmen sollten, die aufgrund eines Hitzschlags zusammenbrechen würden. Wenn sie tatsächlich zusammenbrachen, bekamen sie Minuspunkte für ausgefallenen Arbeit und wurden gefeuert, wenn sie zu viele davon anhäuften“. Weiter zitiert sie S. 204 ff. eine Studie, nach der 90% der Beschäftigten in US-Restaurants berichteten, schon einmal sexuell belästigt worden zu sein. In der US- Geflügelindustrie fand eine Studie heraus, dass „die grosse Mehrheit“ der Beschäftigten nicht die Erlaubnis hatte, zur Toilette zu gehen, deshalb seien viele „gezwungen, Windeln zu tragen“. 67% der Ärzte im betrieblichen Gesundheitswesen stellten fest, dass die „Arbeiter Disziplinarmaßnahmen fürchten, wenn sie eine Verletzung oder Erkrankung melden“ , ein Drittel dieser Ärzte werde von den Arbeitgebern unter Druck gesetzt, „die Diagnose und Behandlung bei Arbeitern zu verharmlosen, um die Meldepflicht zu umgehen“. Diese erschreckende Mängelliste setzt sich fort mit unberechenbaren Einsatzplänen (41% aller Arbeitnehmer), besonders schwere Ausbeutung der illegalen Arbeitsmigranten, Lohndiebstahl bei bis zu 2/3 der Beschäftigten im Niedriglohnbereich in Höhe von bis zu 15% ihres Gesamtverdiensts – das sei drei Mal mehr als die Summe aller anderen Diebstähle in den USA (S. 212).
Die Ignoranz gegenüber diesem „allgegenwärtigen Autoritarismus am Arbeitsplatz“ (S. 113) unter denen, die von den Segnungen des freien Marktes schwärmen, klassifiziert Anderson als „so etwas wie eine politische Hemiagnosie“ (S: 107). Sie versteht ihren Beitrag als Ideologiekritik, die die Einführung der Mitbestimmung im Betrieb auf die politische Tagesordnung setzt (S. 200f.). Immerhin wird die Autorin in der Einleitung von Macedo, ranghohem Mitglied der American Political Science Association, als eine der weltweit führenden Sozial-PhilosophInnen gewürdigt.
Dreitzel, emeritierter Soziologe und Gestalttherapeut, entfaltete 2009 in seiner Rede von der „Weltkrise“ eine im Vergleich zum bisher Referierten deutlich umfassendere makrosoziale Theorie, die auch für die Sozialpsychiatrie der Arbeit relevant ist; er soll deshalb hier ausführlicher zu Wort kommen:
„...möchte ich erläutern wie und welche weltweiten krisenhaften Entwicklungen immer wieder und immer weiter dazu beitragen, das Katastrophische an unserer Lebenswelt zuzuspitzen und aktuell ins Bewusstsein treten zu lassen.
Krisenhaft nenne ich solche Entwicklungen, die durch quantitatives Wachstum zwangsläufig an einen Kipp-Punkt geraten, an dem weiteres Wachstum in qualitative Veränderung umschlägt. Das Wachstum kann numerisch sein, wie z. B. der Anstieg der Weltbevölkerung, oder es kann struktureller Natur sein, wie z. B. beim Wachstum pilzartiger Verflechtungen in der Bürokratie.
Die gemeinsamen Merkmale dieser Entwicklungsprozesse sind:
• Beschleunigung,
• gesteigerte Komplexität und
• Unvorhersehbarkeit der qualitativen Veränderungen.
Jedes dieser drei Merkmale macht Angst. Und genau das ist es, wo Psychotherapie ins Spiel kommt. Denn es ist
• die Beschleunigung unseres Lebens, die die Hauptursache für unseren Stress ist, und es ist
• die wachsende Komplexität aller unserer Lebensbereiche, die uns so
hilflos und scheinbar handlungsunfähig macht, und es ist
• die Unvorhersehbarkeit von Entwicklungsprozessen mit katastrophischem
Potential, die unsere Lebensangst so steigert, dass sie ständig verdrängt werden muss."...
"...jede Gesellschaft ist nun Teil der Weltgesellschaft. Und das eben nicht nur durch die Gefahr eines Atomkrieges, sondern auch durch die Tatsache, dass unsere heutige Zivilisation allein schon durch einen Unfall oder eine Serie von Unfällen in ihrem Kern getroffen werden kann.
Kann – nicht muss. Aber wir wissen seit Tschernobyl um die unglaublichen Folgen selbst eines lokalen atomaren Unfalls Wir wissen heute, dass Technische Großunfälle durch ein zufälliges Zusammentreffen mehrerer geringfügiger, Störungen zustande kommen, deren Verkettung auf eine zu hohe Komplexität und eine zu geringe Flexibilität zurückzuführen ist. Charles Perrow Normale Katastrophen, Über die unvermeidbaren Risiken der Großtechnik, 1988).
Es spricht nichts gegen die Annahme, dass auch atomare Kriegsunfälle auf ähnliche Weise entstehen können. Das Gleiche trifft auf die globalen Netzwerke zu, wie z. B. das elektronische Netzwerk. Immer sind die gleichen Ursachen am Werk:
ein zufälliges Zusammentreffen vieler in sich banaler Betriebsstörungen mit der immer vorhandenen hochgradigen Komplexität der Systeme. Diese Tatsache hat besonderes Gewicht auch bei den Auswirkungen des technisierten Lebens in seiner Gesamtheit auf die uns umgebende und uns tragende Natur z. B. beim Artensterben. Denn immer führen Störungen dieser Systeme schnell an den Rand von unkontrollierbaren Kettenreaktionen, die das System insgesamt aus so dem Gleichgewicht bringen können. Wie jetzt das der Finanzmärkte. Das aber ist eine chronische und daher chronisch beängstigende Bedrohung. Die „katastrophische Kultur“, die damit beschrieben ist, ist also eine Kultur der Angst."
"Der Epochenwandel löst also Stress - Ohnmachtsgefühle - und Angst aus. Diese negativen emotionalen Erfahrungen werden neurotisch kompensiert entweder durch:
1. Unteranpassung, d. h. eine Art psychische Verweigerung
2. Überanpassung, d. h. durch den misslingenden Versuch, mit der eigenen Kraft die gesellschaftlichen Verhältnisse zu überholen
3. Vermeidungsstrategien, also Flucht in scheinbar von den Entwicklungen unberührte Zonen.
Wir werden es also bei uns und bei unseren Patienten und Klienten mit drei verschiedenen Gruppen von neurotischen Verhaltensweisen zu tun haben oder noch bekommen. Natürlich will ich damit jetzt nicht behaupten, dass alle neurotischen und psychiatrisch relevanten Störungen ihre Ursachen AUSSCHLIEßLICH ODER AUCH NUR ÜBERWIEGEND denjenigen gesellschaftlichen Umständen zu verdanken haben, die ich hier kurz skizziert habe. Aber diese sind doch der bleibende, prägende, und tief ins Unbewusste wirkende Hintergrund aller weiteren Ursachenzusammenhänge, insbesondere auch die der familiären Herkunft und die der anderen rein biografischen Faktoren.(Hervorhebung W.B.)
Die erste Gruppe sind die Unterangepassten. Da gibt es einmal jene, bei denen der Körper streikt, nicht mehr mitmachen will, sich weiteren Anpassungen verweigert. Stress im weitesten Sinn des Wortes verursacht eine Fülle von psychosomatischen Störungen und Erkrankungen. - Weiters löst die wachsende Komplexität unserer Lebensbezüge Gefühle von Resignation aus und eine Neigung zu depressiven Prozessen, eventuell wechselnd mit Anfällen zielloser Wut. Bei Jugendlichen wird die allgemeine Perspektivlosigkeit leicht zu soziopathischen Prozessen führen, die sich in Vandalismus und Gewalttätigkeit ausdrücken. Die Undurchschaubarkeit der qualitativen Entwicklungssprünge schließlich mag zu depressiver Resignation und Apathie führen, kann sich aber eben gut bei denjenigen, die über mehr frei flottierende Energie verfügen, in Angstneurosen und paranoischen Vorstellungen ausdrücken. All diese neurotischen Reaktionen sind aber im Grunde genommen individuelle, einsame und misslingende Rebellionen gegen ein sozio-kulturelles Umfeld, in dem die Unterscheidung von Normalität und Wahnsinn immer mehr an Plausibilität verliert. Zu Recht hatten Fritz Perls und Paul Goodman Neurosen als Notfallreaktionen auf gesellschaftliche Fehlentwicklungen verstanden. Dann gibt [es] die nicht minder neurotischen Versuche der Überanpassung an die ständig wechselnden Anforderungen der kastrophischen Kultur. Dazu zähle ich den überdrehten „Workoholismus“ derer, die noch Arbeit haben, die ihnen sinnvoll erscheint. Bezeichnend für diese fehlgeleiteten Anpassungsversuche scheint mir aber vor allem die verbreitete emotionale Blindheit für alles, was nicht wenigstens potentiell als eigenes Selbst erlebt werden kann: der von den gesellschaftlichen Verhältnissen geförderte Narzissmus ist der der oft bis zum eigenen Untergang vorangetriebene Versuch, mit rein individuellen Mitteln den Überblick und die Kontrolle über die immer undurchschaubarer werdenden Systemzusammenhänge zu behalten. Die Ahnung vom unausweichlichen Scheitern dieses Versuch wird dann zum Motor der anders kaum verständlichen Raffgier, die offenbar alle Eliten inzwischen ergriffen hat, jedenfalls diejenigen unter ihnen, die glauben, dass einzig Geld äußere und innere Sicherheit bieten könnten.
Es ist die Identifikation mit dem Aggressor, die nach der unvermindert gültigen Analyse von Perls und Goodman zu jener „Selbstvergewaltigung „ führt, die sich heute, im Vorfeld der Kipp-Punkte zahlreicher krisenhafter Entwicklungen in den beiden psychischen Hauptstörungen unserer Zeit manifestiert - Depression und Narzissmus. Schließlich gibt es drittens zahlreiche Vermeidungsstrategien, mit denen Menschen versuchen, dem Stress, der Hetze, dem Gefühl, nichts tun zu können, und der unbestimmten Angst zu entgehen. Mit diesem Begriff meine ich alle Verhaltensweisen, die geeignet sind, unsre Bewusstsein so einzutrüben, dass wir die aktuellen wie die anstehenden Gefährdungen unseres Lebens durch krisenhafte Entwicklungsprozesse nicht mehr so wahrnehmen, wie es unserer Intelligenz und unserem erreichbaren Kenntnisstand entspricht..
Jeder kennt solche Strategien von sich selbst – und soweit sie unseren Erholungs- Regenerationsbedürfnissen dienen, sind sie gesund und sie tragen zu unserem seelischen Gleichgewicht bei.
• Ein guter Schlaf ist überlebenswichtig,
• Abschalten und innehalten Können ist hilfreich,
• Loslassen oft notwendig,
• Erholung und Ausspannen helfen uns dabei, danach wieder mit vollem Gewahrsein aktiv zu werden,
• ja sogar Muße und Müßiggang haben im Zeitalter der Geschwindigkeit und Beschleunigung einen Wert an sich.
Aber es gibt eine feine Grenze, jenseits der alle diese guten und notwendigen Verhaltensweisen nicht mehr coping strategies sondern Vermeidungen bez. Verdrängungen sind. Der moderne gestalttherapeutische Begriff der Verdrängung bezeichnet nicht mehr wie bei Freud die Verschiebung von Unangenehmen in die black box des Unbewussten, sondern die Tätigkeit der Vermeidung und Unterdrückung der Erinnerung an unlustvolle oder bedrohliche Erfahrungen und Tatsachen. Worin diese Tätigkeit jeweils besteht, muss im Einzelfall beobachtet und geprüft werden. Vieles geschieht hier sicherlich einfach aus Gewohnheiten, die sich aus Bequemlichkeit und Mangel an Gewahrsein einschleichen, und die - ohne dass wir es so ganz merken würden - den allgemeinen Gedächnis-Schwund unterstützen.
Eine besonders gefährliche Grenze wird aber überschritten, wenn die Coping-Strategien Suchtcharakter bekommen."
In jüngeren Jahren hatte Dreitzel (1974) seine Feststellungen zur Soziogenese psychischer Störungen noch rhetorisch in Frageform gekleidet: "Ein hohes Maß an Affektkontrolle...ist offenbar eine funktionale Notwendigkeit für eine organisatorisch und technologisch derartig komplexe Gesellschaft wie die unsrige. Ob aber das Bürgertum hier nicht aus historisch eigens zu untersuchenden Gründen eine Rigidität entwickelt hat, die nicht nur das Maß des funktional Notwendigen bei weitem übersteigt, sondern eben grade dadurch ein inzwischen unübersehbares Maß an psychischen Störungen verursacht hat, die ihrerseits durchaus auch im Sinne der Produktivitätswerte dysfunktional wirken, ist doch wohl eine Frage, die kaum noch verneint werden kann." (a.a.O. S. 45)
Auch wenn Dreitzel (1980) sein soziogenetisches Schema der Verhaltensstörungen selber zweifellos "mehr als unzureichend" nennt (a.a.O. S. 209), so hat er doch in der Einleitung dieses Kapitels zwei für die Arbeitspsychiatrie höchst relevante Grundlagen benannt:
1. "Das Verhältnis von Bedürfnisstruktur und Rollensystem, das stets ein Ausdruck der gesellschaftlichen Verfassung ist und doch je individuell bewältigt werden muß, stellt sich im Laufe des Lebenszyklus mit seinen wechselnden Diskurswelten wie auch im Laufe der Entwicklungsgeschichte einer Gesellschaft mit ihren allmählich sich wandelnden Reproduktionsverfahren und den Veränderungen ihres kulturellen Milieus (Hervorhebung W.B.) je anders dar." Letzteres nennt er die "phylogenetische" Erklärung der Verhaltensstörungen.
2. "In der Perspektive einer kritischen Gesellschaftstheorie, die sich um die historisch-soziologische Analyse gesellschaftlicher Repression bemüht, stellt sich daher die Untersuchung gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse als vorrangig...dar...". (a.a.O. S. 198 f.) ..."...daß die "normalen" empirischen Verhältnisse vielmehr Gegenstand einer Pathologie des Rollenverhaltens sind, die zugleich auf die PATHOLOGIE DER MENSCHEN WIE AUF DIE IHRER INSTITUTIONEN verweist." (a.a.O. S. 311; Hervorhebung W.B.)
Wie jeder andere formuliert auch Dreitzel keine geschlossene, widerspruchsfreie Theorie unseres hochkomplexen Themas, zeigt aber doch einen nicht mehr zu leugnenden Bezugsrahmen: Ein die Grenzen des Humanen übersteigendes Tempo von Bedürfnisstimulierung wie Leistungsverdichtung bei gleichzeitiger massenhafter Prekarisierung der Sozialisationsbedingungen im Interesse der kriselnden Kapitalverwertung sind herausragende makrozoziale psychopathogene Kräfte.
Hier sei noch einmal erinnert an Fuchs (2018) “Chronopathologie einer ständig beschleunigten Gesellschaft”. Ähnliches hatte schon Bröckling 2007 (zit. nach Keupp, 2020) konstatiert: "Depressive Erschöpfung (ist) die dunkle Seite der auf Dauer gestellten Hyperthymie des unternehmerischen Selbst." Aber dieses Framing des Problems in der Medizinersprache vermeidet den politischen Bezug : „Die Bourgeoisie kann nicht existieren, ohne die Produktionsinstrumente, also die Produktivkräfte, also sämtliche gesellschaftlichen Verhältnisse fortwährend zu revolutionieren“ (kommunistisches Manifest, 1848); diese Perspektive sprengt den Rahmen meiner Fachwissenschaft. Für uns Studenten wäre der Vorwurf, Fachidiot zu sein, 1968 noch verständlich gewesen; heute ist die ideologische Verschleierung der kapitalistischen Ausbeutung so dominant, dass ihr Fehlen als Thema der Sozialpsychiatrie fast selbstverständlich ist, das Gegenteil unwissenschaftlich erscheint !
Theorie und Praxis der gegenwärtigen Psychiatrie sind fast blind gegenüber diesen Krankheits-Ursachenbündeln, wie am Beispiel der Arbeitspsychiatrie gezeigt wurde. Derart Herrschaftsverhältnisse zu verschleiern und geistig abzusichern nennt man frei nach Marx (vgl. Haug et al. 2004) Ideologie.
Ähnlich hatte Keupp (1974) argumentiert "...daß eine beschränkt klinische Sichtweise (z.B. das "medizinische Modell") blind ist für die aufgezeigten gesellschaftlichen Handlungszusammenhänge und sie erfüllt dadurch in ihren Analysen häufig ideologische Funktionen, sie verdinglicht gesellschaftlich-prozessuale Abläufe zu statisch – ontischen Wesenseigentümlichkeiten." ( S.33).
Für Soziologen gilt die Standortgebundenheit der Realitätserfassung z. B. durch arbeitgebernahe oder gewerkschaftsnahe Beobachter nicht erst seit Karl Mannheims "Wissenssoziologie" als unhintergehbar. (vgl. Ritsert, 2002, S. 56 f.) In diesem Licht betrachtet ist ein allzugroßer Teil der arbeitspsychiatrischen Empirie damit beschäftigt, den Arbeitgebern Argumente zur Abwehr gewerkschaftlicher Arbeitsschutzforderungen zu liefern.
MacKenzie (1978) gelang die Beziehung zwischen Pearsons eugenischer Ideologie und seinem Kausalitätsbedürfnis bei der Berechnung seines Korrelationskoeffizienten aufzuzeigen: Wenn die Sozialpsychiatrie der Arbeit in der weiter oben exemplarisch dargestellten Weise sich von Partikularinteressen in das Prokrustesbett einer interpretationsanfälligen und fast unübersichtlichen Nichtnachvollziehbarkeit ihrer statistischen Methoden zwängen lässt, so müsste doch längst der Ruf nach einem zeitgenössischen MacKenzie laut werden : Insofern wirkt die lange Tradition der wissenschaftlichen Aufklärung wie ein Lebenselixier – sapere aude !
In der letzten großen Finanzkrise sprach sogar die Bundeskanzlerin davon, zur Geisel der Finanzmärkte geworden zu sein, wie der Psychoanalytiker Tuckett (2013) zitiert, der aus Tiefeninterviews im Jahr 2007 mit 52 Vermögensverwaltern resümiert, “dass ein Finanzmarkt fortwährend die Gelegenheit dazu erzeugt, bereitwillig wahnhafte Überzeugungen von fantastischen Objekten, gespaltenen Zuständen und Gruppenempfinden aufzugreifen”. Er schließt mit einem Zitat von Keynes, 1936: “....die Lage wird ernst, wenn das Unternehmertum die Seifenblase auf einem Strudel der Spekulation wird. Wenn die Kapitalentwicklung eines Landes das Nebenerzeugnis der Tätigkeiten eines Spielkasinos wird, wird die Arbeit voraussichtlich schlecht getan werden”.
Nachtwey (2017) sieht den wirtschaftsgeschichtlichen Rahmen unseres Themas ebenfalls in düsteren Farben: „Nach 1973 begann der lange Niedergang der westlichen Ökonomien, eine Krise, für die sie bis heute keine Lösung gefunden haben“...“Mit der Dauerschwäche der Wirtschaft schwanden die Ressourcen und der Wille zur sozialen Integration“ (S. 11) Insgesamt sieht Nachtwey eine „Revolte des Kapitals“ gegen die soziale und demokratische Einhegung des Kapitalismus (S. 49) mit der Folge von zunehmenden sozialer Spannungen, Armut, Prekariat, Ungleichheit.
Wie schwer es allerdings für den soziogenetisch denkenden Sozialpsychiater wird, Anleihen bei der kritischen Sozialphilosophie aufzunehmen, mag Honneth (1994) verdeutlichen: “Nicht leicht war es, Aufsätze zu finden, die sich angesichts der neueren Entwicklungen noch einmal mit den Problemen der entfremdeten Arbeit auseinandersetzten so sehr ist diese, noch vor dreißig Jahren im Zentrum stehende Fragestellung aus dem öffentlichen Bewußtsein verschwunden...“. Dieser Satz steht am Ende eines skeptischen historischen Überblicks über sehr verschiedenen Ansätze, Pathologien des Sozialen zu diagnostizieren: Foucaults Methodenkritik der jeweils implizierten Ethik hätte „diese äußere Schale der Sozialphilosophie aber inzwischen so vollständig zertrümmert...“ (S. 58), dass Honneth nun keinen verbindlichen ethischen Maßstab zur Beurteilung von Pathologien des Sozialen mehr angeben mag: Über die Zukunft der Sozialphilosophie als kritischer Instanz äußert er sich am Ende nur hypothetisch, auch wenn er als gemeinsamen Nenner der Klassiker herausgearbeitet hatte, „dass mit der Beschleunigung des industriellen Wachstums ein gesellschaftliches Funktionserfordernis bedroht ist, das zu den tiefsitzenden Voraussetzungen allen menschlichen Lebens gehört“ (a.a.O. S.56).
Allerdings will auch erwogen werden, dass ein organmedizinisches Krankeitsmodell mit der Suche nach monokausalen Eindeutigkeiten uns auf eine falsche Fährte lockt: Vor langer Zeit hatte ich aus Luhmann (1972) notiert, die Kausalgesetze dürften nur auf determinierte Systeme angewendet werden, nicht auf das Sozialsystem:"Jede Wirkung hat unendlich viele Ursachen, jede Ursache unendlich viele Wirkungen. Dazu kommt, daß jede Ursache in unendlicher Weise mit anderen kombiniert oder durch andere ersetzt werden kann, wodurch sich entsprechende Unterschiede im Bereich der Wirkungen ergeben. Schließlich kann jeder Kausalprozess sowohl in sich unendlich geteilt als auch in unendliche Ferne verfolgt werden. Wenn man diese Problematik ins Auge faßt, verliert die ontologische Auslegung der Kausalität ihren Sinn. Es ist dann nicht mehr möglich, Ursache und Wirkung als bestimmte Seinszustände zu deuten und die Kausalität als invariante Beziehung zwischen einer Ursache und einer Wirkung festzustellen. Der Ausschluss aller anderen Ursachen und Wirkungen ist nicht zu rechtfertigen "...Aussagen unter der Voraussetzung ceteris paribus"besitzen keinen empirischen Wert, wenn die Ausschaltung aller anderen Kausalfaktoren faktisch nicht durchgeführt werden kann. Und das gelingt in der Sozialwissenschaft typisch nicht." (a.a.O. S. 16)
Die Sozialpsychiatrie der Arbeit könnte man nach Luhmanns Text als methodengeschichtlich hoffnungslos verspätetes Suchen nach kausalen Beweisen sehen, wo keine zu finden sind. Wie kann ein genuin sozialmedizinisches Feld mit den analytischen Methoden der Mechanik beackert werden ? Die endlosen Streitereien der Wissenschaftler für und wider ihre Kausalbeweise darf nur ein böser Spott in die Nähe scholastischer Spitzfindigkeiten des Mittelalters rücken, wieviele Engel auf eine Nadelspitze passen.
Hat aber nicht längst die Arbeitsmedizin bei der Anerkennung der jüngsten Berufskrankheiten u.a. auf Grund statistisch gar nicht selten um einen Faktor <2 gesteigerter epidemiologischer Risiken (BAuA Berufskrankheiten Merkblätter) Lösungen für dieses Problem gefunden, vor dem die Sozialpsychiatrie der Arbeit steht, wie der Ochs vorm Berg ? Der Hinweis auf fehlende oder gar unmögliche Kausalbeweise entlastet die Arbeitgeberseite. Nach Luhmann schiede im Streit zwischen Arbeit und Kapital um die Folgelasten von Arbeitsstress die empirische Sozialpsychiatrie als ein Zünglein an der Waage aus. Cui bono?
Wer eine offen ideologische Position auf dem Gebiet der Arbeitspsychiatrie studieren möchte, für den ist ein Blick in Wainwright und Calnan (2002) unverzichtbar: Sie spielen die objektiven Daten zur Verschärfung der psychosozialen Arbeitsbedingungen i.R. der Dauerkrise des Spätkapitalismus herunter. In postmodern-konstruktivistischer Machart wird die Häufung psychischer Störungen bei Berufstätigen zu einem Trick der geschwächten Gewerkschaften verdreht, die „Epidemie“ sei gemacht ! Die Rede vom Arbeitsstress befördere ein zutiefst anti-humanistisches Absenken der Erwartungen an das menschliche Potential ( a.a.O. S. VIII) “Resistance to the therapeutic imperative is a form of heroism and should be applauded as such...” (a.a.O. S. 197).
Schumann (2002) zeichnet als kritischer Industriesoziologe in seiner Göttinger Abschiedsvorlesung die gegenwärtige Erwerbssozialstruktur als Wolkenkratzer, mit der globalen Klasse im Penthouse, darunter die Etagen der Modernisierungsmacher, Modernisierungsmitgestalter, Modernisierungs-
ausgesparten, im Souterrain die Modernisierungsbedrohten, im Keller die neue Unterklasse der dauerhaft ausgeschlossenen Modernisierungsverlierer, nicht ohne an Horkheimer zu erinnern, der 1934 darunter "das eigentliche Fundament des Elends" beschrieb, und unterhalb dieser "Räume, in denen millionenweise die Kulis der Erde krepieren, wäre dann das unbeschreibliche, unausdenkliche Leiden der Tiere, die Tierhölle in der menschlichen Gesellschaft darzustellen...". Horkheimer habe die Philosophen persifliert, die in den höchsten Etagen dieses Wolkenkratzers über die Wesensschau philosophieren dürften: Würden sie ihre soziale Fallhöhe bedenken, könnte ihnen schwindlig werden. Wenn sie statt abstrakter Werte das System der Unwerte dieses Wolkenkratzers aufstellten, "könnten [ sie] sonst zur Strafe in ein tieferes Stockwerk ziehen müssen".
Ist es nicht unumgänglich, diese Ideologiekritik auf die Arbeitspsychiatrie anzuwenden ?
Komplementär zur sozialen Funktion der Ideologie zeigt Balints ironische Bemerkung über seine Gruppenarbeit mit praktizierenden Ärzten gleichsam ihren individueller Aspekt (1957): “Wir meinen mit der apostolischen Sendung oder Funktion in erster Linie, dass jeder Arzt eine vage, aber fast unerschütterlich feste Vorstellung davon hat, wie ein Mensch sich verhalten soll, wenn er krank ist. Obwohl diese Vorstellung keineswegs klar und konkret ist, ist sie unglaublich zäh und durchdringt…praktisch jede Einzelheit der Arbeit des Arztes mit seinem Patienten. Es war fast, als ob jeder Arzt eine Offenbarung darüber besäße, was das Rechte für seine Patienten sei, was sie also hoffen sollten, dulden müssten, und als ob es seine , des Arztes, heilige Pflicht sei, die Unwissenden und Ungläubigen unter den Patienten zu diesem seinem Glauben zu bekehren.“ Muss ich mich fragen, ob meine “Offenbarung” von den psychopathogenen Arbeitsbedingungen postmodern beliebig neben den biologistischen "Offenbarungen" der Dienstklasse der großen Vermögensbesitzer (Krysmanski 2015) steht, oder findet der Leser eine andere Antwort ?
Die Multimilliardäre und ihre zahllosen Helfershelfer haben den Sozialstaat in Westeuropa bis zur Unkenntlichkeit umgekrempelt und von einer Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen profitiert. Dieses vermehrte soziale Elend ist an der Wurzel vieler psychiatrischer Einzelschicksale mehr oder weniger eindeutig als Teil-Ursache nachweisbar (Bolm 2016); 200 Jahre nach Marx darf es getrost auch als Ausfluss des siegreichen Klassenkampfes von oben gedeutet werden.

 


 

Kriminalität der Mächtigen


 

Wie kann eine Sozialpsychiatrie des Arbeitslebens auskommen, ohne die Kriminologie der Mächtigen zur Kenntnis zu nehmen? Exemplarisch sei auf Ruggiero (2008, S. 284) verwiesen:”Like colonialism building the industrial revolution on predation, new corporations and states build their profit on deregulation,… Far from reducing poverty, transnational economic activity generates criminal opportunities...”. Wer könnte nach der aktuellen Weltwirtschaftskrise, nach Dieselgate und Panamapapers noch glauben, dass die CEO’s bei der Maximierung ihrer Renditen die Erhaltung gesunder Arbeitsplätze oder die Vorschriften des Arbeitsschutzes ernster nehmen als die des Steuerrechts oder des Umweltschutzes – die sie bekanntlich auf breiter Front hintergehen ?
Der emeritierte Bremer Finanzwissenschaftler Hickel (2019) erklärt die Selbstdemontage führender DAX-Konzerne :"Im aggressiven Klima des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus wird die maximale Kapitalrendite zur einzigen Zielgröße. Shareholder-Interessen sowie die „Social Responsibility“ werden zu Störgrößen"..."Dieser profitwirtschaftliche Systemdruck führt jedoch nicht nur zu waghalsigen, hoch riskanten Geschäften innerhalb des geltenden Rechtsrahmens. Nein, die asoziale Profitlogik motiviert auch zu strafrechtlich kriminellem Verhalten. So kommt es auch in den Industrieunternehmen immer wieder zu illegaler Ausbeutung von Beschäftigten, zu monopolistischen Kartellabsprachen (etwa Schienenkartell mit ThyssenKrupp), Zahlungen von Bestechungsgeldern und kriminellem Umweltfrevel."
Von der Unterstützung Fords und Thyssens für Hitler über die kriminelle Energie hinter der letzten Immobilienblase bis zu Schleckers strafbarem Verhalten führt eine teils blutige Spur zum Leid der kleinen Leute – hatte es nicht Zola in L’Argent schon 1890 treffend beschrieben ?
Die Verengung des analytischen Blicks durch den empiristischen, individualistischen Szientismus der herrschenden Arbeitsmedizin und Psychiatrie blendet allerdings diese kritische Perspektive weitgehend aus: Cui bono ?
Thielscher (2018) leitet die Ökonomisierung der Medizin aus Neoliberalismus, Globalisierung, Postmoderne und Utilitarismus ab: "Je imperativer die ökonomische Fuchtel dominiert, desto inhumaner wird Medizin", so zitiert er aus Bliemeisters Hilferuf eines ausgebrannten Arztes "Katastrophe Krankenhaus". Im zitierten Text (Die Erlebnisse eines Honorararztes in einem chronisch kranken System – subjektiv verdichtet zu einem typischen Tagesablauf , Bliemeister 2014) heißt es aber weiter:"Patienten sind keine Kunden, Gesundheit keine Ware, Ärzte und Schwestern kein Service-Personal, Kliniken keine Reparaturbetriebe. Soll ein Gesundheitssystem Gewinn erbringen, muss es funktionell sein. Medizin als zwischenmenschliche Beziehung wird dabei versachlicht. Profit für wenige macht alle zu Opfern. Interessanterweise wird die unerbittliche Kälte dieser Entwicklung allgemein ignoriert. Lieber attackieren Ärzte, Schwestern und Patienten einander wechselseitig als gemeinsam die dafür verantwortliche Politik." Thielscher zum Nutzen der wissenschaftlichen Analyse dieser Verhältnisse:"Akademischer Widerspruch zählt nicht sehr (postmoderne Umwertung von Lügen zu "alternativen Fakten" – es scheint ja alles gleich gültig zu sein)" (S. 819).
Ich nehme an, dieselben makrosozialen Kräfte erklären einen Großteil der oben skizzierten Fälle von Ideologieverdacht in der Arbeitspsychiatrie. Den Moloch der kapitalistischen Wirtschaft in seinen menschenunwürdigen Auswirkungen zu analysieren, bis die letzten Skeptiker überzeugt sind, nutzt wenig; es kommt darauf an, ihn zu verändern.

 


 

Danksagung


 

Eine frühere Version dieses Textes hat sehr von den Rückmeldungen von Helga Gerlinger-Bolm, Gerhard Bolm, Ulrich Bolm-Audorff und Heinz-Hubert Hackelberg profitiert.

 


 

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