56 psychiatric patients in day-hospitals and 12 outpatients in psychotherapy have been evaluated by goal-attainment-scaling: That method itself has been questioned and scrutinized.
Materialien für eine Kritik der politischen Arbeitspsychiatrie:
Dominiert das Unternehmerinteresse die Forschung ?
Wolfgang Bolm
Unveröffentlichter Entwurf, Berlin 2020 Letzte Korrektur 2023
Machen etwa die zunehmende Arbeitsverdichtung und Verunsicherung durch
drohende Arbeitslosigkeit vermehrt seelisch krank ? Wer wollte daran
zweifeln, auch wenn selbstverständlich psychische Krankheiten meist aus
vielen Teilursachen entstehen ? Doch die zunehmenden Krankschreibungen
und Verrentungen werden von Konservativen kleingeredet: Wer die
seelischen Krankheiten nicht nur bei denen auszählt, die zum Arzt gehen,
sondern Jedermann befragt, findet angeblich unveränderte Häufigkeiten.
Aus der Riesengruppe derer, die trotz seelischer Leiden unbehandelt
bleiben, gingen heute mehr zum Arzt und würden leichter als seelisch
krank erkannt.
Eine gründliche Überprüfung der wissenschaftlichen Grundlagen dieser
konservativen Behauptungen deckt jedoch eine erstaunliche
Unglaubwürdigkeit ihrer Zahlen auf:
Die Wiederholung einer bundesdeutschen Bevölkerungsuntersuchung von
1998 in 2008 leidet an soviel mehr Verweigerern, dass die Ergebnisse
nicht mehr unbesehen verallgemeinert werden dürften.
Eine von Konservativen gern angeführte Untersuchung von Richter u.a.
will in Fachaufsätzen bis zum Jahre 2008 und erneut 2013 keine Zunahme
seelischer Störungen gefunden haben. Ihr Verfahren ist mangelhaft.
Die Bevölkerungsuntersuchungen 1998 und 2008 wurden mit einem als
„CIDI“ abgekürzten Leitfaden zur Erstellung computergestützter Diagnosen
aus Befragungen durch Laien durchgeführt: CIDI ist stark umstritten und
führt zu in sich widersprüchlichen Ergebnissen, die mit ärztlichen
Untersuchungen schlecht übereinstimmen.
Seelisch Kranke werden viel umfangreicher mit Arzneimitteln und
Psychotherapie versorgt; wenn es trotzdem wenigstens nicht weniger
werden, könnte das nicht z.T. am gewachsenen Arbeitsstress liegen ?
Die gesetzlich vorgeschriebene Untersuchung von seelisch gefährlichen
Arbeitsbedingungen erfolgt nur an wenigen Arbeitsplätzen; nur bei einem
Bruchteil der erfassten Gefahren werden die Maßnahmen dagegen überprüft.
Ob die Gefahren beseitigt wurden, wird nicht erfasst, geschweige denn,
geahndet.
Die Arbeitsweise einiger konservativer Wissenschaftler wird im
Einzelnen untersucht: Wo fragwürdige Wissenschaft aufhört, wo unter der
Tarnkappe der Wissenschaft die Verteidigung der Interessen der Reichen
anfängt, bleibt meist ungewiss.
Beliebtester Einwand der Konservativen: Nicht der Arbeitsstress macht
krank – die schon länger seelisch Kranken kommen nicht mehr mit und
schieben ihre persönliche Schwäche z.B. auf den Chef, der zu viel Druck
mache. Als ob die seelisch Kranken weniger Recht auf Schutz vor
unerträglichem Stress hätten, als die Gesunden.
Aber die Wahrheit über seelisch unerträgliche Arbeitsbedingungen wird
z.T. offen als Lüge verteufelt. Der Stress erwächst auch aus den
Grundlagen des Kapitalismus, dem Zwang zur Leistungssteigerung ohne
Ende, dem Abbau von Schutzrechten der Arbeitenden, der Begünstigung von
Wirtschaftsstraftaten etc.. All dies unter den wachsamen Augen von
Wissenschaftlern, die sich meistens damit arrangiert haben, dass Geld
die Welt regiert und für die überwiegend gilt: Wes Brot ich ess‘, des
Lied ich sing‘.
Einführung
Vorweg muss ich betonen, dass der folgende Text nicht behaupten soll,
ich hätte in meiner Zeit als leitender Arzt einen nennenswerten Beitrag
zur Verringerung des Arbeitsstress‘ meiner Mitarbeiter zustande gebracht
oder meine bescheidenen Beiträge zur Arbeitspsychiatrie qualifizierten
mich zum Beckmesser über andere Forscher.
In der Geschichte der Psychiatrie gibt es Beispiele großer
Hellsichtigkeit für die beruflichen Ursachen seelischer Störungen:
Esquirol hatte schon 1816 bemerkt, die „Häufigkeit der Geisteskrankheit
steht mit den Berufen, die den Menschen von sozialen Erschütterungen
abhängig machen, im Verhältniß“. Als Beispiele nennt er u.a.
„Militairpersonen, deren Laufbahn vom Glücke abhängt, Kaufleute,
besonders die, welche gewagte Speculationen unternehmen, Beamte, deren
Existenz von dem Willen ihres Chefs abhängt...“Allerdings führt seine
Statistik (S. 50) nur 3 Fälle mit „Änderung des Standes“ von insgesamt
264 bzw 200 Krankenhausbehandelten auf , aber 10 bzw 14 mit der
angenommenen Krankheitsursache „Masturbation“ !
Die Freude an der historischen Kontinuität meines Themas bleibt auch
nicht ungetrübt bei Hellpach, der 1906 in einer Nebenbemerkung „eine
der wichtigsten Ursachen chronischer nervöser Erschöpfung“ ganz
selbstverständlich gegeben sieht “in der Widerwilligkeit der
Berufsausübung [d.h. Unfreiwilligkeit, W.B.], in der Überanstrengung
durch Fremde – den Brotherrn, den Vorgesetzten – oder durch zwingende
Motive – Erhaltung der Familie, Sorge für die Zukunft, sozialer
Ehrgeiz...“. Aber an seinen „Berufspsychosen“ beeindruckt doch zuerst
die Vergänglichkeit der Fachsprache ( er verwirft den Cäsarenwahn und
den „Apothekerklaps“ führt aber hysteriforme Erkrankungen bei
Schauspielern, eine Art
dissoziale Persönlichkeitsentwicklung bei Sammlern und die Hypochondie
der Ärzte auf).
Milieutheoretische Ansätze in der psychiatrischen Ursachenlehre sind
in den letzten Jahrzehnten weitgehend verdrängt worden durch einen
Biologismus, der von machtvollen Interessengruppen beherrscht wird
(Weinmann, 2019).
Halliday leitete 1948 den Zusammenhang von psychischer Verelendung,
Wirtschaftskrise und kapitalistischer Entwicklung (die er so nicht beim
Namen nennt) am Beispiel der Krise der britischen Bergleute nach
Mechanisierung ihrer Arbeit in qualitativ absolut überzeugenden Passagen
ab; so zitiert er einen Kollegen über die Hauptursache der
Unzufriedenheit der Bergleute „ ...they were being driven much harder
because they had to keep up with the machinery.“ (a.a.O. S. 185 f.)
Besonders i.R. der Massenarbeitslosigkeit in Schottland 1930-35 mit
sinkenden Löhnen sei die Rate psychosomatischer Erkrankungen erheblich
angestiegen, (Gastritis 120%, „nervous debility“ 100% etc.), eins der
vielen Symptome einer Desintegration der Gemeinschaften der
Bergarbeiter. Jedoch sei auf den a.u.- Bescheinigungen als Diagnose
nicht direkt Neurose oder Neurasthenie angegeben worden, vielmehr „the
nature of the illness was often disguised by terms such as „debility“,
„anemia“, „gastritis“,“rheumatism“ (a.a.O. S. 62). Wie
täuschungsanfällig die Rückübersetzung solcher diagnostischen
Konventionen geraten muss, bleibt offen.
Diese ganzheitliche, historische und tiefenpsychologische Ätiologie ist
aber insgesamt so beeindruckend dargestellt, einschließlich
ausdrücklicher, wiederkehrender Hinweise auf den sekundären
Krankheitsgewinn (sic ! ), dass sie im Reader von Mitscherlich et al.
1967 in ganzer Breite nachgedruckt wird; dennoch lässt das Original bei
den statistischen Belegen arg viel zu wünschen übrig. Nach der
Entdeckung von helicobacter pylori überzeugen heute das Ulkusleiden als
psychosomatische Kardinalstörung ebensowenig wie die Frauenemanzipation
oder die nachlassende Fertilität als Zeichen einer „sick society“.
Interessanterweise stellt Halliday seiner Arbeit als Motto ein Zitat
aus einem Roman des schottischen Autors Neil M. Gunn voraus (The
serpent, 1943): „Every personal problem is more than a personal problem;
it is a communal one.“ „I never rightly understood – about that.“
murmured the shepherd. „Who does ?“ replied the philosopher, „after
giving more years to it than I can remember, my own thoughts have become
a little clear only to myself.“ Das sollte man nicht nur als
wundervolles understatement britischen Humors goutieren: Durch das
Grenzgebiet zwischen Tiefenpsychologie, Geschichte und Epidemiologie
verlaufen doch auch die Schützengräben der tagespolitischen
Klassenkämpfe – und stirbt im Krieg die Wahrheit nicht als Erste ?
Seit meinen frühen Jahren als psychiatrischer Assistenzarzt versuchte
ich dennoch, die beruflichen (Teil-) Ursachen psychischer Störungen zu
verstehen (Bolm 1976, 1980a, b), hoffte auf die zukünftige Entwicklung
eines Spezialgebiets „Arbeitspsychiatrie", entsprechend "occupational
psychiatry", die sich im englischen Sprachraum etabliert hat. Da ich
seit meinem Ruhestand Ende 2012 meine Muße für ein wenig
wissenschaftliche Reflektion nutze, könnte die Entfernung vom Alltag der
Patientenarbeit die Gültigkeit meiner Ergebnisse einschränken. Voraus
sei auch erinnert an die Selbstverständlichkeit, dass seelische
Krankheiten sich fast immer aus dem Zusammenwirken einer größeren Zahl
von Teilursachen entwickeln (bio-psycho-soziale Multikonditionalität);
im Folgenden soll also keinesfalls einer beruflichen Monokausalität das
Wort geredet werden.
Kürzlich hörte ich von einem kanadischen Epidemiologen Soskolne
(2017), der in London in einem Vortrag über ein meinem Thema scheinbar
fern liegendes Gebiet, die Toxikologie der Flugzeug-Kabinenluft,
moralisch empört einen Überblick über die uralte, dramatische Tendenz zu
interessegeleitetem Betrug in der Wissenschaft gab.
Di Trocchio (2003) bringt diesen Betrug in einen
wissenschaftsgeschicht- lichen Zusammenhang mit der exponentiellen
Zunahme der Wissenschaftler und einem relativen Rückgang der
Fördermittel, dem System von „publish or perish“ und dem Vorherrschen
von Mittelmaß in der Förderbürokratie : „Statt also Anreize für wirklich
kreative Forscher zu schaffen, werden systematisch professionelle, aber
wenig kreative Wissenschaftler ausgewählt und bevorzugt, von denen man
sich mehr erhofft, als sie dann einlösen können. Das ist der Grund,
warum sich diese Forscher am Ende manchmal gezwungen sehen, bei einem
Betrug Zuflucht zu nehmen...“ (a.a.O. S. 95).
Die adäquate Entschädigung der seelischen Störungen mit beruflicher
(Teil-) Ätiologie und deren Prävention wäre vermutlich ein
Multimilliarden - Euro-Thema, viel größer als Asbest oder Blei. "Sollte
in Vergessenheit geraten sein, mit welchen Manipulationen und PR-Tricks
die Pharma-Lobby (Angell, 2010), die Asbest-Lobby (JPC-SE, 2012), die
Zigaretten-Lobby, die Zucker-Lobby etc. (Oreskes u. Conway, 2011 , Union
of concerned scientists, 2017) die wissenschaftliche Community an der
Nase herumgeführt haben - und im Fall der Arbeitspsychiatrie sollen wir
weiter das Spiel von Hase und Igel mitmachen ?" (Bolm 2017)
Selbstverständlich will ich damit keineswegs das Gros derjenigen
Arbeiten über arbeitstressbedingte psychische Störungen unter
Ideologie- oder Korruptionsverdacht stellen, die dem Arbeitsstress eine
ätiologische Bedeutung absprechen. Diese Forschung findet aber
offensichtlich in einem politisch verminten Gelände statt, dem
Klassenkampf von oben:”There’s class warfare, all right, […] but it’s my
class, the rich class, that’s making war, and we’re winning.” – Warren
Buffet im Interview mit Ben Stein, New York Times, 26. November 2006.
Eine Untersuchung des Zusammenhangs von Arbeitsbedingungen und
psychischer Gesundheit unter Außerachtlassung dieser heftigsten
historisch gewachsenen Interessenkonflikte gerät natürlich leicht ins
Ideologische, in die Vernebelung und damit Stabilisierung sozialer
Machtstrukturen.
Insofern gibt es eine politische Arbeitspsychiatrie, die , soweit ich
beobachten konnte, überwiegend im Gewand der biederen Empirie auftritt.
Als erster Schritt zu einer späteren politischen Würdigung dieser
Positionen soll im Folgenden ihre Methodenkritik stehen, ganz immanent !
Natürlich hat der Streit wissenschaftlicher Meinungen auch seine
allzumenschliche Seite: Gemeint ist der „Machiavellismus der Rede“, „die
Lehre vom Verfahren der dem Menschen eigentümlichen Rechthaberei“, also
Schopenhauers eristische [gr. erizein = streiten] Dialektik (1995).
Konstante Prävalenz psychischer Störungen?
Die sozialkritische Feststellung, die Arbeitsbedingungen trügen zu
psychischen Störungen bei, wird vom bürgerlichen Lager gern
konterkariert mit dem Hinweis auf gleichbleibende auf die
Allgemeinbevölkerung bezogene Einjahres-Prävalenzraten:
Die von Wittchen et al. 2011, Richter u. Berger 2013 oder Jacobi et
al. 2014 durchaus benannten vielfältigen Begrenzungen ihrer
epidemiologischen Methoden bleiben bei diesen pauschalen Aussagen
erstaunlicherweise völlig unberücksichtigt, z.B. in dem offen
tendenziösen Essay von Dornes, 2016, oder der ähnlich fragwürdigen, sich
als „Wissenschaftliche Standortbestimmung“ aufwertenden Arbeit von
Rothe et al. (2017; zur Kritik vgl. Bolm 2018). Die methodischen
Grundlagen dieses Schlüsselarguments einer Konstanz der Prävalenzrate
psychischer Störungen sollen deshalb hier genauer betrachtet werden:
Jacobi et al. (2013a) beklagen, dass die zwischen 1998 und 2008 von
64% auf 42% (für die neu rekrutierten Befragten) gefallene Responsrate
der Felduntersuchungen (Surveys) zu einer Unterschätzung der wirklichen
Prävalenz führt - das rund ein Drittel gewachsene Ausmaß dieser
Unterschätzung allein könnte m. E. einen nennenswerten Zuwachs
psychischer Störungen verbergen ! In Jacobi et al. 2014 werden diese
Bedenken zerstreut unter Hinweis auf Galea & Tracey (2007), „ dass
es wenig Evidenz dafür gibt, dass diese niedrigeren Teilnahmeraten
automatisch mit einem erhöhten Bias verbunden sind.“ (S. 84/85) . Hier
stutzt der kritische Leser, haben doch Galea & Tracey in ihrem
nichtsystematischen Übersichtsartikel zwar 6 Arbeiten gefunden, die
einen geringen Einfluss von höherem Nonresponse auf verschiedene
Risikohäufigkeiten belegen (S. 648 zitieren sie jedoch quantitative
Daten nur aus einen unveröffentlichten Vortrag), sie hatten zuvor jedoch
15 Arbeiten mit gesteigertem Nonresponse bei psychiatrisch relevanten
Minderheiten zitiert, allerdings ohne die Auswirkung dieses
Zusammenhangs von z. B. Unterschicht, Stigma, Risikoverhalten einerseits
und Nonresponse andererseits auf die Zielvariablen quantitativ
auszuführen: Bezüglich der Unterschicht heißt es lediglich „
Commensurate then with the observation that persons with lower
socioeconomic status are less likely to participate in epidemiologic
studies, study nonparticipants have higher disease and mortality rates,
poorer health status, and lower levels of functioning than study
participants.” (S. 647) Gar keine Entwarnung jedoch geben diese Autoren
für die Unterminierung der Repräsentativität: „Declining participation
rates and the growing complexity of reasons for study nonparticipation
add unpredictability about who is choosing to participate in a study an
who is not and challenge the ability of these studies to confidently
obtain a population-representative sample.“ (S. 648)
Wittchen et al. (2011), die ebenfalls als Kronzeugen für stabile
Prävalenzraten psychischer Störungen aufgerufen wurden, befragten zur
Validierung ihrer Daten nationale Experten; im ungünstigsten Fall fanden
aber z.B. 35% die Alkoholismusraten für ihr Land zu niedrig ,"with a
confidence interval of +/- 25%" (S. 659 f). Als „limitations“ führen sie
u.a. aus:“For methodological reasons studies typically covered only one
diagnosis, or a restricted set of diagnoses, or were very limited to
certain age groups. Thus, the calculation of overall rates and
extrapolation to broader age ranges are based on potentially imperfect
assumptions and should be regarded with caution.“ (S.669) Diese
Abhängigkeit der Daten von Wittchen at al (2011) von Schätzungen nennen
Richter u. Berger (2013) sogar als ein Motiv für ein Update ihres
Reviews über Trenduntersuchungen von psychiatrischen Prävalenzraten von
2008 ! (a.a.O. S. 176).
Methodische Mängel im Review von Richter et al.
Richter et al. (2013) sprechen ihrerseits von "deutlichen
Limitationen" ihres Versuchs, aus wiederholten Querschnittstudien die
Trends der Prävalenz psychischer Störungen abzuleiten: ..."Die
Erhebungszeiträume reichen von 3 –70 Jahre, die Stichprobengrößen von
mehreren 100 bis zu über 100 000 pro Messzeitpunkt. Die Instrumente
variieren von einer Frage bis hin zu aufwendigen Testbatterien. IN
NACHFOLGENDEN SYSTEMATISCHEN REVIEWS ZU DIESER THEMATIK SOLLTE DIE
QUALITÄT DER ARBEITEN BEWERTET WERDEN (Hervorhebung: W.B.)". Weiter
bemängelten sie schon in der Vorläuferstudie von 2008, es “finden sich
in unseren Ergebnissen auch Publikationen, bei denen die Datenerhebung
in drei aufeinanderfolgenden Jahren stattgefunden hat .“ Ich finde 4
Studien mit 3 oder weniger Jahren Abstand der Messpunkte, alle ohne
Zunahme der Prävalenz.
In der Studie 2013 wird dieses Problem des ausreichend großen
Abstands der Messzeitpunkte nicht wirklich problematisiert, obwohl 5 der
33 Studien nur 4 oder weniger Jahre Distanz haben.
Die größte Studie mit „unveränderten“ Häufigkeiten selbstberichteter
Depressivität von Talala et al. (2009) mit über 71000 Befragten gibt
Anlass zu Zweifeln: Die Autoren stellen selbst Limitationen fest: Zur
abfallenden Responserate von über 80% auf 65 % im Langzeitverlauf : „
Lower response rates in the lower socio-economic groups may signify that
the true socio-economic differences in self-reported depression are
even wider than observed in this study“.
Dass sie nur über einen Indikator berichten können (in den letzten 30
Tagen Depression ?) weckt zurecht Zweifel : „However, one has to
remember that it is not a measure of clinical depression, but may cover a
wide range of meanings from the temporary decrease of mood to deeply
impaired, even life-threatening disorders. One main limitation of this
study was that the present general health surveys included only one
question on depression „ (S. 875). Dieses einzige item korreliere nur
mit bestenfalls r = 0,58 mit einem validierten Maß für Depression/Angst.
Auch wenn sich in der langen Serie von Querschnittserhebungen kein
Anstieg für „Depression“ fand, bei der Untergruppe mit geringstem
Einkommen wird eine odds ratio angegeben (OR > 1 bedeutet erhöhte
Chance z.B. für Depression bei dem untersuchten Risiko) von 1.54 für
Frauen und 1.81 für Männer im Vergleich der Jahre 1979 mit 2002 (Tab. 2
u.3); bei allen genannten Unsicherheiten - könnte sich hier nicht auch
eine Folge der finnischen Rezession seit dem Anfang der 90-iger Jahre
zeigen ?
Doch ich kann das Verfahren im Review von Richter & Berger auch in weiteren Details nicht nachvollziehen:
Bei der großen Untergruppe der Depressionen Erwachsener (8 von 33
Studien) stehen entgegen dem Resümee der Autoren lt. Tab 1 sich gleich
viele Studien mit Anstiegen wie Abnahmen/Konstanz gegenüber; in der
Zusammenfassung der 3 Untersuchungswellen der Studie von Spiers et
al.(2012) wird nämlich von Richter & Berger in ihrer Tab. 1
irrtümlich „keine Veränderungen nach einem Anstieg“ resümiert, während
das ausweislich der dortigen Angaben nur für die Männer zutrifft: Beide
Geschlechter weisen zwischen 1. und 3. Welle eindeutige Anstiege der
Depressionswerte auf.
Wenig überzeugend finde ich auch die Zusammenfassung zur Entwicklung
der Prävalenzen bei Kindern und Jugendlichen („In 5 Veröffentlichungen
wurden keine Veränderungen berichtet, 4 Studien fanden einen Anstieg
psychischer Probleme, 1 Studie eine Abnahme.” (S. 177) : Als „keine
Veränderung“ wird die Arbeit von Trzesniewski u. Donnellan (2010)
gezählt, diese Autoren haben aber gar keine Daten zur Psychopathologie
erhoben, dafür u.a. 5 items über Diebstahlsvarianten etc !. In Tab. 1
wird diese Schwäche des Designs mit „diverse
Persönlichkeitseigenschaften und psychische Gesundheit“ als Indikator
für Psychopathologie m. E. verbrämt: Die Aufrechnung von
Persönlichkeitseigenschaften gegen psychische Störungen vergleicht Äpfel
mit Birnen !
Im Diskussionsteil von Richter u. Berger (2013) werden frühere
Arbeiten von Twenge et al. („Generation Me“, „Narcicissm-Epidemic“) mit
einer Reihe von methodenkritischen Referenzen aus einem Themenheft der
Zeitschrift „Perspectives on psychological science“ , 2010, 5(I), in den
Bereich der Unglaubwürdigkeit gerückt (S. 180). Beim Nachlesen der
zitierten Quellen finde ich z.B.: „Twenge (2000) argued that ‘‘The
average American child in the 1980s reported more anxiety than child
psychiatric patients in the 1950s’’(zit. nach Terracciano 2010). Die
hier zitierte Arbeit von Twenge (2010) spricht aber über sog.
Trait-anxiety als Persönlichkeitseigenschaft (S. 1017), die über den
Vergleich mit einer einzigen Patientenpopulation für klinisch relevant
erklärt wird; so bleibt dieses Glied der Argumentationskette über eine
evtl. zunehmende Prävalenz psychischer Störungen wirklich fraglich.
Sollte es ein Zufall sein, dass Richter & Berger (2013)
ausgerechnet von den Arbeiten, die ein Gleichbleiben oder einen Abfall
der psychischen Störungen behaupten, keine einzige methodisch
hinterfragen ?
Aber zurück zur einseitigen Kritik an Twenge et al.: Nicht zitiert
wird aus den ausführlichen Diskussionen in „Perspectives on
psychological science“ , 2010, 5 (I) der australische Autor Eckersley
(2010), der gute Argumente für Twenge et al. beisteuert („Youth suicide
rates, especially for males, increased between the 1960s and 1990s in
many Western nations, tripling or more among males aged 15 to 24 in the
U.S., Australia, Canada, and New Zealand … . Although male youth suicide
has fallen in all four countries since then, the evidence suggests this
is because more young people are seeking and getting help, not that
fewer need help.“ An Glaubwürdigkeit gewinnt dieser Autors zudem, wenn
er die Frage zulässt:“Is it possible to precisely measure inherently
imprecise phenomena, which are both highly subjective and involve
multiple entities interacting in often weak, diffuse, and nonlinear
ways?“.
In der Diskussion ihres Reviews erwägen Richter u. Berger (2013)
als Erklärung der Diskrepanz zwischen öffentlicher Sorge über den
Anstieg psychischer Störungen und ihren Daten eine „Psychiatrisierung
von Belastungsreaktionen nach kritischen Lebensereignissen wie
partnerschaftlichen Trennungen oder Arbeitsplatzverlusten“ ( S. 328):
Das verwundert, ist doch die akute Belastungsreaktion eine anerkannte
psychische Krankheit (ICD 10 F 43.0). Verrät sich im Diskussionsteil
dieser ungeheuer fleißigen, nach größter Objektivität strebenden Arbeit
der Zipfel eines vorwissenschaftlichen Motivs ?
Alles in allem finde ich sie nicht überzeugend, die Schlussfolgerung
in Richter & Berger 2013 „Die Steigerung der Inanspruchnahme von
psychiatrischen Gesundheitsleistungen ist nicht mit einer Zunahme
psychischer Probleme oder Störungen in der Bevölkerung assoziiert“.
Methodenprobleme der bundesdeutschen Surveys
Jacobi et al. (2014) benennen als Limitation ihrer Aussage zur
annähernden Stabilität der 12-Monatsprävalenzen zwischen 1998 und 2008:
„Die Gegenüberstellung mit den Ergebnissen des BGS98 erfolgt
unadjustiert, d. h. dieser Vergleich der Gesamtprävalenzen bedarf
weiterer Korrektur (u.a. weil sich Diagnosespektrum und Definitionen
sich nicht vollständig decken) und kann im vorliegenden Beitrag nur als
grober Anhaltspunkt für einen möglichen Trend herangezogen werden“ (S.
79); 2 Seiten weiter heißt es dazu: “Bei derartigen Vergleichen muss
jedoch beachtet werden, dass in weiteren Analysen für einen solchen
Vergleich noch Anpassungen vorgenommen werden müssen, da sich die
einbezogenen Diagnosen, manche diagnostischen Konventionen sowie einige
Designfaktoren zwischen BGS98 und DEGS1-MH (2008, W.B.)
(soziodemographische Zusammensetzung und Gewichtung) unterscheiden,
sodass ein endgültiger und differenzierter Vergleich der beiden Studien
noch aussteht.“ Ob der Anteil von 12,5% Telefoninterviews 2008 den
Vergleich mit dem 1. bundesdeutschen Survey 1998 erschwert, wird nicht
erwogen, obwohl 1998 alle Interviews direkt erfolgten (Wittchen et al.
1998).
Zu diesem Problem bemerken Brandstätter et al. (2017) „There were
also alterations in assessment methods which limited the degree of
comparability across the two surveys and resulted in the exclusion of
specific diagnoses: In GHSMHS (1998, W.B.), illicit substances were
subsumed under substance and medication abuse/dependency, but were not
assessed at all in DEGS1-MH (2008, W.B.)”. Ob das von ihnen genannte
Gewichtungsverfahren eine Vergleichbarkeit der Surveys zwischen 1998 und
2008 gewährleistet, geht für mich aus den spärlichen Hinweisen nicht
hervor; für die Prävalenzraten werden jedenfalls keine korrigierten
Zahlen vorgestellt.
Zum methodenkritischen ABC gehört der Hinweis, dass schon das
statistische 95%-Vertrauensintervall für "irgendeine psychische Störung"
im Bundesgesundheitssurvey 1998/99 zwischen 29,7 und 32,6% liegt
(Jacobi et al. 2004), diese „Unschärfe“ von 2,9 Prozentpunkten also in
einen Vergleich mit der Folgeuntersuchung DEGS-MH einfließt, die
ihrerseits ein entsprechendes 95%-Vertrauensintervall von zufällig genau
2,9% hat (Jacobi et al. 2014), so dass die Frage des Vergleich beider
Werte mit einem Fehler von 5,8% belastet ist, denn „Veränderungsmaße
vereinigen die Messfehler beider Messzeitpunkte in sich und sind somit
weniger reliabel als Einzelwerte“ (Stieglitz u. Baumann 2001, S. 23).
Genaugenommen gilt diese Aussage für eine Wiederholungsmessung an
derselben Gruppe; solche Daten haben Jacobi et al. (2014) aber gar nicht
vorgelegt, sodass eine Fehlervarianz aus der geänderten Stichprobe
DEGS1-MH in mir unbekannter Höhe hinzugerechnet werden muss.
Jorm & Reavley (2012) hatten im Vergleich von 3 australischen
surveys keinen Abfall der kursorisch erhobenen Prävalenz psychischer
Beschwerden festgestellt, trotz sehr ausgeprägter Verbesserung der
Versorgung. Sie erwägen als eine Erklärung, dass ihre Daten ( N = 1964,
3507 und 5131 in den Jahren 1995, 2003/4 und 2011) nicht genug Power
haben, um einen 1%-igen Unterschied in der Prävalenz zu entdecken, für
die Entdeckung eines 2%-igen Unterschieds in den beiden bestbesetzten
Jahren betrage die Power (Wahrscheinlichkeit der Entdeckung eines wahren
Unterschieds, W.B.) nur 81% (a.a.O. S. 355). Jorm & Reavley machen
für diese Schwäche ihres Datensatzes neben der Fallzahl auch die aus nur
4 mit Ja/Nein/Unbekannt zu beantwortenden Symptomabfragen bestehende
Datenbasis verantwortlich. Wie sähe eine solche Poweranalyse für die
bundesdeutschen surveys aus ?
Ohne diese Einschränkungen zu diskutieren oder die fehlende
differenzierte Auswertung vorzulegen, fassen Jacobi u. Linden (2018)
holzschnittartig zusammen, es sei “keine Zunahme der WAHREN
(Hervorhebung: W.B.) Prävalenz in den letzten Dekaden zu verzeichnen”,
in einer Zwischenüberschrift im folgenden Text klingt das geradezu
kämpferisch: ”Die beklagte Zunahme psychischer Störungen gibt es nicht.”
Das verwundert umso mehr, als Jacobi im gleichen Jahr (Handerer, Thom
Jacobi 2018) zwar immer noch nicht die 2014 angekündigte differenzierte
Auswertung des Vergleichs der deutschen Surveys vorlegt, aber immerhin
eine ansehnliche Zahl von methodischen Relativierungen:
- die behauptete Verbesserung von Validität und Reliabilität des DSM sei fraglich (S. 163)
- die Datenlage zu zeitlichen Trends von Depressionsdiagnosen in
Feldstudien sei widersprüchlich: 9 Studie hätten eine Zunahme
verzeichnet, 5 eine Konstanz, oder wenigstens eine Stagnation nach
länger zurückliegendem Anstieg (4 Studien).
- die Selektion der Studienpopulationen liefere tendenziell konservative
Ergebnisse, die sinkende Teilnahmebereitschaft komme dazu, so “könnte
die Häufigkeit von Depressionen anhand der Feldstudien unterschätzt
werden, möglicherweise über die Jahre sogar zunehmend”. (S. 188)
- eindeutige Schlüsse über die wahre Entwicklung der
Depressionsprävalenz werde erschwert durch unterschiedliche
Krankheitsbilder bei Alten und Jungen, Männern und Frauen und die
Verzerung durch Erinnerungseffekte (S. 188 f)
- die massiv gesteigerten Behandlungsangebote könnten einen Anstieg der Prävalenz maskieren (S. 192 ff).
Composite International Diagnostic Interview (CIDI) als Goldstandard?
Die Gütewerte des im Bundesgesundheitssurvey 1998 und der Folgestudie
DEGS1-MH verwendeten Interviewleitfadens (Composite International
Diagnostic Interview, CIDI) erreichen im schlechtesten Diagnosebereich
für die Re-Test-Reliabilität nur einen Kappa-Wert von 0.49, die
Validität der Schizophrenie-Diagnosen im Vergleich zu
klinisch-psychiatrischen Konsensusdiagnosen bildet mit sogar nur 0,39
das Schlusslicht (Wittchen et al. 1998). Diese Art Messfehler vergrößern
die Ungenauigkeit beim Vergleich der bundesdeutschen
Bevölkerungsstichproben 1998 und 2008 weiter.
Nach einer gnadenlosen Abrechnung mit einer Kritikerin offenbart das
Fazit der CIDI-Vorkämpfer deren ganzes Dilemma (Knappe et al. 2008) “In
einer kaum überschaubaren Anzahl von Studien der letzten 20 Jahren hat
sich das CIDI als reliables und in Hinblick auf Außenkriterien relativ
valides Diagnostikum bewährt. Dabei ist das Ausmaß der Reliabilität und
Validität keineswegs befriedigend, im Vergleich zu allen Alternativen
wird das CIDI manchmal auch als Einäugiges unter Blinden eingeordnet.“
Diese „Einäugigkeit“ des CIDI muss weiter beleuchtet werden:
- Keine Erfassung von Anpassungsstörungen (Hund et al. 2013), was für
den hier speziell interessierenden Bereich der Folgen von Arbeitsstress
sozusagen einen blinden Fleck bedingt.
- Kulturelle Einengung auf den angloamerikanischen Sprachraum, wodurch
die recht große Population mit Migrationshintergrund unterbelichtet
bleibt (Rosenman 2012), die überdies bei der Arbeit den ausgeprägtesten
Mehrfachbelastungen exponiert ist. Mit einer Lebenszeitprävalenz
irgendeiner psychischen Störung von 79% bei Türken , der Vergleichswert
der deutschen Allgemeinbevölkerung wird mit 43% benannt ( Dingoyan et
al. 2017), wäre das keine Kleinigkeit, wenn die nicht- repräsentative
Studie bestätigt würde.
- Im Vergleich mit 68 klinischen Patienten, deren Ärzte nach DSM-IV
unter Verwendung aller Informationen aus Vorgeschichte und Fremdanamnese
urteilten (LEAD, der Goldstandard) würde CIDI Psychosen, Dysthymie,
Panik & Agoraphobie, Phobie & somatoforme Störungen beträchtlich
überdiagnostizieren (Reed et al. 1998): 334 Lifetime-Diagnosen von CIDI
gegenüber 168 der Kliniker – das relativiert die vielen lobenden Worte
über die Validität von CIDI stark.
- CIDI liefert im Vergleich mit Arztdiagnosen zweifelhafte Werte für
Depression: Nach Maske et al. (2017) wurde bei den Befragten, die im
Vorjahr von einem Arzt die Diagnose Depression erhalten hatten, diese
bei den 18-29- Jährigen in 63% durch CIDI bestätigt, bei den 65-79-
Jährigen jedoch nur in sage und schreibe 30% ! Die AutorInnen
diskutieren u.a. folgende Erklärungen: „... underreporting of depressive
symptoms by older participants in the CIDI due to its complex
questioning and its multiple time frames [35] and due to problems
recalling the symptoms are possible methodological explanations.
Research has suggested that older adults more frequently show clinically
significant
depressive symptoms without fulfilling all diagnostic criteria [36]. In
this context, our finding could at least partly be explained by the fact
that the depression diagnosis based on the CIDI might exclude older
people due to the diagnostic algorithm who might have reported
significant symptoms to the health professional, resulting in a
depression diagnosis.“ Sind da nicht schwerwiegende Probleme der
Validität des CIDI angesprochen ?
- Das Ausmass der möglichen Fehleinschätzung der Prävalenzrate
psychischer Störungen bei Älteren durch CIDI zeigen Asselmann et al.
(2018, Tab. 3): Die Lebenszeitprävalenz irgendeiner psychischen Störung
in Nordostdeutschland liegt in der Altersklasse der 29-44 – jährigen bei
61,7 %, bei den 60-74-jährigen bei 49,3% und fällt im höheren Alter
noch drastischer auf 32,0% ab .
- Haro et al. (2006) verglichen die modifizierte CIDI3.0-Version der WHO
mit einem nachgeschalteten Rating durch „clinical interviewers“ (SKID) .
Bei den Lebenszeit-Diagnosen lag der mittlere Prozentsatz korrekt durch
CIDI klassifizierter SKID-Fälle (Sensitivität) bei 63% für irgendeine
psychiatrische Diagnose, für PTSD nur bei 38%, soziale Phobie 37% und
Drogenabhängigkeit mit Abusus 25% ! Ein Grossteil der SKID-Interviews
waren telefonisch, angeblich seien Telefoninterviews in mehreren Studien
als valide befunden worden. Die SKID-Interviewer waren zwar für die
CIDI-Diagnosen „verblindet“, die Antworten auf die CIDI-“Stammfragen“
sollten sie aber verwenden, um einer „Ermüdung“ der Befragten beim
Zweitinterview vorzubeugen. Wird so eine unabhängige Überprüfung von
CIDI durch SKID nicht vereitelt? Dieser Einwand bedeutet, dass die
bereits geringe Sensitivität von CIDI womöglich eher überschätzt wird !
- CIDI stimmt schlecht mit dem Goldstandard des halbstandardisierten
Experteninterviews überein (Brugha et al. 2001: CIDI überbewertet die
Prävalenz von Depressionen / Angststörungen auf 9.0 statt 6,2%), während
die CIDI-Macher den Spiess umgedreht hatten: Vor den Psychiatern
verheimlichten die männlichen Patienten mit niedrigem Einkommen aus
ethnischen Minderheiten ihre Störungen eher als gegenüber den ihre
Fragen ablesenden Laien-Interviewern (CIDI) mit dem Ergebnis signifikant
niedrigerer Prävalenzen; diese mangelnde Reliabilität der
Experteninterviews verbiete es, CIDI daran zu eichen (Wittchen et al.
1999). Allerdings überzeugt dieses Argument wenig, wenn die angegebene
Quelle (Riessman 1979 statt irrtümlich angegeben 1977) explizit nicht
über Diagnose-Prävalenzen, sondern über die Mittelwerte zweier von 14
Symptomskalen (anscheinend ohne Bonferroni-Korrektur für mehrfaches
Testen) und die Autorin wirklich sehr viele methodische Schwächen der
Studie nennt, v.a. mit 6 Männern und 15 Frauen in den kritischen Zellen
eine viel zu kleine Fallzahl und wegen vieler drop-outs keinerlei
Repräsentativität: „ However, the low completion rate (38-28%, W.B.)
severely limits generalizability.“ (a.a.O. S. 486) Besonders
irritierend: Die Mehrzahl der Interviews sei von nur drei männlichen
Psychiatern durchgeführt worden und wegen methodischer Besonderheiten
heißt es im Original „possibly idiosyncratic performance of one
psy-chiatrist cannot be explored“. Wie groß muss der Mangel an
Argumenten sein, um zu einem solchen Strohhalm zu greifen ?
CIDI - von kurz geschulten Laien erhobenes Futter für
Computeralgorithmen - bietet Discounter-Diagnosen (die Riesenfeldstudien
der WHO wären mit klinisch geschultem Personal unbezahlbar); das ist
die Parthenogenese der Diagnose aus dem Kopf der Methodiker: Die
Grundlage der Goldstandards der psychiatrischen Diagnose ist die
gelingende Begegnung zweier Menschen im Gespräch , das dazu motiviert,
offen auch über Peinliches, schwer Erinnerbares Auskunft zu geben. Die
gute diagnostische Praxis verlangt, diese Auskünfte mit dem Bild
abzugleichen, das sich aus Fremdanamnese und sämtlichen Vorbehandlungen
ergibt (LEAD, s.o., ein Standard, der bei Bevölkerungsstudien nicht
anwendbar ist, wodurch diese Daten uneinholbar um Einiges an Validität
verlieren ). Vor dem Hintergrund seiner Erfahrung mit Kranken muss nun
der Arzt/Psychologe das Leid nach „normal“ oder „krankhaft“ beurteilen,
eine Quelle beträchtlicher Unzuverlässigkeit, wie Frances (1998)
ausführt: „ (1) the definition of mental disorder in DSM-IV fails to
provide a clear boundary between psychopathology and normality; (2) the
concepts "clinical significance" and "medical necessity" are difficult
to operationalize and to assess reliably; and (3) lay interviewers do
not have the experience necessary to judge clinical significance.“
Das führt unvermeidlich zu wechselnden Ergebnissen. Wer mag
konstantere Ergebnisse glauben, die den Befragten unter Verhüllung
dieser Aufgabe entlockt wurden ? Die technizistische Abtrennung der
Diagnose von der Selbsterkenntnis in der hilfreichen Begegnung ist nach
meiner Berufserfahrung ein Irrweg.
Doch zurück zu Jacobi et al. 2004. Die Differenzierung ihrer
Prävalenzen nach dem Geschlecht führt zu 25,3% für Männer und 37,0% für
Frauen (also knapp 12% Unterschied): Dieser große Abstand wird nun von
den Autoren weiter relativiert: Es"kann vermutet werden, dass ein Teil
dieses geschlechts-spezifischen Unterschieds darauf zurückzuführen ist,
dass frauentypische Störungen umfassender erfasst wurden" (Jacobi et al.
2004 S. 739). Die Prävalenzwerte der Surveys 1998 und 2008 werden auf
eine Stelle nach dem Komma genau angeführt, aber irgendein Teil der
genannten knapp 12% Geschlechtsdifferenz könnte aus methodischen Gründen
ungültig sein - eine bemerkenswerte Einschränkung der Güte der Zahlen !
In einem Überblick zur psychiatrischen Epidemiologie kritisiert
Jablensky (2002): „Since the 1980s, the comparability of clinical
diagnostic data has been considerably improved by the introduction of
operational diagnostic criteria such as RDC, DSM – III/ IIIR / IV and
ICD10. However, there is no conclusive evidence that the increased
reliability of diagnoses for clinical and biological research has been
paralleled by an equally improved validity of diagnostic classification
for epidemiological research.“ (S.301)
Eaton et al. (2007) sehen in ihrem methodenkritischen review, das
neben der WHO -Version des CIDI viele andere Verfahren umfasst, die
Validität der epidemiologischen Fall-Definitionen als fragwürdig; „Panic
disorder, obsessive compulsive disorder, bipolar disorder, and
schizophrenia have measurement characteristics that are likely to
capture less than one third of the true positives in 25% or more of the
studies“( S. 502)
Kurdyak u. Gnam (2005) besprechen 3 Validierungsstudien des
Depressions-Moduls des CIDI mit dem ernüchternden Ergebnis, dass wegen
fehlender Validierung in Feldstudien die falsch positiven Diagnosen viel
zu hoch ausfallen dürften.
Auch Linden et al. (1996) stellten in ihrer Hausarztstudie eine
„mangelnde Übereinstimmung zwischen dem Arzturteil und der
ICD-10-Klassifizierung“ fest, nur 46,4% der vom Allgemeinarzt als
psychisch krank Beurteilten erhielten nach dem CIDI-Interview eine
ICD-10 – Diagnose für psychische Störungen, der größte Teil blieb als
unterschwellig verkannt. Diese psychiatrischen Universitätskliniken in
Berlin und Mainz kamen nicht auf die Idee, die CIDI-Diagnosen als
Goldstandard zu feiern !
Ganz anders liest sich das in der Hausarztstudie von Jacobi et al.
(2002), die allerdings nur einen auf dem CIDI aufbauenden
Depressionsfragebogen mit 12 Fragen verwendete: Hiernach wurden 11,1
oder 4,2 % als depressiv diagnostiziert, je nachdem, ob 5 Symptome oder 2
Leitsymptome der Depression und 2 Zusatzsymptome als Kriterium angelegt
werden. Beim Vergleich dieser aus Patientenfragebögen abgeleiteten
Diagnosen mit denen der Hausärzte bekamen 32,7% der nach Fragebogen
ohne Depression Befundeten vom Hausarzt eine unterschwellige oder
sichere Depression attestiert ! In der Diskussion dieses beachtlichen
Unterschiedes wird zwar auch erwogen, dass die Hausärzte ihre Kranken
lange kennen und aus Frühwarnzeichen (die dem Fragebogen verborgen
bleiben) eine sich evtl. erneut anbahnende Depression richtiger
feststellen; es wird auch bedacht, dass vermutlich die Hausärzte gehäuft
Grenzfälle der Depression sehen - aber zusammenfassend beklagen die
Forscher zu viel "falsch positive" Depressionsdiagnosen (der Hausärzte-
nicht aber ungültige Fragebogen-Diagnosen).
Jeder Psychiater hat schon aus seiner Weiterbildung die lebhaftesten
Beispiele vor Augen, dass ein Patient in der Exploration unter 4 Augen
seine Geschichte dramatisch anders erzählt hat, als bei der
Nachexploration durch den Oberarzt, die Kontrollanalytikerin oder gar im
Gespräch mit der Nachtwachenschwester – von den gelegentlich nach außen
dringenden Geständnissen gegenüber Mitpatienten oder den überraschenden
Mitteilungen in der letzten Stunde einer Langzeittherapie ganz zu
schweigen. Diese weitgehende Abhängigkeit des psychischen „Befundes“ vom
zwischenmenschliche Kontext wird von den Befürwortern der
strukturierten Diagnostik und der Bewertung von deren Symptomen mittels
Algorithmen ignoriert.
In dieser Hausarztstudie sind bei einer Untergruppe 33% der Prävalenz
strittig - aber wenn bei der Wiederholung der bundesweiten surveys nach
vielen Jahren keine Zunahme auf die Stelle nach dem Komma "bewiesen"
wird - dann werden die Größenordnungen der berechtigten Zweifel an den
Zahlen verschwiegen. Wem könnte das nutzen ? (Cui bono ?)
Ganz ähnlich spricht auch Mojtabai (2013) davon, die Kliniker
überdiagnostizierten Depressionen; er fasst seine Daten aus den USA
zusammen: Nur 38% (bei den über 65-Jährigen sogar nur 14%) derer, die
angaben vom Arzt oder „medical professional“ für depressiv erklärt
worden zu sein, wiesen im modifizierten CIDI eine Depression auf. Nach
einer erklecklichen Liste von Limitationen folgt der Literatur-Hinweis
„lay-administered structured interviews for depressive disorders had
sensitivities in the 67–69% range when compared against the gold
standard of clinician-administered semi-stuctured interviews.“ Das
bedeutet ja nichts anderes, als CIDI diagnostiziert von 100 tatsächlich
Depressiven nur 68.
Mauz u. Jacobi haben 2008 eine vertiefte Analyse des Zusatzsurveys
Psychische Störungen des Bundesgesundheitssurveys 1998 berichtet: Weil
ihre Berechnungen für die jüngste Alterskohorte der Männer ein 12-fach
höheres Depressionsrisiko als bei der ältesten Kohorte auswies und ihnen
das "unrealistisch" erschien, diskutierten sie als Erklärung
Erinnerungsfehler der Alten und eine größere Offenheit gegenüber
psychischen Symptomen bei den Jüngeren. Unrealistische Zahlen in
einzelnen Zellen bis zum 12-fachen, aber bei Wiederholungsuntersuchungen
solcher Surveys darf eine Konstanz der Erkrankungsrate Gültigkeit
beanspruchen ?
Eine Geburtskohortenstudie in Neuseeland liefert sogar Hinweise
auf eine viel ausgeprägtere Unterschätzung - allerdings von
Lebenszeitprävalenzen (Mofitt et al. 2010). In dieser Studie war die
prospektiv erhobene Lebenszeitprävalenz von DSM - Diagnosen bei
32-Jährigen doppelt so hoch wie die retrospektiv ermittelte
Lebenszeitprävalenz.
Ich würde mich sehr wundern, wenn säkulare Prävalenzunterschiede von
+/- 5% im Rauschen epidemiologischer Methoden nicht unbemerkt
untergehen könnten. Wer die gestiegenen Behandlungs- und
Berentungszahlen gestresster Berufstätiger mit dem Hinweis auf die
„konstante Prävalenz“ psychischer Störungen in der Allgemeinbevölkerung
relativiert, ohne die erstaunlich tönernen Füße dieser Daten zu
erwähnen, lässt Grundregeln des wissenschaftlichen Argumentierens außer
Acht. Das gilt auch, wenn es anscheinend keine verfügbaren und besseren
epidemiologischen Methoden gibt.
*************************************************************************
NACHTRAG 3/2023: "Die modernen Klassifikationssysteme seien für ihn in der Abgrenzung zwischen Gesundheit und Krankheit
nutzlos. Sie täuschten eine Scheingenauigkeit in der Einordnung von angeblichen und tatsächlichen psychischen Störungen
vor und würden dadurch zu Mitteln der Täuschung und Selbsttäuschung zugleich." (G. Kruse in seiner Besprechung von Finzen A: Normalität;
Sozialpsychiatrische Informationen 4/2019, 49. Jg. S. 64)
**************************************************************************
Arbeitspsychiatrische Streitfragen
Anders urteilt die Deutsche Rentenversicherung (2014): Sie hält auch
die Prävalenzzahlen für stabil, benennt aber deutlich auch die
wirtschaftlichen Kräfte, die Kranke aus dem undiagnostizierten in den
diagnostizierten Bereich treiben:
„Als ursächlich für die zunehmende Bedeutung psychischer Störungen in
Behandlung und Rehabilitation werden die veränderten Arbeits- und
Lebensbedingungen angesehen. Als Stressoren aus dem Arbeitsleben gelten
z.B. steigende Arbeitslosigkeit, unsichere Arbeitsverhältnisse, Über-
und Unterforderung, wachsender Konkurrenzdruck, ständige Erreichbarkeit,
erhöhte Anforderungen an Flexibilität und Mobilität sowie schlechtes
Betriebsklima. Immer mehr moderne Arbeitsplätze verlangen den
psychomental uneingeschränkt leistungsfähigen Beschäftigten.
Gefährdungsbeurteilungen im Rahmen des Arbeitsschutzes berücksichtigen
psychische Belastungen oft noch nicht ausreichend. Belastungen aus der
Gesellschaft betreffen z. B. einen abnehmenden familiären Zusammenhalt
und mangelnde soziale Unterstützung, Wegfall bisher funktionierender
sozialer Strukturen, Verlust von Solidarität, erhöhte Anforderungen an
Sozialkompetenz sowie ökonomische Unsicherheit.
Nach einer 2012 von der OECD veröffentlichten Studie arbeiten Menschen
mit psychischen Störungen häufiger auf Arbeitsplätzen mit geringen
Qualifikationsanforderungen. Oft bestehen hohe psychische Anforderungen
dadurch, dass große Anpassungsleistungen mit einem geringen
individuellen Handlungsspielraum kombiniert sind. Menschen mit
psychischen Störungen wechseln vermehrt, häufig auch in kurzen
Zeitabständen ihren Arbeitsplatz.“ (a. a. O. S. 9)
Die Behauptung einer gleichbleibenden Prävalenz psychischer
Störungen ist also nachweislich ungesichert. In den epidemiologischen
Studien führt eine Veränderung der Fall-Definition zu grob
unterschiedlichen Prävalenzraten, wie Schleim (2018) im Vergleich
mehrerer Studien darlegt; ähnlich urteilte schon 1998 Frances. Im Blog
des in Groningen lehrenden Psychologen Schleim heißt es dazu weiter:
„Die Geschichte von der konstanten Häufigkeit dient dabei vor allem dem
Paradigma der biologischen Psychiatrie: Wenn psychische Störungen
genetische oder neurobiologische Störungen sind, dann erscheint es
logisch, dass es keine große Ab- oder Zunahme gibt. Denn so schnell
verändert sich unsere genetisch-körperliche Konstitution bekanntermaßen
nicht. Dumm nur, dass man die entsprechenden Gene oder Gehirnzustände
trotz mehr als 170-jähriger Suche nicht finden kann.
Die Geschichte dient außerdem konservativen politischen Kräften, die ein
ewiges “Weiter so!” predigen und gegen gesellschaftliche Reformen sind.
Davon abgesehen werden die Ursachen so im Individuum verortet, nicht in
der Gesellschaft.”
Die Über-Betonung der individuellen, genetisch verstandenen
Vulnerabilität für die Verursachung seelischer Störungen klingt für den
alten Sozialpsychiater wie die Marschmusik des jahrzehntewährenden
roll-backs durch die biologische Psychiatrie.
Priebe (2018) spricht in diesem Zusammenhang nüchterner davon, daß
"die dominierenden reduktionistischen Forschungsansätze kaum der
Vielfalt menschlichen Erlebens, dem biographischen und sozialen Kontext
psychischen Leidens und der Komplexität sozialer Prozesse gerecht werden
können“.
Wie leicht wäre beim Blick über den Tellerand der eigenen Disziplin
bei der Katastrophenforschung eine soziale Dimension der Vulnerabilität
kennenzulernen: Lange u. Garrelts (2008) verfolgten dieses Konzept bis
in die Mitte der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurück,
als ein Erdbeben in Guatemala als "class quake" (a.a.O. S.28) verstanden
wurde.
"Über soziale Verwundbarkeit kann bestimmen
• die Verteilung von Einkommen,
• der Zugang zu anderen Ressourcen wie Informationen und Wissen,
• das Geschlecht,
• die ethnische Zugehörigkeit,
• das Altersgruppe, wobei sowohl ganz jung – Kinder - als auch ganz alt Verwundbarkeit ausmachen kann,
• mögliche Behinderungen,
• der Grad an sozialer Einbindung bzw. der Grad an verwundbar machender soziale Exklusion
(Beispiel: BürgerInnen mit illegalem Einwanderungsstatus),
• der Zugang bzw. die Eingebundenheit in Netzwerke (Sozialkapital), was
wiederum Einfluss auf den Zugang von Informationen und „Beziehungen“
haben kann." ( S.33)
Ratlos hinterlässt mich eine Besprechung der aktuellen Kritik von
Frances an psychiatrischen Diagnosen anlässlich des Erscheinens von
DSM-V durch Lehmkuhl (2015), gewiss kein Arbeitgeber-Propagandist:
Unter dem wirtschaftlich motivierten Einfluss der Pharma-Industrie seien
vermittels aufgeblähter Diagnostik fiktive psychiatrische Epidemien
erzeugt worden. Einschränkend will ich vorab einen skeptischen Blick auf
zwei wichtige Kritiker des DSM werfen, auf die sich Frances beruft:
Kutchins und Kirk (1997) verfolgen die DSM-Entwicklung zu polemisch,
konstruktivistisch, fast effekthascherisch, zu fern vom Elend und der
Unterminierung der Menschenwürde durch den Krankeitsprozess, um für
einen Beitrag zum Wohl der Patienten von Interesse zu sein.
Was könnte Frances DSM-Kritik für mein Thema bedeuten ? DSM-V hätte
ja seit 2013 nur den allerneuesten Teil der US-Literatur zu
berufsbedingten psychischen Störungen verzerren können; die o.g. Surveys
zur Prävalenz in der deutschen Bevölkerung sind nach ICD10/DSM-IV
erfolgt. Die Neufassung der ICD11 wird in Deutschland auch mit der
Inkraftsetzung durch die WHO 2022 längst noch nicht verbindlich. Wie die
kritisierte Senkung der diagnostischen Schwelle selektiv den
Beschäftigten an seelisch belastenden Arbeitsplätzen, nicht aber den
Privilegierten zu einer psychiatrischen Diagnose verhelfen könnte,
bleibt offen. Die steigenden Krankschreibungen und Frühverrentungen
wegen psychischer Störungen wären dann z.T. auch fiktiv ?
Nur scheinbar völlig konträr zur o.g. Argumentation einer
konstanten Prävalenz psychischer Störungen steht folgende Bemerkung von
Jacobi u. Kessler-Scheil (2013) in einem epidemiologische Überblick :
"Außerdem fallen die Einschränkungsprofile bei psychischen Störungen in
der modernen Arbeitswelt mit ihren vermehrten psychomentalen ,
emotionalen und kommunikativen Anforderungen besonders ins Gewicht.
Personen mit psychischen Vulnerabilitäten oder manifesten Störungen
wären in früheren Zeiten, in denen eher körperliche Tätigkeiten im
Mittelpunkt standen, noch leichter beruflich unauffällig geblieben, als
dies heute der Fall ist" (ähnlich auch Linden 2014, Jacobi und Linden
2017 s.u.). Jacobi u. Kessler-Scheil verweisen auf die säkular massiv
gestiegene Prävalenz psychischer Störungen, im Vergleich zu Zeiten, als
nur ein schmaleres Diagnosespektrum mit ungeeigneteren Methoden erfasst
worden sei. Der Kulturschock, dass fast jeder Zweite einmal im Leben
eine dieser verpönten Psycho - Diagnosen zu erwarten hat, äußere sich
auch in der Unterstellung, es würden Befindlichkeiten medikalisiert.
Sandrock (2015) vom Institut ifaa, getragen von den
Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie, führt gegen die
IG-Metall - Initiative zur Antistress-Verordnung ins Feld, die Arbeit
werde zu Unrecht häufig pathologisiert. Weil nicht bewiesen sei, dass
die modernen Arbeitsformen eine Zunahme psychischer Störungen
verursachten, seien zur Prävention keine neuen Regelungen erforderlich.
Die Arbeitgeberpresse macht daraus fettgedruckt „Psychische
Störungen nehmen faktisch nicht zu...“(Sandrock 2017).
Dieser Argumentationsrahmen blendet die methodische Schwäche des
vermeintlichen epidemiologischen Befundes aus und schließt zusätzlich
mit der Fokussierung auf die Zunahme psychischer Störungen den Blick auf
die pathogenen Verhältnisse im Bestand aus, quantitativ am
bedeutendsten dabei vermutlich (bisher habe ich zu dieser
Unterscheidung keine Zahlen gefunden !) das durch Arbeitsstress (mit-)
bedingte Risiko der Wiedererkrankung ! Beeindruckend, wie erfolgreich
dieser rhetorische Kunstgriff auch den Bericht der Bundesanstalt für
Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zur Standortbestimmung der
Arbeitspsychiatrie (Rothe et al. 2017) dominiert - der darüber hinaus
m.E. den "healthy- worker-effect" (HWE) nicht genügend würdigt: "Most
studies indicate that HWE will reduce the association between exposure
and outcome by an average of 20-30% ," so hoch schätzt Shah (2009) die
Größenordnung des Phänomens, dass die berufliche Abwanderung der
Geschädigten und Gefährdeten aus riskanten Tätigkeiten die Gesünderen
zurücklässt, bei denen sich folglich nur noch weniger
Gesundheits-Effekte eines Stressors zeigen. Doch wie solide ist eine
solche Angabe, über welche Expositionen hinweg ?
Außerdem kann aus der These von der gleichbleibenden Prävalenz der
psychischen Störungen nicht auf das Gleichbleiben des psychopathologisch
relevanten Stress bei der Arbeit geschlossen werden. Dieser Schluss ist
aber auch aus weiteren Gründen unzulässig:
- wer die Prävalenz mit Bevölkerungsbefragungen misst, hat den größer
werdenden Anteil der wegen Arbeitsstress in Arbeitsunfähigkeit oder
Rente Gedrückten doch gar nicht erfragt ! Bei einer fast identischen
Prävalenzrate der Schizophrenie hat sich der Anteil der Berufstätigen
unter den Schizophrenie- patienten in England in der 2. Hälfte des 20.
Jhd. von ca 50% auf nahezu Null verringert ! (Jacobi & Linden 2018).
- es gibt einen relativ kleineren Anteil Bevölkerungsuntersuchungen,
die durchaus erhöhte Prävalenzen der psychischen Störungen belegen (Jorm
et al. 2017). Diese Autorengruppe sieht in der schlechten Qualität der
Psychopharmakotherapie in Australien, England, Canada und den USA den
Grund dafür, dass trotz rasantem Anstieg vor allem der
Antidepressiva-Verordnungen kein Absinken der Prävalenzzahlen zu
beobachten sei. Welche Rolle dabei eine evtl. Maskierung durch
gestiegenen beruflichen Stress spielen könnte, haben sie nicht
untersucht !
Gefährdungsbeurteilung
Satzer (2014) kritisiert das Kurzverfahren Psychische Belastung (KPP)
des Instituts für angewandte Arbeitswissenschaft (ifaa, getragen von den
Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie) als
"Alibiverfahren ohne Aussagekraft ", weil es relevante psychosoziale
Gefährdungfaktoren wie das Führungsverhalten ausklammere,
Gefährdungsfaktoren aus der GDA-Leitlinie wie die Sofwareergonomie nicht
erfasse und als Gefährdungsbeurteilung eine "objektive
Arbeitsplatzbeobachtung", fakultativ durch die Vorgesetzten, ausreiche.
Solche "Pro-Forma-Verfahren zur Gefährdungsbeurteilung" würden
regelmäßig in Einigungsstellenverfahren zurückgewiesen. Ob das auch für
die neueste Version des KPP gilt, wäre zu prüfen !
Die 2015 gegenüber 2011 fast unverändert geringe Zahl von 52%
durchgeführten Gefährdungsbeurteilungen, die nur in 44% psychische
Gefährdungen einschlossen, entspricht 23% aller Betriebe
(Geschäftsstelle NAK 2018) und dabei ist noch keine Rede davon, ob mit
den erkannten Risiken adäquat umgegangen wurde ! Eine regelrechte
Gefährdungsbeurteilung garantiert natürlich noch lange keine Beseitigung
der Gefahr für die psychische Gesundheit (Bolm 2018), wie auch schon
2017 bei Jürgens et al. nachzulesen ist. Damit fokussiert die Spitze des DGB die Diskussion über mögliche Sanktionen
(immerhin bringen sie eine Verlängerung der Lohnfortzahlungspflicht über
6 Wochen hinaus für säumige AG ins Gespräch) – lediglich auf nicht
beurteilte statt auf nicht beseitigte Gefährdungen; cui bono ?.
Bei der BAuA (2018) finde ich aktuell die Zahl von 12,9% auf ihre
Wirksamkeit überprüfter Maßnahmen zur Behebung von Mängeln, die bei
Gefährdungsbeurteilungen festgestellt wurden; von Beseitigung der Mängel
ist auch bei dieser Restgröße nicht die Rede: Keins der Praxisbeispiele
der BauA (2014) für beispielhafte Gefährdungsbeurteilungen teilt mit,
welcher Anteil der erkannten Gefahren bei der Kontrolle erforderlicher
Maßnahmen beseitigt wurde.
Beim TÜV bekomme ich meine Plakette nur bei erfolgreich reparierter
Bremse, nicht schon bei Überprüfung der Reparaturnotwendigkeit ! Diese
abenteuerliche Schlagseite beim Spitzenprojekt der Reform des
psychischen Elends in der Arbeit, der Gefährdungsbeurteilung, mag
getrost als Beleg für die außerordentliche Dominanz der Arbeitgeber über
dieses Bemühen um „Gute Arbeit“ gelten.
Die BAuA- Studie von Rothe et al.(2017) bezweifelt die berufliche
Verursachung seelischer Störungen v.a. wegen fehlender
Interventionsstudien. Nebenbei: Anlässlich der Gonarthrose diskutiert
der Ärztliche Sachverständigenbeirat Sektion “Berufskrankheiten” beim
Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung die Beweislage an
Hand einer langen Liste von Kriterien für das Vorliegen einer kausalen
Beziehung zwischen Exposition und Erkrankung: Erstaunlicherweise lese
ich hier (sozusagen ex kathedra) „Interventionsstudien liegen bei den
wenigsten Berufskrankheiten vor."(BAuA Berufskrankheiten Merkblätter;
",Wissenschaftliche Begründung zur Berufskrankheit Nummer 2112
Gonarthrose durch eine Tätigkeit im Knien..." a.a.O. S. 15) Sollte hier
zu erkennen sein, das die psychisch Gestörten gegenüber den
Körperkranken eine verschärfte Beweislast tragen sollen ? Dieses
Argument legt es überdies letztlich in die Hand der Unternehmer, ob sie
jemals die Betriebe für methodisch gute Studien öffnen. Unabhängig davon
hatte bereits Griffits 1999 das unangemessene naturwissenschaftliche
Design der experimentellen Methode im sozialen Feld des Betriebs für das
Versagen von Interventionsstudien verantwortlich gemacht.
Dornes
"Macht der Kapitalismus depressiv?" Die TAZ (Feddersen, 2016) scheint ganz einverstanden, wie der Psychoanalytiker Dornes (2016)
in seinem gleichnamigen Buch "mit diesem Märchen aufräumt"."
Heftig verrissen wird dagegen Dornes' Kapitalismus-Apologetik von
Brede (Ressentiment von "Unterstellungen simulierten oder eingebildeten
Leidens"), wie von Egloff (Positivismus, überzogener Empirismus) oder
Engelmann (alle 2015):"Es ist schon überraschend, wenn Dornes
"weltanschauliche Grabenkämpfe" ausschließlich bei den anderen verortet,
während er sie doch selbst führt." Alle drei Genannten kritisieren
Dornes von therapeutisch-psychoanalytischer oder kritisch-soziologischer
Warte. Dornes kann aber auch seinen eigenen epidemiologischen Standards
gar nicht genügen:
- er nennt zwar die selbstverständliche Abhängigkeit der Prävalenz von
der Methode, wird aber weit überwiegend methodenkritisch nur bei
Arbeiten, die erhöhte Depressionsraten berichten (S. 17 f, S. 23-30, S
54).
- Er ignoriert trotz seitenlanger Beschäftigung mit beruflichen
potentiell depressiogenen Faktoren die empirischen Argumente
entgegenstehender Positionen zum Thema, die er vor seiner Publikation im
Jahr 2016 bereits bei Angerer et al. 2013, Siegrist 2015, Sonnentag u.
Frese 2012 und vielen anderen hätte finden können. Aus der
Zusammenfassung dieses Kapitels S. 46 ("...wie groß der Anteil
arbeitsbedingter psychischer Belastungen an möglichen späteren
psychischen Erkrankungen ist, kann derzeit nicht definitif beantwortet
werden") wird überraschenderweise S. 123 ohne adäquate Begründung eine
ganz neue "Bilanz": "Man kann nicht sagen, dass arbeitsbedingte
Beschwerden oder Erkrankungen zugenommen haben, aber man kann sagen,
dass die schon immer vorhandenen diffusen Leiden an der Arbeit eine neue
Form angenommen haben, in der sie als psychische Leiden in Erscheinung
treten. Dabei ist die Überforderung durch Arbeitsverdichtung, wie sie in
der Burn-Out-Diskussion zum Ausdruck kommt, das kleinere Problem". Das
Hauptproblem sei die vermehrt geforderte fachliche und persönliche
Kompetenz, v.a. der Selbststeuerung. Für dieses ranking finde ich
ebensowenig eine Begründung.
- Dornes Versuch einer Sammelbesprechung von 8 Reviews über Studien zur
Arbeitsplatz-Intervention bei burn-out (S. 49 ff.) enthält mehrere
Reviews über Depression oder "mental health", die Zahlenangaben zu
erfolgreichen bzw. mißlungenen Interventionen werden nur selektiv
berichtet, die Reviewmethode in keinem Fall bewertet, eine
Methodenkritik nur bei dem, mit 25 Interventionsstudien anscheinend
größten Review ausgeführt, das dem Resümee von Dornes zuwiderläuft,
"Verhaltensänderung ist also wirksamer als Verhältnisänderung" (S. 51).
- Selbst wenn man in Gedanken für einen Moment von Dornes Kernthesen
absieht, dass die Depressionsprävalenz stabil bleibt, die gesteigerte
Inanspruchnahme durch einen verbesserten Zugang der Kranken zum
entwickelteren Versorgungssystem erklärt werden kann und die Zunahme des
Stresserlebens bei der Arbeit längst abgeschlossen wäre - gäbe es nicht
neben diesen „Argumenten fehlender Steigerung“ wie ich sie einmal
nennen will, zahllose kränkende Konstanten des Lebens im Kapitalismus,
die z.B. über psychopathogene Pfade im Bereich der Erwerbsarbeit oder
der häuslichen Arbeit zu seelischen Störungen beitragen ? (ähnlich u.a.
Brede, 2015).
- Erst auf S. 94 zitiert er zustimmend Deaton, der 2013 die Welt als
einen besseren Ort bezeichnet habe, als jemals zuvor in der Geschichte
und S. 129 Fulcher, die Suche nach einer Alternative zum Kapitalismus
sei verlorene Mühe, und fügt an, daran habe sich seit 2008 nichts
geändert. Es soll jeder nach seiner Facon selig werden, aber diese Sätze
wie eine Schlussfolgerung aus seinen empirischen Quellen erscheinen zu
lassen, wirkt wie Wunschdenken: Er dürfte seine Daten durch diese Brille
gesucht und bewertet haben.
Eine ähnliche individuumzentrierte Sichtweise findet sich auch bei
Rudolph (2012); er bestätigt zwar die Psychotherapeuten-Erfahrung, dass
der “Umgang in Beruf und Schule immer mehr unempathisch- aggressive
Seiten erkennen lässt”, wichtiger scheint ihm aber ein anderer Aspekt:
“Speziell die Aufmerksamkeit der Medien richtet sich auf eine Welt
voller Traumatisierungen und voller Opfer”, während “andererseits die
objektiven Lebensbedingungen hierzulande in den letzten Jahrzehnten
besser waren als je zuvor”. Sein Fazit, dass “die Häufigkeit der
Traumafolgestörung offensichtlich überschätzt wird”. Für die Häufung von
“Opferüberzeugungen” vermutet er, sei auch die Erziehung zu
narzisstischen Riesenansprüchen verantwortlich, deren Scheitern die
Wutbürger hervorrufe. Selbstverständlich sind solche
Fall-Konstellationen nicht selten – aber diese Einzelimpressionen mit
einer grob verzeichneten Skizze der makrosozialen Entwicklung zu
hinterlegen – da scheint mir eher, dass hier der Boden der Tatsachen
zugunsten ideologischer Mutmaßungen verlassen wird.
Karrierefragen?
Bedenkenswert in unserem Zusammenhang ist die Karriere v. Prof. Rainer
Schlegel, CDU, zum Präsidenten des Bundessozial- Gerichts aus der BMAS-
Abteilungs-Leiter Position heraus, in der er Fortschritte des
Arbeitsschutzes gegen Arbeitsstress torpediert hatte: „Aber die
Regierung nutzt solchen wissenschaftlichen Dissens (vgl. Schlegel, 2013,
Leiter der Abteilung Arbeitsrecht und Arbeitsschutz im BMAS), um wegen
"fehlender Dosis-Wirkungs-Beziehung" die Antistress-VO auszubremsen“
(Bolm, 2016). Was braucht es mehr, als solche Beispiele, um die
BAuA-WissenschaftlerInnen (vgl. Rothe et al. 2017) ins Grübeln über die
Konsequenzen sozialkritischer Interpretationen ihres Literatur-Rewies zu
bringen ? Dieser bloße Verdacht, die Karrierechancen hingen daran, ob
arbeitgeberfreundliche Positionen vertreten werden, verlangt
selbstredend breitere Überprüfung, auch wenn er nach der Lebenserfahrung
eines alten Achtundsechzigers plausibel klingt. Hier müssen vier
beispielhafte Hinweise genügen, die natürlich nur sehr vorläufig sind:
Der erste findet sich bei Seffrin (2015) in einer sehr wohlwollenden
Besprechung von Gøtzsches pauschaler Kriminalisierung der industriellen
Psychopharmaforschung (Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität..
Riva, München 2014): „Forscher, die die Wahrheit über schlecht wirksame
oder gefährliche Medikamente verbreiten, müssen mit Verfolgung,
Einschüchterung und Bedrohung bis zur Vernichtung ihrer beruflichen
Existenz rechnen. Gøtzsche hält auch dazu eine Anzahl bedrückender
Beispiele bereit ...Auch die „Zeitschrift für Allgemeinmedizin“ wird
aufgeführt, als 2006 (damals noch bei Thieme verlegt) ein Artikel von
zwei der Herausgeber wegen Missliebigkeit bei einem Konzern vom Verlag
zurückgezogen und die Ausgabe des Monats August eingestampft wurde.“
Bei Hien (2016) finde ich zum Einfluss mächtiger Interessengruppen
auf die Freiheit der Forschung den Hinweis, der frühe (1980)
Asbest-Kritiker Dobbertin beim Umweltbundesamt sei nach einer Klage der
Industrie kaltgestellt worden (a.a.O. S. 60).
Nach Rohrbeck (2017) könnte der Wachstumskritiker Niko Paech seine
Professur in Osnabrück verloren haben, weil politisch unerwünscht.
Während die Entfernung von Gøtzsche 2018 aus dem Governing-Board von
Cochrane mir bisher zu undurchsichtig ist, um sie hier einzureihen,
gibt es seitdem bei Cochrane Reformbestrebungen: aus den
Hintergrundinformationen fand ich im Zusammenhang meines Themas
bemerkenswert den Satz „If you complain about the conduct of how a
Cochrane Review is worded, produced or whatever, there is genuine fear
of punishment by Cochrane leadership and consequently academia more
broadly.“ (Cochrane Members for Change open meeting in Krakow, April
3rd, 2019. Posted on April 30, 2019 by Jani Ruotsalainen )
Zapf, Dormann & Frese (1996) zerpflücken 43 ausgesuchte
Längsschnittstudien über Jobstress methodenkritisch derart, dass nur
eine einzige über alle Zweifel erhabene übrigbleibt- die den
Zusammenhang von Persönlichkeit und Arbeitsstress thematisiert: Dass
Arbeit krank machen könnte, verschwindet im (zugegebenermaßen für den
ärgerlichen Leser schwer verständlichen) Methoden- Hochseilakt. 2012
stellen im Gegensatz dazu Sonnentag und Frese fest:"In summary, there is
good and increasing evidence that stressors at work have causal effect
on health and wellbeing."
Frese hat mit diesem Rigorismus Karriere gemacht als Arbeits-und
Organisationspsychologe in Lüneburg und Singapur, hat sich inzwischen
den psychologischen Faktoren erfolgreichen Unternehmertums verschrieben
und mit dem von mir verspotteten Aufsatz einen Preis erhalten: „Best
paper award (one of two best papers) published in JOHP (Journal of
Occupational Health Psychology) over the past 10 years for Zapf, Dormann
& Frese (1996)“.
Der Umgang mit dem individuellen Faktor
Konservative behaupten gern, die Häufung psychischer Störungen
unter Arbeitsstress sei mit einer verzerrten Darstellung der
Arbeitsbedingungen durch anderweitig verursachte psychische Störungen zu
erklären, sozusagen werde die Arbeit durch die "schwarze Brille"
gesehen. Unter den Überschriften "negative affectivity" oder "reverse
effect" ist das in der einschlägigen Literatur ein alter Hut: Das sind
Alternativhypothesen mit deutlich geringerem Erklärungswert (vgl.
Angerer et al. 2014, a.a.O. S. 71). Sonnentag und Frese, 2012 S. 467,
berichten, dass von 12 Studien, die einen reverse effect untersucht
hätten, 9 ihn nicht fanden. Allerdings fassen sie (a.a.O. S. 460)
Untersuchungen zusammen, die eine teilweise Verringerung des strain
fanden, wenn der Arbeitsstress zur Vermeidung der potentiellen
Verzerrung durch "negative affectivity" objektiv erfasst wurde. Schwer
nachvollziehbar, dass der ansonsten methodisch so interessierte Frese
keine Worte für die zahlreichen Probleme einer objektiven Erfassung von
beruflichem Psychostress findet, die schon 1996 Semmer et al. (frühere
Mitautoren von Frese) ausführlich würdigten.
Entgegen diesem meinem bisherigen Bild der Literatur zu "reversed
effects" erhält das Thema in dem Review von Madsen et. al. (2017) eine
prominente Bedeutung, die genauer bedacht werden sollte: Sie zitieren
als wichtige Kronzeugen u.a. Kolstad et al. (2010), die in einer
Querschnittsuntersuchung den erhöhten Zusammenhang von demand und
control mit Depression (OR > 2,5) sehr stark verringert fanden, wenn
sie die Exposition statt an der Selbstauskunft (auch der Depressiven) an
der Selbstauskunft der Nichtdepressiven in derselben Arbeitsgruppe
maßen. Diese Studie verliert nicht nur an Glaubwürdigkeit, wenn sie
umstandslos auch die Ideologen (s.u.) Wainwright und Colnan zum Beleg
für Zweifel an der beruflichen Verursachung von Depressionen zitieren,
"An important reason for this state of ignorance is lack of reliable
independent measures of adverse psychosocial work characteristics"
(Kolstad et al. S. 94). Sie diskutieren auch die Arbeit von DeSanto
Iennaco et al. (2010) als Beleg, dass ein Zusammenhang von control und
Depression fehlt, ohne zu erwähnen, dass diese
Arbeitsgruppe ein Paradebeispiel für die Schwierigkeiten einer
"objektiven" Erfassung des Arbeitstress liefert: Die Exposition wird
mittels nicht auf ihre Güte hin überprüfter externer ratings je eines
einzigen Vorgesetzten in den 11 Fabriken eines Aluminiumherstellers
erfasst; diese Studie kann Unterschiede der Depressionsprävalenz
zwischen den 11 untersuchten Fabriken von 3.1% - 4.2% an 7 Standorten
mit Ausreißern von 1% (N=1) und 6.3 – 11.3% (N=3) nicht erklären und
lässt auf dieser zweifelhaften Grundlage alle Zusammenhänge von demand,
control und Depression verschwinden, wenn der Ort statistisch
kontrolliert wird. Kolstad et al. finden es auch nicht der Rede wert,
dass der Aluminiumhersteller Alcoa. Inc. an der Finanzierung der Studie -
und für die Hälfte der AutorInnen auch ihres Gehaltes - beteiligt war.
Die 378 Arbeitsgruppen bei Kolstad et al. bestanden zu über 50% aus
mehr als 3 Berufen (Tab. 3); die "Objektivität" dieser Art
Stresserfassung durch gemittelte Gruppenwerte nennen die Autoren auch
selbst als "limitation". Wie kann ich beispielsweise die Angabe einer
depressiven Krankenschwester, beruflich überfordert zu sein, durch ein
entgegenstehendes Urteil der nichtdepressiven Stationshilfen,
Krankengymnasten, der Pflegedienstleitung etc. über "demands"
korrigieren ? Mag überdies diese Krankenschwester eine Kassandra sein,
hat sie doch die feinere Antenne für ihre Arbeitslast. Über dieses
Paradox ist viel geschrieben worden, hier soll es nicht ausgebreitet
werden (Judge, Erez und Thoresen, 2000; mehrere Quellen bei Spector et
al. 2000, S. 81).
Das Review von Madsen et al. bestätigt prospektiv auch für klinisch
definierte Depressionen als outcome die erhöhten Risiken bei Exposition
gegenüber "job strain" (erhöhte Anforderungen bei verringerter
Kontrolle). Bei der sehr großen Untergruppe unveröffentlichter Studien
allerdings verschwand dieser Zusammenhang weitgehend, wenn die in diesen
Studien eingangs gemessene Depressivität rechnerisch kontrolliert
wurde. Dieses Verfahren zur Kontrolle von Verzerrungen durch negative
affectivity (NA), das ist meist state anxiety oder Depressivität (!),
im slang "Herauspartialisieren" genannt, unterzog das Journal of
organizational behavior in einer Reihe von Beiträgen einer Kritik, die
das Editorial von Cooper (2000) zusammenfasst:"...the growing use of
statistical controls for NA has not been endorsed as an effective
strategy for enhancing the interpretability of job stress research." In
dieser Diskussion warnen Spector et al. (2000) davor, das Kind mit dem
Bade auszuschütten, wenn ein Teil der Varianz der NA vom jobstress
verursacht sein könnte und zitieren (a.a.O. S. 82) Meehl, der schon
1971 – allerdings bezogen auf Querschnittstudien - geurteilt hatte,
diese Praxis sei "the commonest methodological vice in contemporary
social science research". Ein häufiger methodischer Fehler, der die
psychischen Folgen von Arbeitsstress kleiner aussehen lässt – cui bono ?
Doch noch einmal zurück zum Review von Madsen et. al. (2017) :
Außerdem wurde bei den eingangs Depressiven ohne strain, dieser am Ende
deutlich erhöht gefunden, woraus die Autoren auf eine Bidirektionalität
schließen. Jedoch werden im Appendix S3, Table S2, für diese 10
unveröffentlichen Datensätze 5 verschiedene Messinstrumente für
depressive Symptome zu Studienbeginn aufgeführt, wobei in der Fußnote
nicht unerwähnt bleibt, "We applied the full GHQ-12 scale in adjusting
for baseline depressive symptoms in the Whitehall II study, instead of
the depressive symptoms subscale that was outlined in the protocol. This
decision was based on the content of the depressive symptoms subscale,
which focused mainly on suicidal ideation, and thus measured more severe
symptoms than the other included scales.” Auch wenn die Autorenliste
der Studie von Madsen et al. von sehr respektabelen Namen geziert wird
wie Theorell etc. vermag ich nicht nachzuvollziehen, mit welchen
Messfehlern dieses Verfahren der Metaanalyse die Daten kompromittiert
haben könnte; dazu fehlt es an Angaben. Selbstredend gehört ein enger
Zusammenhang von depressiven Beschwerden mit späterer stationärer
Behandlung wegen Depression zum klinischen Allgemeinwissen und es
erstaunt, dass die Autoren als Folge von hohen demands nur dann
vollstationär wegen Depression Behandelte gelten lassen wollen, wenn sie
am Anfang der Studie keine sogenannten depressiven Brückensymptome
hatten. Die Suche nach möglichst harten Beweisen für schädliche Folgen
des Arbeitsstress blendet zudem die mögliche Verschlimmerung
subklinischer Verstimmungen aus, ganz zu schweigen von geschwächten
Selbstheilungskräften , der Reinheit des Designs zuliebe !
"Negative affectivity" findet also weiter Beachtung als Teil einer
forschungspolitischen Agenda, die sehr viel mehr methodische Sorgfalt
darauf verwendet, den Arbeitgebern keine Lasten für von ihnen nicht zu
vertretende psychische Störungen zuzumuten, als umgekehrt den Patienten
und ihren Krankenkassen vermeidbaren Stress zu ersparen. Ein relativ
aktuelles Beispiel finde ich bei Harvey et al. (2017), deren großes
Metareview zusammenfasst, "there was moderate level evidence from
multiple prospective studies that high job demands, low job control,
high effort-reward imbalance, low relational justice, low procedural
justice, role stress, bullying and low social support in the workplace
are associated with a greater risk of developing common mental health
problems." Allerdings sehen sie trotz dieser sehr zahlreichen
Längschnittstudien mit ähnlichen Ergebnissen („the evidence for a
prospective relationship is strong“ , S. 308) keine Kausalität bewiesen –
ganz wesentlich wegen des Verdachts der subjektiven Verzerrung der
Selbsteinstufung der Stressoren durch die befragten Beschäftigten unter
Berufung auf die oben skizzierte Querschnittstudie von Kolstad et al.
(deren Bericht über „reporting bias“ allerdings von einer methodisch
relativ rigoroseren Längschnittstudie von Elovainio et al. 2013 nicht
bestätigt wird): In der Diskussion dazu finden Harvey et al. „results
have been mixed“ , dabei fällt die die höchst unterschiedliche
methodische Güte der 2 sich widersprechenden Arbeiten unter den Tisch !
Ähnlich einseitig finde ich die Besprechung der Metaanalyse von Verkuil
et al. (2015) zum Bullying: Harvey et al. berichten zwar, dass diese
Autoren in den Längschnittstudien (immerhin 21 Arbeiten mit über 54000
Befragten !) einen schwächeren Zusammenhang von Bullying mit seelischen
Beschwerden fanden (r = 0.21) als in den Querschnittstudien. Nicht
berichtet wird das Ergebnis von Verkuil et al., dass in 7
Längschnittstudien worplace bullying mit PTSD-Symptomen viel stärker
korrelierte (r = 0.46), ebenso in 6 Studien mit Burnout-Symptomen (r =
0.51). Harvey et al. verwenden mehr Zeilen darauf, die Befunde von
Verkuil et al. methodisch anzufechten, als sie darzustellen, wie gesagt,
unter Kürzung der massivsten Befunde. Dabei haben sie selbst diesem
Metareview die zweitbeste Qualitätsnote zugeteilt (Tab. 2).
Wie oben bereits am Beispiel der Arbeit von DeSanto Iennaco et
al. (2010) belegt, blenden die Kritiker des „reporting bias“ die
eklatanten Schwächen der „objektiven“ Erfassung von Stressoren
befremdlicherweise aus: Elovainio et al. (2013) verwenden als Indikator
für organizational justice das Gruppenmittel der Arbeitsgruppen (Größe 3
- 215 Personen) gemittelt zudem über 2 Messungen in den Jahren 2000 und
2004 ohne zu wissen, ob die Indexperson in diesem ganzen Zeitraum den
Arbeitsplatz innehatte mit dem so ohne ihren „reporting bias“
festgestellten Stressor (S. 46), ganz zu schweigen von der Frage, ob die
Homogenität der Arbeitsgruppe diese Extrapolation vom Gruppenmittelwert
des Stressors auf den einzelnen Platz rechtfertigt, bei einer
Korrelation der Ratings der beiden Jahreswerte von 0.53 (S. 41).
Es bleibt für mich ein selbstverständliches Ideal, den Arbeitsstress
objektiv zu messen , etwa eine Fremdanamnese zu erheben. Als
Psychotherapeut und Sozialpsychiater habe ich erfahren, wie selten das
möglich ist, dass vielmehr in kleinen Gruppen wie auch in den sie
versorgenden Institutionen die Rede von objektiven Gegebenheiten allzu
oft Herrschaftsinteressen verschleiert; die Systemiker wie die
Soziologen beschäftigen sich folgerichtig auch meist nicht mit
objektiven Wahrheiten, eher mit standpunkt-abhängigen Interessen.
Da türmen die Empiriker der Arbeitsstress- Forschung über Jahrzehnte
immer ausgefeiltere Beweise auf (Längschnittstudien, klinische
Interviews statt Selbstauskunft über Symptome, neue Stressmodelle wie
effort-reward-imbalance oder organizational justice z.B.) - und die
kritischen Rezensenten stampfen die Ergebnisse in die Tonne von in der
Forschungspraxis unerfüllbaren methodischen Idealen, wollen bestenfalls
Interventionen testen . Cui bono ?
Als Beispiel seien die Bradford-Hill-Kriterien für kausale Beziehungen zwischen Exposition und Krankheit betrachtet:
„Here then are nine different viewpoints from all of which we should
study association before we cry causation. What I do not believe - and
this has been suggested - is that we can usefully lay down some
hard-and-fast rules of evidence that must be obeyed before we accept
cause and effect. None of my nine viewpoints can bring indisputable
evidence for or against the cause-and-effect hypothesis and none can be
required as a sine qua non. What they can do, with greater or less
strength, is to help us to make up our minds on the fundamental question
- is there any other way of explaining the set of facts before us, is
there any other answer equally, or more, likely than cause and effect?“
(Hill, 1965, S. 299) Völlig entgegen dieser fast weise abwägenden
Relativierung jedes einzelnen seiner Kriterien wird allzu oft die
Erfüllung aller Kriterien verlangt, ehe von Kausalität geredet werden
dürfe (z.B. Ferrie et al. 2007)
Zusätzlich sollte fantasiert werden, wie die "positive affectivity"
der geforderten objektiven Beobachter der Arbeitsbelastungen
kontrolliert wird, welche Unternehmer welche Mitarbeiter zu welchem
hoffentlich neutralen Blick auf die Betriebspraxis freistellen, falls
sie berufliche Belastungen objektivieren wollen. Ob Jeff Bezos,
Amazon-Chef und reichster Mann der Welt, 2014 beim Weltkongress des
Internationalen Gewerkschaftsbundes zum „Schlechtesten Chef der Welt“
gewählt, eine objektive Untersuchung seiner Arbeitsbedingungen (s.u.)
zulassen würde ?
Ich frage mich angesichts der relativ geringen Zahl derartiger
objektiver Arbeitsstressuntersuchungen, ob dass nur am Desinteresse der
Forscher für diese seit Jahrzehnten für nötig gehaltene
Methodenerweiterung liegt, oder ob ihnen der betriebliche Zugang fehlt.
Die anhaltende Fokussierung eines Teils der Arbeits-Stressliteratur auf
„reporting bias“ macht jedenfalls insofern den Arbeitgeber zum Zünglein
an der Waage.
Ganz sicher aber finden solche Studien nicht in den konkursbedrohten
Problembetrieben statt, die nach meiner therapeutischen Erfahrung gar
nicht selten ihre Mitarbeiter das Fürchten lehren. Wem dieser Hinweis
auf den „Herr- im - Hause - Standpunkt“ der meisten Unternehmer nicht
genügt, der hätte schon lange bei Rügemer & Wigand (2014), Wallraffs
Anklageschrift (2012) oder bei Gewerkschaftlern wie Beelze (1971)
fündig werden können.
Wie in einer anderen Welt fasst Muschalla, 2016, dagegen zusammen,
"Patienten mit psychischen Erkrankungen geben jedoch bei subjektiver
Einschätzung erlebter Überlastung oder mangelnder sozialer
Einbezogenheit (KFZA) höhere Werte an, als Menschen ohne psychische
Erkrankungen". Das hätte auch der gesunde Menschenverstand erwartet. Bei
58 getrennt getesteten items zur Beschreibung der Arbeitssituation
hätte sie dennoch eine Korrektur für multiples Testen, also eine
erheblich niedrigere Irrtumswahrscheinlichkeit als die von ihr
verwendeten 1% anwenden müssen; falsch positive Unterschiede zwischen
ihren neurologischen Reha-Patienten mit und ohne psychische Störung sind
also sehr gut möglich. Die Autorin betont selbst als Limitation, dass
bei einer Korrelation (von Querschnittsdaten) keine Kausalschlüsse
möglich sind. Hätte sie dann aber nicht wenigsten erwähnen können, dass
bei der Arbeit Überlastete oder weniger sozial Unterstützte öfter
psychisch krank werden ?
Linden & Co
Deutlicher wird diese individuumzentrierte Ätiologie, die wesentliche
soziostrukturelle Pathomechanismen skotomisiert, in Muschalla u. Linden
(2013): Schon im Vorwort heißt es, Arbeitsplatzphobiker externalisierten
aus Sorge , als psychisch krank stigmatisiert zu werden, und "zeigen
auf den Chef oder die Umstände am Arbeitsplatz als Erklärung, so wie
Patienten mit U-Bahn-Phobie in aller Ernsthaftigkeit behaupten, deswegen
nicht in den Tunnel zu können" (a.a.O. S. 11). Mir scheint, hier wird
direkt zu Beginn das framing vorgegeben, Angstpatienten seien so
irrational , dass man ihrem Bericht über die Arbeitsbedingungen
keinesfalls trauen sollte. (Womit ich den großen Wert der Fremdanamnese
keinesfalls bestreiten will !) Über Arbeit als Belastungsfaktor könne
man mangels Längsschnittstudien keine Kausalaussagen treffen (S. 24),
urteilen sie nach einer fehlerhaften Skizze der Literatur (das
Anforderungs-Kontrollmodell von Karasek und die Gratifikationskrisen von
Siegrist werden erwähnt, ohne z.B. auf die schon damals bekannten
Längschnittstudien über vermehrte Depressionen unter diesem Stress
hinzuweisen, vgl. Zusammenfassung bei Siegrist 2012 ).
Ganz unverbunden mit dem übrigen Text, wie ausgestanzt demgegenüber,
zählen sie S. 42-48 zahlreiche und z.T. existenzielle Quellen realer
Angst bei der Arbeit auf, vom Banküberfall über den Suizid vor den Augen
des Zugführers bis zum Arbeitsplatzverlust etc. Ebensowenig mit dem
individuumzentrierten Ansatz des Buches verbunden sind im Kapitel über
Prävention die vielen plausiblen, aber leider überwiegend nicht
empirisch bewährten (was lt. Rothe et al. die Regel ist) Vorschläge zur
Reduktion objektiver angstauslösender Bedingungen in der Organisation
des Betriebs.
In ihren Kasuistiken S. 198-208 dagegen fehlt weitgehend eine
Arbeitsplatzanalyse (Kapitel 14.1, 14.3, 14.4); im Fall 14.2 ist sie
stark verkürzt: Eine "einfach strukturierte" Küchenfrau, die durch
erhöhte Anforderungen (zur bisher bewältigten Küchenarbeit waren Service
am Buffet mit Gästekontakt hinzugekommen) im Gegensatz zu den
Kolleginnen überfordert war, sodass sie z.B. das Buffet
durcheinanderbrachte, war mehrfach im scharfen Ton von einer neuen
Chefin gerügt worden und hatte sich gemobbt gefühlt. Die auslösende
Szene wird so beschrieben:"...dass die Patientin mit ohnehin bereits
gesteigerter Anspannung, in Eile im Speisesaal am Buffet hantierte und
die Chefin hinzukam und sie barsch anging, warum sie noch nicht längst
fertig sei. Darauf entgegnete die Patientin erregt und mit lauter
Stimme, das sei Schikane und was die Chefin denn wolle, sie könne auch
nicht mehr tun als zu arbeiten. Die Vorgesetzte hatte sie daraufhin
richtig angeschrien und aus dem Speisesaal in die Küche verwiesen. Die
Patientin fühlte sich erniedrigt und öffentlich bloßgestellt...". Ohne
jeden Hinweis, dass die naheliegende Frage nach destruktivem
Vorgesetztenverhalten abgeklärt wurde, folgt die Beschreibung des
folgenden Angstzustandes mit Generalisierung , Krankschreibung etc. Die
Psychotherapie "begann mit einem Reframing der sehr starken
Externalisierungstendenz und Schuldzuweisung an die "böse neue Chefin".
Dies geschah durch Einführung einer Perspektive von Normalität und
Bewältigung."Ja, es stimmt, es gibt schon doofe Chefinnen. Aber das
Chefs meckern, ist eigentlich normal, oder ?"". Stattdessen konnte die
Patientin lernen, ihre persönliche Übererregbarkeit zu managen. Nach
erfolgreicher Therapie wurde mit dem übergeordneten Vorgesetzten eine
stufenweise Wiedereingliederung "zunächst" nur in der Küche verabredet.
Unerwähnt bleiben Gründe, das Verhalten der neuen Chefin nicht zu
problematisieren oder auf die Beschäftigung der Erkrankten am Buffet zu
verzichten; immerhin wurde doch im Präventionskapitel (a.a.O. S.139 f.)
"grundsätzlich wertschätzendes und unterstützendes Führungsverhalten"
und eine "konstruktive Reaktion" auf Befindlichkeitsstörungen oder
Ängste der Mitarbeiter gefordert !
Eine solche Schilderung aus einer Verhaltenstherapie lässt längst
überwunden geglaubte sozialkritische Zerrbilder von einer Dressur zur
Unterwerfung unter die herrschenden Verhältnisse erinnern; so ging es
mir als Leser auch bei Fall 14.4: Ein langjähriger erfolgreicher
Manager eines kleinen Unternehmens wird von seinem Kompagnon, bisherigem
Freund, nach unbemerkter Intrige in rechtlich nicht anfechtbarer Weise
gekündigt und gerät in eine Anpassungsstörung mit Arbeitsplatzphobie i.
S. einer posttraumatischen Verbitterungsstörung. Die therapeutische
Haltung erscheint mir mindestens widersprüchlich. Einerseits wird
berichtet:"...wurde immer wieder therapeutischerseits signalisiert, dass
man auf der Seite des Patienten steht und mit ihm einer Meinung ist
bzgl. der herrausragenden Ungerechtigkeit der Geschehnisse...".
Andererseits zentriert die Diagnostik auf das Individuum: "Der jetzigen
Erkrankung zugrunde liegt eine Persönlichkeitsstruktur mit hoher
Leistungserwartung gegenüber sich und anderen"…."Im Verlauf gelangte der
Patient langsam zu der Erkenntnis, dass seine Reaktion mit der
affektiven Verharrung und nicht die Situation der Arbeitslosigkeit das
Problem ist." Weil sich keine befriedigende berufliche Perspektive fand,
führten die "weisheitstherapeutischen Interventionen" nur zu einem
Teilerfolg. Mir fehlt die Einfühlung in diese Weisheit, die an den
ungerechten Ruin eines Lebenswerks anpassen will, ohne eine vertiefte
Analyse der ökonomischen und juristischen Gründe für die wie nebenbei
kurz mitgeteilte Unanfechtbarkeit des Vorgangs.
Nun macht die kognitive VT vielfach Anleihen bei der Stoa, an deren
Überlebensvorteil zur Zeit der ubiquitären Sklaverei erinnert sei.
Solche philosophischen Prämissen ignorierenen den Anspruch der
universalen Menschenrechte im Ansatz.
Wie gesagt, nicht nur bei den Kasuistiken vermeiden die Autoren, von
beruflich bedingten oder verursachten Störungen zu sprechen, es geht
ihnen um individuelles "Belastungserleben" oder dysfunktionales
Vermeidungsverhalten mit Krankheitsfolge.
Linden (2014) ist fest überzeugt, die Wiederholung des
Bundesgesundheits- Surveys beweise, dass psychische Krankheiten nicht
zugenommen hätten, nur besser erkannt würden.
Die Verkündung dieser Gewissheit ohne deren methodische Grenzen zu
erwähnen, erstaunt umso mehr, als er selbst bei der Validierung -
allerdings eines anderen - Fragebogens zur Feststellung psychiatrischer
Diagnosen von 15 "Fragebogen-Depressionen" nur eine bestätigen konnte
und sarkastisch titelte "Garbage in, garbage out" (Linden und Muschalla
2012); hatte er nicht 1996 die Güte des CIDI als mangelhaft diskutiert
(s.o.) ?
Nach Schilderung der umfassenden Mitarbeiterüberwachung durch
Digitalisierung und Qualitätssicherung behauptet Linden 2014:"Gesunde
Menschen können damit umgehen", weil aber "die Toleranz an den
Arbeitsplätzen immer geringer wird, dann muss die Zahl der Menschen mit
chronischen psychischen Erkrankungen, die mit Teilhabestörungen
assoziiert sind, zunehmen". In diesem traditionellen Modell
individuumzentrierter Ätiologie kommt nur eine Wirkrichtung vor: Der aus
anderen Gründen psychisch Kranke nimmt seine Arbeitsbedingungen
verzerrt war und/oder versagt krankheitsbedingt im Beruf; die
entgegengesetzte Wirkrichtung (schädliche Arbeitsbedingungen sind
(Teil-) Ursache psychischer Störungen) wird bagatellisiert - trotz über
Jahrzehnte gewachsener Evidenz ( Angerer et al. 2014).
Linden, Preisträger der Dt. Ges. f. Psychotraumatologie und
Fokus-Mediziner des Jahres ist auch in der Politikberatung tätig: „Man
muss aufhören zu sagen, das Leid kommt von der Arbeit“ ( Linden lt. TAZ
v. 12.4.2013, Bericht der Redakteurin Dribbusch über die Tagung der
Friedrich-Ebert-Gesellschaft, Berlin, über Medikalisierung sozialer
Probleme).
"Wer sich vom Chef schikaniert fühlt, kann sich unter Vortrag
beliebiger Klagen „krankschreiben“ lassen und damit dem Arbeitsplatz
fernbleiben." Das schreiben Gensichen u. Linden (2013) in einem
Meinungsartikel, ohne ein konkretes Kriterium zu bieten, welches helfen
könnte, nur gefühlte oder fälschlich behauptete und reale Schikane zu
differenzieren; aber es werden immerhin die vielen u.a. von destruktiven
Chefs bis zur Krankheit Schikanierten diffamiert.
Arbeitsmedizinisch-epidemiologische Evidenz dazu hätte auch 2013 schon
gefunden werden können : Rau u. Buykens (2015) besprechen drei bis 2012
erschienene Metaanalysen zum Beitrag von "bullying" bzw. aggressivem
Vorgesetztenverhalten zu psychischen Störungen; das wurde später weiter
bestätigt: Angerer et al. 2014, S. 45; Theorell et al 2015, S. 8; Rothe
et al. 2017, S. 174 ff .
Lindens Tendenz ist von Dauer, so schrieb er schon 2011: Die Zunahme
der diagnostizierten PTSD sei als Ausdruck eines "zunehmenden
Resilienzdefizits" unserer Gesellschaft zu vermuten, der ein
"vorherrschendes psychologisches Schonklima" zugeschrieben wird; aus
seiner klinischen Erfahrung (nach der die Diagnose "komplexe
posttraumatische Persönlichkeitstörung"ein Irrweg sei) ergebe sich der
„Eindruck, dass mehr als die Hälfte der Diagnosen einer PTSD schlicht
falsch sind". Anscheinend sieht er seine Diagnosen erhaben über solche
Zweifel, tatsächlich engt seine Kurzbeschreibung der Psychopathologie
-"panikartige Angst mit Intrusionen" die PTSD-Beschreibung des ICD10
gravierend ein; den ICD-10 Text "Prädisponierende Faktoren wie
bestimmte, z.B. zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder
neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die
Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber
die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um
das Auftreten der Störung zu erklären" scheint er nicht zu gelten zu
lassen, wenn er als einen der Gründe häufiger Fehldiagnosen anführt,
"dass eine psychische Störung auch schon lange vorher in der Biographie
belegbar ist", die häufigen Komorbiditäten der PTSD scheint er zu
ignorieren.
Linden (2014) meint weiter, es würden lebensübliche Ereignisse "in
der Öffentlichkeit wie von Therapeuten zunehmend dramatisiert": Mit dem
Framing, dass "wahrscheinlich kaum eine Gesellschaft unter so
friedlichen Bedingungen gelebt hat wie derzeit die Bevölkerung in den
Industriestaaten" erspart sich der Autor die Diskussion der übrigen
traumatisierenden Verhältnisse, die ja erst seit Einführung des Konzepts
der PTSD 1980 im DSM3 als Krankheitsursache systematisch erforscht
werden.
Aber Linden publiziert auch ganz aktuell mit derartiger Tendenz :
“Zwar ist unstrittig, dass bestimmte Belastungen am Arbeitsplatz das
Risiko für das Auftreten klinisch relevanter psychischer Erkrankungen
erhöhen (z.B. Theorell et al. 2015), aber eine Zunahme solcher
Stressbelastungen in der Arbeitswelt, die auch nur annähernd die Zunahme
der Diagnoseraten erklären könnte, ist nicht zu belegen. “ (Jacobi
& Linden 2018) Dieser Text verdient eine ausführlichere Kritik:
In der Literatur fand ich Angaben zwischen 4% und 20% (Bolm 2016)
über den Anteil durch berufliche Bedingungen erklärter Varianz
psychischer Störungen; Verkuil et al. (2015) geben sogar ca. 2-26%
allein für workplace bullying an: Wo nun die beruflichen Belastungen
zugenommen haben, wer wird da auf die Idee kommen, die psychischen
Störungen stiegen im selben Ausmass an ? Wer könnte in Erstaunen
geraten, dass zuerst die bereits Erkrankten oder Gefährdeten ausfallen ?
Die Auswirkungen der beruflichen Belastungen kommen
selbstverständlich mehrfache gebrochen bei denen an, die unter
förderlichen Umständen nie mit einer psychischen Erkrankung rechnen
müssten.
Aus solchen Binsenweisheiten ein Strohfeuer der Empörung über
Denkfehler derer zu entfachen, die die gestiegenen Arbeitsunfähigkeits-
und Berentungszugänge mit psychiatrischem Hintergrund als Folge eines
neoliberalen Durchmarschs in den Betrieben deuten – das riecht nach
Propaganda.
So polemisieren Jacobi & Linden (2018): ”Die heutige Diskussion
um krankmachende Arbeitsplätze erinnert an die Diskussion um die
Neurasthenie im ausgehenden 19. Jahrhundert, als psychische Krankheiten
in New York als Folge der zunehmenden Modernisierung angesehen wurden –
und nicht zuletzt auch als Folge der Schulbildung von Frauen.”
Mag der
Spott über die bekannten Exzesse der Modediagnose Neurasthenie sein
Recht fordern - der “medizinische Kern ist weitgehend identisch mit dem
der Ermüdungswissenschaft: Der aufgrund der Modernisierung aller
Lebensverhältnisse enorm angestiegene Verbrauch an Nervenkraft führt zu
einer allgemeinen Erschöpfung der psychophysischen Substanz des
Individuums, aber auch des Kollektivkörpers der Gesellschaft” (Böhme
2018). Wer von der Irritation über die schnellen Wechsel der Sprachmoden
wegkommt, kann der nicht den gemeinsamen Hintergrund der
“Chronopathologie einer ständig beschleunigten Gesellschaft” ( Fuchs
2018) erkennen ?
Dementsprechend verschließen sich Jacobi & Linden (2018) der
historischen und sozialen Dimension des Problems; darüberhinaus
hinterfragen sie ihr Kernargument, die angebliche Konstanz der
Prävalenzraten psychischer Störungen, mit keiner Silbe. Die
administrativen Daten zur gestiegenen Inanspruchnahme werden jedoch
liebevoll zerlegt. Ihr Hinweis, wie notwendig inklusive
Arbeitsbedingungen für die psychisch Kranken sind, kann nur unterstützt
werden. Es schließen sich hier aber 2 Fragen an:
1. Wer heute wegen psychischer Störungen und /oder Behinderungen “nicht
mehr mitkommt”, aber noch arbeitsfähig bleibt, der ist doch meistens auf
den Arbeitsmarkt für Behinderte, hauptsächlich die Werkstatt für
Behinderte, verwiesen und landet damit in der Armut. Das dürfte Linden
als langjährigem Chefarzt einer Reha-Klinik kaum verborgen geblieben
sein, ist ihm aber 2018 keine Silbe wert. Wie soll das eine
massenwirksame Perspektive sein bei 71300 aus psychischer Erkrankung
Berenteten pro Jahr ? (FAZ 2018)
2. Wer als bereits psychisch Kranker an den “modernen” Arbeitsplätzen
überfordert ist, wird der evtl. kränker, langsamer oder gar nicht wieder
gesund ? Dafür haben die Autoren keinen Blick und keine Daten ; mit der
holzschnittartigen Ausschließlichkeit ihres antithetischen Titels
“Macht die moderne Arbeitswelt psychisch krank – oder kommen psychisch
Kranke in der modernen Arbeitswelt nicht mehr mit?” scheinen sie das
Ersterkrankungsrisiko durch Jobstress aus dem Forschungsfeld räumen zu
wollen . Das unter fast vollständiger Vernachlässigung der einschlägigen
Literatur (s.o.), die ja z.B. im Review von Theorell, den sie
ausnahmsweise selbst zitieren, den Faktor “vorbestehende psychische
Krankheit” kontrolliert hat. Außerdem zitieren sie selektiv: “Auch
Untersuchungen der Bundesanstalt für Arbeitssicherheit und Arbeitsschutz
[vermutlich gemeint Bundesanstalt f. Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin,
BAuA, W.B.] sprechen dafür, dass die Menschen, die in Arbeit sind, sich
überwiegend nicht gestresst fühlen und dass auch die Rate der subjektiv
gestressten Arbeitnehmer über die Jahre hin nicht wesentlich zugenommen
hat (Lohmann-Haislah 2012; …. ). Deren Rate beträgt unter 20%, d.h. sie
liegt unter der Rate der psychisch Kranken in der Bevölkerung.” In der
zitierten Studie finde ich im Fazit jedoch auch den Hinweis:”...bei zwei
der am meisten verbreiteten Anforderungen -”starker Termin - und
Leistungsdruck” und ”sehr schnell arbeiten müssen” sei ein Anstieg der
subjektiv empfundenen Belastung zu verzeichnen (S. 178) und ebendort
lese ich:”dass der Wandel der Arbeitswelt zu deutlichen Veränderungen in
den Anforderungen führt. Dabei hat, wie eine Vielzahl von Studien in
der Vergangenheit bereits dargelegt hat, die psychische Belastung
zunehmend an Bedeutung gewonnen”. In der Abb. 26, S. 96 geht es um die
Frage, welche Beschwerden während der letzten 12 Monate während der
Arbeit häufig aufgetreten seien: Bei allen 4 Indikatoren zeigt sich eine
leichte Zunahme von 2005 nach 2011, bei der Frage, ob der subjektive
Gesundheitszustand weniger gut oder schlecht sei, steigt die Bejahung
von 10 % auf 14%. Soweit Lohmann-Haislah 2012. Im DGB-Index Gute Arbeit
2016 (DGB 2017) gaben zwar 27% an, durch die Digitalisierung größere
Entscheidungsspielräume zu haben, eine bessere Vereinbarkeit von Familie
und Beruf bejahten 21%. Aber gleichzeitig berichteten jeweils über 50%
von einer größeren Arbeitsmenge bzw einer größeren Zahl gleichzeitig zu
bewältigender Arbeitsvorgänge im Gefolge der Digitalisierung. Spricht
das nicht insgesamt für zunehmende Belastungen ? Nachträglich rücken
ganz aktuelle Zahlen der Techniker-KK (2019) die Behauptung von Linden
& Jacobi 2018 (es gäbe gar keine Zunahme des Jobstress mehr) in ein
sehr zweifelhaftes Licht :
Zwischen 2006 und 2015 sei es zu einer erheblichen Zunahme von
Fehlzeiten mit Diagnosen aus dem Bereich psychischer Störungen um mehr
als vier Fünftel gekommen. (Abb. 23, a.a.O. S.6 5) "Die psychische
Belastung von Pflegekräften scheint im Laufe der letzten Jahre, wie auch
in anderen Berufen, noch zugenommen zu haben. Es ist davon auszugehen,
dass die Verdichtung von Arbeit, die aufgrund von zunehmenden
Wirtschaftlichkeitserwägungen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen
zu beobachten ist, sowie ein wachsender Personalmangel für Pflegekräfte
auch hohe psychische Belastungen mit sich bringen. Motivation für eine
Tätigkeit in der Pflege wird bei vielen Pflegekräften unter anderem der
Wunsch sein, mit Menschen umzugehen und Menschen zu helfen.
Möglicherweise ist es auch die Bereitschaft, anderen Menschen zu helfen
und sich in sie einzufühlen, wie sie durch die Wahl eines Pflegeberufes
zum Ausdruck kommt, die die betroffenen Männer gleichzeitig anfälliger
für psychische Erkrankungen macht. Die Diskrepanz zwischen dieser
Motivation und der Möglichkeit, ihr im Berufsalltag gerecht zu werden,
dürfte psychische Erschöpfungszustände auch bei weiblichen Pflegekräften
begünstigen. Neben diesen Faktoren sind auch Belastungen durch
Arbeitsbedingungen wie Schicht- und Nachtarbeit zu nennen, die in diesem
Arbeitsbereich kaum zu vermeiden sind und ebenfalls mit negativen
Effekten auf die Gesundheit verknüpft sind."(a.a.O. S.12)
Allein der healthy-worker-effect sollte es schon verbieten, derlei
Häufigkeiten umstandslos mit der Prävalenzrate für psychische
Krankheiten in der Allgemeinbevölkerung wegzuerklären.
Bei der Festlegung des Grenzwerts für gesundheitschädlichen Lärm am
Arbeitsplatz gab der Schutz einer Minderheit von wenigen Prozent
Lärmempfindlichen den Ausschlag: Schon wenn die Lärmexposition je nach
Alter ca 4-12% mehr Betroffene mit Hörverlust von 15 dB (A) erwarten
lässt greift die Schutzgrenze von 85 dB (A)* (Dieroff 1994, Abb 124 ) -
dieses Risiko liegt weit unter den 40 dB(A) Hörverlust, die für eine
Anerkennung als Berufskrankheit gefordert sind. Wie wenig paradiesisch
andererseits diese Arbeitsbedingungen an der geschützten Grenze zur
Lärmschwerhörigkeit sind, belegt das Review von Passchier-Vermeer
(2000): "Given such exposure over a lifetime in a job, a hearing
impairment at 4,000 Hz of about 5-10 dB is estimated for most workers,
although for those persons highly sensitive to noise, noise-induced
impairment is considerably greater." (S. 129) Trotz alledem, bei der
Lärmschwerhörigkeit ist in langen Auseinandersetzungen echte Prävention
erkämpft worden. Wenn bei häufigen Schikanen die Depressionen bis auf
das Achtfache steigen (Theorell 2015) oder bei traumatischer Exposition
in Feuerwehr, Rettungsdienst etc. die Häufigkeit der PTBS mehr als
verdoppelt sein könnte, (allerdings bisher nur in Studien ohne
Kontrollgruppen , vgl. Bolm-Audorff et al. 2019) gibt es keinen
Arbeitsschutz.
Im aktuellen Positionspapier (2018) der Pneumonologen zur
Luftverschmutzung heißt es: “So können z. B. unterhalb der in der EU
gültigen Grenzwerte erhebliche Gesundheitseffekte durch Luftschadstoffe
nachgewiesen werden .... Medizinisch abgeleitete Werte sind z. B. die
Richtwerte
der WHO, deren Einhaltung aus gesundheitlicher Sicht empfohlen wird.
Ziel dieser Ableitung ist es, diejenigen Mengen oder Konzentrationen
einer Belastung festzulegen, mit deren Aufnahme über einen definierten
Zeitraum mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine relevante
schädliche Wirkung mehr verbunden ist. Hierbei gilt es, bestimmte
Bevölkerungsgruppen, z. B. Kinder, ältere Menschen, schwangere Frauen,
besonders zu berücksichtigen. Ein zentrales Leitprinzip, das in diesem
Kontext von hoher Bedeutung ist, ist das Vorsorgeprinzip.” Auf dem
Gebiet der Primärprävention ist die Gleichstellung von psychisch Kranken
und somatisch Kranken, die bereits 1975 in der Psychiatrieenquete
eingeklagt wurde, längst noch nicht verwirklicht. Sind etwa die
psychisch Kranken inkl. der Genesenen und der Risikogruppen weniger zu
berücksichtigen als Kinder, Ältere, Schwangere ?
Jacobi und Linden zitieren Theorells et al. (2015, S. 8)
Metaanalyse, die für depressive Symptome eine Erhöhung um das 1,7- Fache
bei Jobstrain feststellen (Bei häufigen Schikanen das 2,5- bzw 8,3-
Fache) und verwerfen dennoch ein arbeitsbedingtes Mehr an psychischen
Störungen, mit der impliziten Behauptung, die Anpassungsfähigkeit an
derzeit gegebene Arbeitsbelastungen sei der Ausweis der psychischen
Gesundheit. Dabei hat Linden 2012 das Positionspapier (DGPPN 2012) zum
Burn-Out mit verfasst, das trotz des Hinweises auf begrenzte empirische
Evidenzen unter den arbeitsplatzbezogenen Bedingungsfaktoren des
Burn-Out feststellt:” Die Globalisierung führt zu einer immer breiteren
und größeren Konkurrenzsituation im Wirtschaftsleben. Eine
Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen wird häufig durch massive
Stellenkürzungen und durch Rationalisierungen erreicht, was zu einer
verstärkten Arbeitsbelastung der am Arbeitsplatz Verbleibenden führt,
die oft verbunden ist mit Ängsten vor weiteren Stellenkürzungen.”
Nun gibt es schon seit 2005 Ioannidis' Behauptung "Most Research
Findings Are False for Most Research Designs and for Most Fields"; als
besonders begünstigende Randbedingungen solcher Fehleranfälligkeit nennt
er gleich mehrere unbestreitbar typische Charakteristika der
Sozialpsychiatrie der Arbeit:
- "The smaller the effect sizes in a scientific field, the less likely the research findings are to be true"
- "The greater the flexibility in designs, definitions, outcomes, and
analytical modes in a scientific field, the less likely the research
findings are to be true."
- "The greater the financial and other interests and prejudices in a
scientific field, the less likely the research findings are to be true."
So gewiss es viele Beispiele heftig umstrittener, aber im Lauf der
Geschichte als unfruchtbar verlassener Forschungsfelder gibt, so sicher
ist der Kampf um methodische Klärung unverzichtbar – insoweit ist
Ioannidis zuzustimmen; aber ist es wirklich so schwer, in den
ultraskeptischen Bedenkenträgern nützliche Idioten der Unternehmer zu
erkennen, die aus dem Fortdauern ruinöser Arbeitsbedingungen ihren
Extraprofit schlagen – oder den Bankrott ihres kriselnden Unternehmens
hinausschleppen?
Ideologiekritik und Sozialstruktur
Wer die sozialpsychiatrischen Beziehungen von beruflicher Lage und
Psychopathologie durchdringen will, muss über den individuellen
Bedingungszusammenhang weit hinausgreifen:
Die Schattenseite einer der Grundlagen unsere Wirtschaftssystems, der
Konkurrenz, beleuchtet der Soziologe Hondrich (Der neue Mensch, 2001;
zit. n. Herrmann): "Wettbewerb erzeugt Ungleichheit. Sogar, wenn alle
ihre Leistung steigern, sind einige zum Scheitern verdammt. Der Erfolg
des einen ist der Mißerfolg des anderen. Leistungssteigerung führt -
später oder früher, dort oder hier - zu Leistungsversagen. Dieses
Leistungsversagungsgesetz ist das fundamentale Paradox der
Wettbewerbsgesellschaft, eine Fortschrittsfalle, aus der es kein
Entrinnen gibt...".
Einen anderen Aspekt nennt Keupp (2010): „Die in den letzten
Jahrzehnten registrierte Zunahme etwa von Depressionen,
Burnouterfahrungen, Borderline- oder Essstörungen sind Beispiele für die
Notwendigkeit, neben einer psychodiagnostischen auch eine
gesellschaftsdiagnostische Einordnung vorzunehmen. Bei vielen der
aktuell bedeutsamer werdenden Störungsbilder handelt es sich um
Identitätskrisen, die auf veränderte gesellschaftliche Lebensbedingungen
im globalisierten Netzwerkkapitalismus verweisen. Diese stellen
Anforderungen an die alltägliche Identitätsarbeit dar, mit denen viele
Menschen nicht mehr zu Recht kommen.“
Die herrschende Lehre in der Sozialpsychiatrie der Arbeit kann ich in
diesen makrosozialen Aspekten nur als einäugig bewerten. Die
psychopathogene Wirkung soziostruktureller Faktoren wie etwa
überflüssiger Repression im Betrieb z.B. bleibt weitgehend skotomisiert.
Dabei hatte schon Dahrendorf im Wörterbuch der Soziologie hierzu
Grundlegendes angesprochen „Vielleicht liegt die letzte Ursache für die
Persistenz industrieller Konflikte im Herrschafts- und
Disziplinierungscharakter von Industriebetrieben. Hier begegnen sich
industrielle und Klassenkonflikte, wobei unter diesen die politischen
Auseinandersetzungen in Gesellschaften verstanden werden sollen.“(zit.
nach Krysmanski, 1971, S. 189)
Diese makrozozialen Rahmenbedingungen ignoriert der
Psychoanalytiker Dejours (2016) keineswegs, der in einem narrativen Text
darlegt, wie die Entscheidung des Managements zu wettbewerbssteigernden
Personalbeurteilungen die kollegiale Solidarität grob beschädigt und
schließlich zu einer Zunahme von ihm untersuchter betrieblicher Suizide
in Frankreich führte, überraschenderweise meist ohne psychiatrische
Vorgeschichte. Eine Serie von 25 Suiciden bei bei France Telekom in
weniger als 2 Jahren waren für Kivimäki, Hotopf und Henderson (2010)
noch der Aufhänger für ein Editorial, dass es bessere Beweise brauche,
ehe feste Schlüsse über die Verursachung depressiver Symptome durch
Arbeitsstress möglich seien und damit arbeitsmedizinische präventive
Interventionen.
2019 wurde allerdings in der Sache France Telekom wegen Mobbing in
Paris zur Höchststrafe verurteilt (droit-travail-france.fr ), Gutachter
war u.a. Dejours.
Der philosophische Anthropologe Micali (2018) beschreibt den
„Leistungskult in der unternehmerischen Gesellschaft“- die “Forderung
nach ständiger Innovation, die zu einer Optimierung der Leistungen, der
Produkte und des Profits führen soll, hat einen klaren Nachteil: Ein
solches Übermaß an Anforderungen erzeugt beim Individuum ein Gefühl
intrinsischer Insuffizienz und letztlich des Sich-schuldig-Fühlens.“
Einen Blick auf angstfördernde Sozial-Strukturen in unserer Zeit
steigender Behandlungs / Berentungsziffern für seelische Störungen
erlauben Betzelt & Bode 2017: "Die unter dem Druck von
Globalisierung und neoliberalem Zeitgeist betriebene Deregulierung von
Arbeitsverhältnissen bescherte der Kapitalseite ein wachsendes
Drohpotenzial und vielen Erwerbstätigen neue, mitunter existenzielle
Risiken sowie ein höheres Potenzial für Statusgefährdung. Entstanden
sind erweiterte Zonen ungesicherter, vielfach niedrig entlohnter
Erwerbsarbeit, und soziale Abstiege in diese Zonen wurden auch für
qualifizierte Beschäftigte vorstellbar(er), während Aufstiege in besser
gesicherte Segmente immer schwieriger erscheinen. Die Reformpolitiken
der 2000er Jahre haben dies insofern begünstigt, als sie viele
Bürger_innen stärker den Kräften der Märkte aussetzten, also eine
„Re-Kommodifizierung“ der Arbeits- und Lebensverhältnisse antrieben. Der
reformierte Sozialstaat wurde so zum Angsttreiber."
Wilkinson & Pickett (2009) behaupten eine lineare Abhängigkeit der
Prävalenz psychischer Störungen (WHO – Daten) von der sozialen
(Einkommens-) Ungleichheit:
Quelle: https://www.equalitytrust.org.uk/mental-health, abgerufen 7.11.2019
Auf ihrer Webseite stellen sie auch die vermuteten pathogenetischen
Pfade dar:“The most plausible explanation for income inequality’s
apparent effect on health and social problems is ‘status anxiety’.
Income inequality is harmful because it places people in a steep
hierarchy that increases status competition and causes stress, which in
turn leads to poor health and other negative outcomes... There is little
consensus on how these mechanisms, particularly ‘status anxiety,’ work
in practice, given different people’s different reference groups, their
knowledge (or lack of knowledge) about social stratification and the
complex nature of ‘status’ and self-esteem…Other possible mechanisms put
forward include stress in the womb and early life and the socioeconomic
status of your parents. ”
Unterstützung bekommen sie von Friedli (2009): „Mental health is also
the key to understanding the impact of inequalities on health and other
outcomes. It is abundantly clear that the chronic stress of struggling
with material disadvantage is intensified to a very considerable degree
by doing so in more unequal societies. An extensive body of research
confirms the relationship between inequality and poorer outcomes, a
relationship which is evident at every position on the social hierarchy
and is not confined to developed nations. The emotional and cognitive
effects of high levels of social status differentiation are profound and
far reaching: greater inequality heightens status competition and
status insecurity across all income groups and among both adults and
children."
Die Metaanalyse von Ribeiro et al. (2017) dagegen berichtet eine
geringe Effektstärke der sozialen Ungleichheit auf die psychischen
Störungen, weist aber selbst auf derart massive methodische
Einschränkungen (S. 560) hin, dass man sie weder pro noch contra
Wilkinson & Pickett werten sollte: keine der 27 ausgewählten Studien
war für die Fragestellung konzipiert (!); von den 9 Studien, die
ausreichende Angaben für eine Metaanalyse aufwiesen, hatte nur eine
einzige eine positive Assoziation von Ungleichheit und Ausmaß
psychischer Störungen; die geografische Analyseebene reichte von
Gemeinde und Nachbarschaft über Region, Stadt, Bundesstaat bis zu Land
(S. 558) . Das halte ich bei jedem einzelnen dieser Kritikpunkte für ein
k.o.-Kriterium, was die Vergleichbarkeit der Ergebnisse der Studien
untereinander betrifft.
Der entscheidender Einwand gegen Wilkinson & Pickett folgt aus
ihrer unkritischen Übernahme der psychiatrischen Prävalenzen: Während
sie für Deutschland eine Einjahresprävalenz irgendeiner psychischen
Störung von 9,1% angeben (nach The WHO World Mental Health Survey
Consortium 2004), sollen es ebenfalls nach DSM4 / CIDI bei Jacobi et al.
2014 27,7% sein, seit der Vorläuferuntersuchung von 1998 angeblich
quasi konstant. Auch wenn die Jacobi-Daten ein ca. 6% breiteres
Diagnosespektrum umfassen und die Altersverteilung der Befragten
differiert – ein unglaublicher Unterschied, der im oben gezeigten
Diagramm von Wilkinson & Pickett Deutschland zu einem krassen
Ausreißer machen würde.
Einen anderen Aspekt der These von Wilkinson & Picket beleuchtet
Brenner (2012); er erklärt 82% der Varianz der Suizidraten in 27
hochindustrialisierten Ländern im Krisenjahr 2008 mit deren
makroökonomischer Lage: Eine Querschnittstudie ohne direkte kausale
Beweiskraft, wäre da nicht der Hinweis Brenners auf ähnliche, sehr lange
Zeitreihen zu Suizidraten und hätte er nicht (seit 1979 auf Deutsch
verfügbar !) auf der Grundlage von US-Daten der Jahre 1841-1967 einen
Zusammenhang von Rezession und Zunahme psychiatrischer
Hospitalisierungen nachgewiesen.
Ebenfalls vergleichsweise pragmatisch klagt die US- Philosophin
Elisabeth Anderson (2019) in ihrem frisch übersetzten Werk die
„Unterwerfung der Arbeitnehmer unter eine willkürliche, nicht
rechenschaftspflichtige“ Herrschaft der Arbeitgeber an, „unter der sie
leicht zu Opfern von Machtmißbrauch werden.“(a.a.O. S. 202) Empirisch
unterlegt sie ihre Kritik z.B. S. 195 f. mit Berichten über die
Bedingungen in einem Amazon-Lagerhaus: „Das Arbeitstempo ist durchweg
hoch. Die Arbeitskräfte werden wegen „Zeitdiebstahls“ zurechtgewiesen,
wenn sie innehalten, um nach einer besonders schwierigen Aufgabe Luft zu
holen...Sie werden permanent steigenden Pensen unterworfen, wegen der
Nichterfüllung ihrer Vorgaben ständig angeschrien, täglich mit
Entlassung bedroht und schließlich gefeuert, wenn das geforderte Tempo
für sie zu hoch wird…2011 ließ Amazon zu, dass die Innentemperatur in
seinem Warenlager in Allentown, Pensylvania, auf 39 Grad Celsius
anstieg. Als die Beschäftigten darum baten, die Türen zur Laderampe zu
öffnen, um Luft zirkulieren zu lassen – ein übliches Vorgehen bei
anderen Lagerhäusern - lehnte Amazon dies mit der Begründung ab, es
würde zu Diebstahl durch die Angestellten führen. Stattdessen ließ
Amazon Rettungswagen vorfahren, die diejenigen Arbeitskräfte in Empfang
nehmen sollten, die aufgrund eines Hitzschlags zusammenbrechen würden.
Wenn sie tatsächlich zusammenbrachen, bekamen sie Minuspunkte für
ausgefallenen Arbeit und wurden gefeuert, wenn sie zu viele davon
anhäuften“. Weiter zitiert sie S. 204 ff. eine Studie, nach der 90% der
Beschäftigten in US-Restaurants berichteten, schon einmal sexuell
belästigt worden zu sein. In der US- Geflügelindustrie fand eine Studie
heraus, dass „die grosse Mehrheit“ der Beschäftigten nicht die Erlaubnis
hatte, zur Toilette zu gehen, deshalb seien viele „gezwungen, Windeln
zu tragen“. 67% der Ärzte im betrieblichen Gesundheitswesen stellten
fest, dass die „Arbeiter Disziplinarmaßnahmen fürchten, wenn sie eine
Verletzung oder Erkrankung melden“ , ein Drittel dieser Ärzte werde von
den Arbeitgebern unter Druck gesetzt, „die Diagnose und Behandlung bei
Arbeitern zu verharmlosen, um die Meldepflicht zu umgehen“. Diese
erschreckende Mängelliste setzt sich fort mit unberechenbaren
Einsatzplänen (41% aller Arbeitnehmer), besonders schwere Ausbeutung der
illegalen Arbeitsmigranten, Lohndiebstahl bei bis zu 2/3 der
Beschäftigten im Niedriglohnbereich in Höhe von bis zu 15% ihres
Gesamtverdiensts – das sei drei Mal mehr als die Summe aller anderen
Diebstähle in den USA (S. 212).
Die Ignoranz gegenüber diesem „allgegenwärtigen Autoritarismus am
Arbeitsplatz“ (S. 113) unter denen, die von den Segnungen des freien
Marktes schwärmen, klassifiziert Anderson als „so etwas wie eine
politische Hemiagnosie“ (S: 107). Sie versteht ihren Beitrag als
Ideologiekritik, die die Einführung der Mitbestimmung im Betrieb auf die
politische Tagesordnung setzt (S. 200f.). Immerhin wird die Autorin in
der Einleitung von Macedo, ranghohem Mitglied der American Political
Science Association, als eine der weltweit führenden
Sozial-PhilosophInnen gewürdigt.
Dreitzel, emeritierter Soziologe und Gestalttherapeut, entfaltete
2009 in seiner Rede von der „Weltkrise“ eine im Vergleich zum bisher
Referierten deutlich umfassendere makrosoziale Theorie, die auch für die
Sozialpsychiatrie der Arbeit relevant ist; er soll deshalb hier
ausführlicher zu Wort kommen:
„...möchte ich erläutern wie und welche weltweiten krisenhaften
Entwicklungen immer wieder und immer weiter dazu beitragen, das
Katastrophische an unserer Lebenswelt zuzuspitzen und aktuell ins
Bewusstsein treten zu lassen.
Krisenhaft nenne ich solche Entwicklungen, die durch quantitatives
Wachstum zwangsläufig an einen Kipp-Punkt geraten, an dem weiteres
Wachstum in qualitative Veränderung umschlägt. Das Wachstum kann
numerisch sein, wie z. B. der Anstieg der Weltbevölkerung, oder es kann
struktureller Natur sein, wie z. B. beim Wachstum pilzartiger
Verflechtungen in der Bürokratie.
Die gemeinsamen Merkmale dieser Entwicklungsprozesse sind:
• Beschleunigung,
• gesteigerte Komplexität und
• Unvorhersehbarkeit der qualitativen Veränderungen.
Jedes dieser drei Merkmale macht Angst. Und genau das ist es, wo Psychotherapie ins Spiel kommt. Denn es ist
• die Beschleunigung unseres Lebens, die die Hauptursache für unseren Stress ist, und es ist
• die wachsende Komplexität aller unserer Lebensbereiche, die uns so
hilflos und scheinbar handlungsunfähig macht, und es ist
• die Unvorhersehbarkeit von Entwicklungsprozessen mit katastrophischem
Potential, die unsere Lebensangst so steigert, dass sie ständig verdrängt werden muss."...
"...jede Gesellschaft ist nun Teil der Weltgesellschaft. Und das eben
nicht nur durch die Gefahr eines Atomkrieges, sondern auch durch die
Tatsache, dass unsere heutige Zivilisation allein schon durch einen
Unfall oder eine Serie von Unfällen in ihrem Kern getroffen werden kann.
Kann – nicht muss. Aber wir wissen seit Tschernobyl um die unglaublichen
Folgen selbst eines lokalen atomaren Unfalls Wir wissen heute, dass
Technische Großunfälle durch ein zufälliges Zusammentreffen mehrerer
geringfügiger, Störungen zustande kommen, deren Verkettung auf eine zu
hohe Komplexität und eine zu geringe Flexibilität zurückzuführen ist.
Charles Perrow Normale Katastrophen, Über die unvermeidbaren Risiken der
Großtechnik, 1988).
Es spricht nichts gegen die Annahme, dass auch atomare Kriegsunfälle auf
ähnliche Weise entstehen können. Das Gleiche trifft auf die globalen
Netzwerke zu, wie z. B. das elektronische Netzwerk. Immer sind die
gleichen Ursachen am Werk:
ein zufälliges Zusammentreffen vieler in sich banaler Betriebsstörungen
mit der immer vorhandenen hochgradigen Komplexität der Systeme. Diese
Tatsache hat besonderes Gewicht auch bei den Auswirkungen des
technisierten Lebens in seiner Gesamtheit auf die uns umgebende und uns
tragende Natur z. B. beim Artensterben. Denn immer führen Störungen
dieser Systeme schnell an den Rand von unkontrollierbaren
Kettenreaktionen, die das System insgesamt aus so dem Gleichgewicht
bringen können. Wie jetzt das der Finanzmärkte. Das aber ist eine
chronische und daher chronisch beängstigende Bedrohung. Die
„katastrophische Kultur“, die damit beschrieben ist, ist also eine
Kultur der Angst."
"Der Epochenwandel löst also Stress - Ohnmachtsgefühle - und Angst aus.
Diese negativen emotionalen Erfahrungen werden neurotisch kompensiert
entweder durch:
1. Unteranpassung, d. h. eine Art psychische Verweigerung
2. Überanpassung, d. h. durch den misslingenden Versuch, mit der eigenen Kraft die gesellschaftlichen Verhältnisse zu überholen
3. Vermeidungsstrategien, also Flucht in scheinbar von den Entwicklungen unberührte Zonen.
Wir werden es also bei uns und bei unseren Patienten und Klienten mit
drei verschiedenen Gruppen von neurotischen Verhaltensweisen zu tun
haben oder noch bekommen. Natürlich will ich damit jetzt nicht
behaupten, dass alle neurotischen und psychiatrisch relevanten Störungen
ihre Ursachen AUSSCHLIEßLICH ODER AUCH NUR ÜBERWIEGEND denjenigen
gesellschaftlichen Umständen zu verdanken haben, die ich hier kurz
skizziert habe. Aber diese sind doch der bleibende, prägende, und tief
ins Unbewusste wirkende Hintergrund aller weiteren
Ursachenzusammenhänge, insbesondere auch die der familiären Herkunft und
die der anderen rein biografischen Faktoren.(Hervorhebung W.B.)
Die erste Gruppe sind die Unterangepassten. Da gibt es einmal jene, bei
denen der Körper streikt, nicht mehr mitmachen will, sich weiteren
Anpassungen verweigert. Stress im weitesten Sinn des Wortes verursacht
eine Fülle von psychosomatischen Störungen und Erkrankungen. - Weiters
löst die wachsende Komplexität unserer Lebensbezüge Gefühle von
Resignation aus und eine Neigung zu depressiven Prozessen, eventuell
wechselnd mit Anfällen zielloser Wut. Bei Jugendlichen wird die
allgemeine Perspektivlosigkeit leicht zu soziopathischen Prozessen
führen, die sich in Vandalismus und Gewalttätigkeit ausdrücken. Die
Undurchschaubarkeit der qualitativen Entwicklungssprünge
schließlich mag zu depressiver Resignation und Apathie führen, kann
sich aber eben gut bei denjenigen, die über mehr frei flottierende
Energie verfügen, in Angstneurosen und paranoischen Vorstellungen
ausdrücken. All diese neurotischen Reaktionen sind aber im Grunde
genommen individuelle, einsame und misslingende Rebellionen gegen ein
sozio-kulturelles Umfeld, in dem die Unterscheidung von Normalität und
Wahnsinn immer mehr an Plausibilität verliert. Zu Recht hatten Fritz
Perls und Paul Goodman Neurosen als Notfallreaktionen auf
gesellschaftliche Fehlentwicklungen verstanden. Dann gibt [es] die nicht
minder neurotischen Versuche der Überanpassung an die ständig
wechselnden Anforderungen der kastrophischen Kultur. Dazu zähle ich den
überdrehten „Workoholismus“ derer, die noch Arbeit haben, die ihnen
sinnvoll erscheint. Bezeichnend für diese fehlgeleiteten
Anpassungsversuche scheint mir aber vor allem die verbreitete emotionale
Blindheit für alles, was nicht wenigstens potentiell als eigenes
Selbst erlebt werden kann: der von den gesellschaftlichen Verhältnissen
geförderte Narzissmus ist der der oft bis zum eigenen Untergang
vorangetriebene Versuch, mit rein individuellen Mitteln den Überblick
und die Kontrolle über die immer undurchschaubarer werdenden
Systemzusammenhänge zu behalten. Die Ahnung vom unausweichlichen
Scheitern dieses Versuch wird dann zum Motor der anders kaum
verständlichen Raffgier, die offenbar alle Eliten inzwischen ergriffen
hat, jedenfalls diejenigen unter ihnen, die glauben, dass einzig Geld
äußere und innere Sicherheit bieten könnten.
Es ist die Identifikation mit dem Aggressor, die nach der unvermindert
gültigen Analyse von Perls und Goodman zu jener „Selbstvergewaltigung „
führt, die sich heute, im Vorfeld der Kipp-Punkte zahlreicher
krisenhafter Entwicklungen in den beiden psychischen Hauptstörungen
unserer Zeit manifestiert - Depression und Narzissmus. Schließlich gibt
es drittens zahlreiche Vermeidungsstrategien, mit denen Menschen
versuchen, dem Stress, der Hetze, dem Gefühl, nichts tun zu können, und
der unbestimmten Angst zu entgehen. Mit diesem Begriff meine ich alle
Verhaltensweisen, die geeignet sind, unsre Bewusstsein so einzutrüben,
dass wir die aktuellen wie die anstehenden Gefährdungen unseres Lebens
durch krisenhafte Entwicklungsprozesse nicht mehr so wahrnehmen, wie es
unserer Intelligenz und unserem erreichbaren Kenntnisstand entspricht..
Jeder kennt solche Strategien von sich selbst – und soweit sie unseren
Erholungs- Regenerationsbedürfnissen dienen, sind sie gesund und sie
tragen zu unserem seelischen Gleichgewicht bei.
• Ein guter Schlaf ist überlebenswichtig,
• Abschalten und innehalten Können ist hilfreich,
• Loslassen oft notwendig,
• Erholung und Ausspannen helfen uns dabei, danach wieder mit vollem Gewahrsein aktiv zu werden,
• ja sogar Muße und Müßiggang haben im Zeitalter der Geschwindigkeit und Beschleunigung einen Wert an sich.
Aber es gibt eine feine Grenze, jenseits der alle diese guten und
notwendigen Verhaltensweisen nicht mehr coping strategies sondern
Vermeidungen bez. Verdrängungen sind. Der moderne gestalttherapeutische
Begriff der Verdrängung bezeichnet nicht mehr wie bei Freud die
Verschiebung von Unangenehmen in die black box des Unbewussten, sondern
die Tätigkeit der Vermeidung und Unterdrückung der Erinnerung an
unlustvolle oder bedrohliche Erfahrungen und Tatsachen. Worin diese
Tätigkeit jeweils besteht, muss im Einzelfall beobachtet und geprüft
werden. Vieles geschieht hier sicherlich einfach aus Gewohnheiten, die
sich aus Bequemlichkeit und Mangel an Gewahrsein einschleichen, und die -
ohne dass wir es so ganz merken würden - den allgemeinen
Gedächnis-Schwund unterstützen.
Eine besonders gefährliche Grenze wird aber überschritten, wenn die Coping-Strategien Suchtcharakter bekommen."
In jüngeren Jahren hatte Dreitzel (1974) seine Feststellungen zur
Soziogenese psychischer Störungen noch rhetorisch in Frageform
gekleidet: "Ein hohes Maß an Affektkontrolle...ist offenbar eine
funktionale Notwendigkeit für eine organisatorisch und technologisch
derartig komplexe Gesellschaft wie die unsrige. Ob aber das Bürgertum
hier nicht aus historisch eigens zu untersuchenden Gründen eine
Rigidität entwickelt hat, die nicht nur das Maß des funktional
Notwendigen bei weitem übersteigt, sondern eben grade dadurch ein
inzwischen unübersehbares Maß an psychischen Störungen verursacht hat,
die ihrerseits durchaus auch im Sinne der Produktivitätswerte
dysfunktional wirken, ist doch wohl eine Frage, die kaum noch verneint
werden kann." (a.a.O. S. 45)
Auch wenn Dreitzel (1980) sein soziogenetisches Schema der
Verhaltensstörungen selber zweifellos "mehr als unzureichend" nennt
(a.a.O. S. 209), so hat er doch in der Einleitung dieses Kapitels zwei
für die Arbeitspsychiatrie höchst relevante Grundlagen benannt:
1. "Das Verhältnis von Bedürfnisstruktur und Rollensystem, das stets ein
Ausdruck der gesellschaftlichen Verfassung ist und doch je individuell
bewältigt werden muß, stellt sich im Laufe des Lebenszyklus mit seinen
wechselnden Diskurswelten wie auch im Laufe der Entwicklungsgeschichte
einer Gesellschaft mit ihren allmählich sich wandelnden
Reproduktionsverfahren und den Veränderungen ihres kulturellen Milieus
(Hervorhebung W.B.) je anders dar." Letzteres nennt er die
"phylogenetische" Erklärung der Verhaltensstörungen.
2. "In der Perspektive einer kritischen Gesellschaftstheorie, die sich
um die historisch-soziologische Analyse gesellschaftlicher Repression
bemüht, stellt sich daher die Untersuchung gesellschaftlicher
Herrschaftsverhältnisse als vorrangig...dar...". (a.a.O. S. 198 f.)
..."...daß die "normalen" empirischen Verhältnisse vielmehr Gegenstand
einer Pathologie des Rollenverhaltens sind, die zugleich auf die
PATHOLOGIE DER MENSCHEN WIE AUF DIE IHRER INSTITUTIONEN verweist."
(a.a.O. S. 311; Hervorhebung W.B.)
Wie jeder andere formuliert auch Dreitzel keine geschlossene,
widerspruchsfreie Theorie unseres hochkomplexen Themas, zeigt aber doch
einen nicht mehr zu leugnenden Bezugsrahmen: Ein die Grenzen des Humanen
übersteigendes Tempo von Bedürfnisstimulierung wie Leistungsverdichtung
bei gleichzeitiger massenhafter Prekarisierung der
Sozialisationsbedingungen im Interesse der kriselnden Kapitalverwertung
sind herausragende makrozoziale psychopathogene Kräfte.
Hier sei noch einmal erinnert an Fuchs (2018) “Chronopathologie einer
ständig beschleunigten Gesellschaft”. Ähnliches hatte schon Bröckling
2007 (zit. nach Keupp, 2020) konstatiert: "Depressive Erschöpfung (ist)
die dunkle Seite der auf Dauer gestellten Hyperthymie des
unternehmerischen Selbst." Aber dieses Framing des Problems in der
Medizinersprache vermeidet den politischen Bezug : „Die Bourgeoisie kann
nicht existieren, ohne die Produktionsinstrumente, also die
Produktivkräfte, also sämtliche gesellschaftlichen Verhältnisse
fortwährend zu revolutionieren“ (kommunistisches Manifest, 1848); diese
Perspektive sprengt den Rahmen meiner Fachwissenschaft. Für uns
Studenten wäre der Vorwurf, Fachidiot zu sein, 1968 noch verständlich
gewesen; heute ist die ideologische Verschleierung der kapitalistischen
Ausbeutung so dominant, dass ihr Fehlen als Thema der Sozialpsychiatrie
fast selbstverständlich ist, das Gegenteil unwissenschaftlich erscheint !
Theorie und Praxis der gegenwärtigen Psychiatrie sind fast blind
gegenüber diesen Krankheits-Ursachenbündeln, wie am Beispiel der
Arbeitspsychiatrie gezeigt wurde. Derart Herrschaftsverhältnisse zu
verschleiern und geistig abzusichern nennt man frei nach Marx (vgl. Haug
et al. 2004) Ideologie.
Ähnlich hatte Keupp (1974) argumentiert "...daß eine beschränkt
klinische Sichtweise (z.B. das "medizinische Modell") blind ist für die
aufgezeigten gesellschaftlichen Handlungszusammenhänge und sie erfüllt
dadurch in ihren Analysen häufig ideologische Funktionen, sie
verdinglicht gesellschaftlich-prozessuale Abläufe zu statisch –
ontischen Wesenseigentümlichkeiten." ( S.33).
Für Soziologen gilt die Standortgebundenheit der Realitätserfassung
z. B. durch arbeitgebernahe oder gewerkschaftsnahe Beobachter nicht erst
seit Karl Mannheims "Wissenssoziologie" als unhintergehbar. (vgl.
Ritsert, 2002, S. 56 f.) In diesem Licht betrachtet ist ein allzugroßer
Teil der arbeitspsychiatrischen Empirie damit beschäftigt, den
Arbeitgebern Argumente zur Abwehr gewerkschaftlicher
Arbeitsschutzforderungen zu liefern.
MacKenzie (1978) gelang die Beziehung zwischen Pearsons eugenischer
Ideologie und seinem Kausalitätsbedürfnis bei der Berechnung seines
Korrelationskoeffizienten aufzuzeigen: Wenn die Sozialpsychiatrie der
Arbeit in der weiter oben exemplarisch dargestellten Weise sich von
Partikularinteressen in das Prokrustesbett einer
interpretationsanfälligen und fast unübersichtlichen
Nichtnachvollziehbarkeit ihrer statistischen Methoden zwängen lässt, so
müsste doch längst der Ruf nach einem zeitgenössischen MacKenzie laut
werden : Insofern wirkt die lange Tradition der wissenschaftlichen
Aufklärung wie ein Lebenselixier – sapere aude !
In der letzten großen Finanzkrise sprach sogar die Bundeskanzlerin
davon, zur Geisel der Finanzmärkte geworden zu sein, wie der
Psychoanalytiker Tuckett (2013) zitiert, der aus Tiefeninterviews im
Jahr 2007 mit 52 Vermögensverwaltern resümiert, “dass ein Finanzmarkt
fortwährend die Gelegenheit dazu erzeugt, bereitwillig wahnhafte
Überzeugungen von fantastischen Objekten, gespaltenen Zuständen und
Gruppenempfinden aufzugreifen”. Er schließt mit einem Zitat von Keynes,
1936: “....die Lage wird ernst, wenn das Unternehmertum die Seifenblase
auf einem Strudel der Spekulation wird. Wenn die Kapitalentwicklung
eines Landes das Nebenerzeugnis der Tätigkeiten eines Spielkasinos wird,
wird die Arbeit voraussichtlich schlecht getan werden”.
Nachtwey (2017) sieht den wirtschaftsgeschichtlichen Rahmen
unseres Themas ebenfalls in düsteren Farben: „Nach 1973 begann der lange
Niedergang der westlichen Ökonomien, eine Krise, für die sie bis heute
keine Lösung gefunden haben“...“Mit der Dauerschwäche der Wirtschaft
schwanden die Ressourcen und der Wille zur sozialen Integration“ (S. 11)
Insgesamt sieht Nachtwey eine „Revolte des Kapitals“ gegen die soziale
und demokratische Einhegung des Kapitalismus (S. 49) mit der Folge von
zunehmenden sozialer Spannungen, Armut, Prekariat, Ungleichheit.
Wie schwer es allerdings für den soziogenetisch denkenden
Sozialpsychiater wird, Anleihen bei der kritischen Sozialphilosophie
aufzunehmen, mag Honneth (1994) verdeutlichen: “Nicht leicht war es,
Aufsätze zu finden, die sich angesichts der neueren Entwicklungen noch
einmal mit den Problemen der entfremdeten Arbeit auseinandersetzten so
sehr ist diese, noch vor dreißig Jahren im Zentrum stehende
Fragestellung aus dem öffentlichen Bewußtsein verschwunden...“. Dieser
Satz steht am Ende eines skeptischen historischen Überblicks über sehr
verschiedenen Ansätze, Pathologien des Sozialen zu diagnostizieren:
Foucaults Methodenkritik der jeweils implizierten Ethik hätte „diese
äußere Schale der Sozialphilosophie aber inzwischen so vollständig
zertrümmert...“ (S. 58), dass Honneth nun keinen verbindlichen
ethischen Maßstab zur Beurteilung von Pathologien des Sozialen mehr
angeben mag: Über die Zukunft der Sozialphilosophie als kritischer
Instanz äußert er sich am Ende nur hypothetisch, auch wenn er als
gemeinsamen Nenner der Klassiker herausgearbeitet hatte, „dass mit der
Beschleunigung des industriellen Wachstums ein gesellschaftliches
Funktionserfordernis bedroht ist, das zu den tiefsitzenden
Voraussetzungen allen menschlichen Lebens gehört“ (a.a.O. S.56).
Allerdings will auch erwogen werden, dass ein organmedizinisches
Krankeitsmodell mit der Suche nach monokausalen Eindeutigkeiten uns auf
eine falsche Fährte lockt: Vor langer Zeit hatte ich aus Luhmann (1972)
notiert, die Kausalgesetze dürften nur auf determinierte Systeme
angewendet werden, nicht auf das Sozialsystem:"Jede Wirkung hat
unendlich viele Ursachen, jede Ursache unendlich viele Wirkungen. Dazu
kommt, daß jede Ursache in unendlicher Weise mit anderen kombiniert oder
durch andere ersetzt werden kann, wodurch sich entsprechende
Unterschiede im Bereich der Wirkungen ergeben. Schließlich kann jeder
Kausalprozess sowohl in sich unendlich geteilt als auch in unendliche
Ferne verfolgt werden. Wenn man diese Problematik ins Auge faßt,
verliert die ontologische Auslegung der Kausalität ihren Sinn. Es ist
dann nicht mehr möglich, Ursache und Wirkung als bestimmte Seinszustände
zu deuten und die Kausalität als invariante Beziehung zwischen einer
Ursache und einer Wirkung festzustellen. Der Ausschluss aller anderen
Ursachen und Wirkungen ist nicht zu rechtfertigen "...Aussagen unter der
Voraussetzung ceteris paribus"besitzen keinen empirischen Wert, wenn
die Ausschaltung aller anderen Kausalfaktoren faktisch nicht
durchgeführt werden kann. Und das gelingt in der Sozialwissenschaft
typisch nicht." (a.a.O. S. 16)
Die Sozialpsychiatrie der Arbeit könnte man nach Luhmanns Text als
methodengeschichtlich hoffnungslos verspätetes Suchen nach kausalen
Beweisen sehen, wo keine zu finden sind. Wie kann ein genuin
sozialmedizinisches Feld mit den analytischen Methoden der Mechanik
beackert werden ? Die endlosen Streitereien der Wissenschaftler für und
wider ihre Kausalbeweise darf nur ein böser Spott in die Nähe
scholastischer Spitzfindigkeiten des Mittelalters rücken, wieviele Engel
auf eine Nadelspitze passen.
Hat aber nicht längst die Arbeitsmedizin bei der Anerkennung der
jüngsten Berufskrankheiten u.a. auf Grund statistisch gar nicht selten
um einen Faktor <2 gesteigerter epidemiologischer Risiken (BAuA
Berufskrankheiten Merkblätter) Lösungen für dieses Problem gefunden, vor
dem die Sozialpsychiatrie der Arbeit steht, wie der Ochs vorm Berg ?
Der Hinweis auf fehlende oder gar unmögliche Kausalbeweise entlastet
die Arbeitgeberseite. Nach Luhmann schiede im Streit zwischen Arbeit und
Kapital um die Folgelasten von Arbeitsstress die empirische
Sozialpsychiatrie als ein Zünglein an der Waage aus. Cui bono?
Wer eine offen ideologische Position auf dem Gebiet der
Arbeitspsychiatrie studieren möchte, für den ist ein Blick in Wainwright
und Calnan (2002) unverzichtbar: Sie spielen die objektiven Daten zur
Verschärfung der psychosozialen Arbeitsbedingungen i.R. der Dauerkrise
des Spätkapitalismus herunter. In postmodern-konstruktivistischer
Machart wird die Häufung psychischer Störungen bei Berufstätigen zu
einem Trick der geschwächten Gewerkschaften verdreht, die „Epidemie“ sei
gemacht ! Die Rede vom Arbeitsstress befördere ein zutiefst
anti-humanistisches Absenken der Erwartungen an das menschliche
Potential ( a.a.O. S. VIII) “Resistance to the therapeutic imperative is
a form of heroism and should be applauded as such...” (a.a.O. S. 197).
Schumann (2002) zeichnet als kritischer Industriesoziologe in seiner
Göttinger Abschiedsvorlesung die gegenwärtige Erwerbssozialstruktur als
Wolkenkratzer, mit der globalen Klasse im Penthouse, darunter die
Etagen der Modernisierungsmacher, Modernisierungsmitgestalter,
Modernisierungs-
ausgesparten, im Souterrain die Modernisierungsbedrohten, im Keller die
neue Unterklasse der dauerhaft ausgeschlossenen
Modernisierungsverlierer, nicht ohne an Horkheimer zu erinnern, der 1934
darunter "das eigentliche Fundament des Elends" beschrieb, und
unterhalb dieser "Räume, in denen millionenweise die Kulis der Erde
krepieren, wäre dann das unbeschreibliche, unausdenkliche Leiden der
Tiere, die Tierhölle in der menschlichen Gesellschaft darzustellen...".
Horkheimer habe die Philosophen persifliert, die in den höchsten Etagen
dieses Wolkenkratzers über die Wesensschau philosophieren dürften:
Würden sie ihre soziale Fallhöhe bedenken, könnte ihnen schwindlig
werden. Wenn sie statt abstrakter Werte das System der Unwerte dieses
Wolkenkratzers aufstellten, "könnten [ sie] sonst zur Strafe in ein
tieferes Stockwerk ziehen müssen".
Ist es nicht unumgänglich, diese Ideologiekritik auf die Arbeitspsychiatrie anzuwenden ?
Komplementär zur sozialen Funktion der Ideologie zeigt Balints
ironische Bemerkung über seine Gruppenarbeit mit praktizierenden Ärzten
gleichsam ihren individueller Aspekt (1957): “Wir meinen mit der
apostolischen Sendung oder Funktion in erster Linie, dass jeder Arzt
eine vage, aber fast unerschütterlich feste Vorstellung davon hat, wie
ein Mensch sich verhalten soll, wenn er krank ist. Obwohl diese
Vorstellung keineswegs klar und konkret ist, ist sie unglaublich zäh und
durchdringt…praktisch jede Einzelheit der Arbeit des Arztes mit seinem
Patienten. Es war fast, als ob jeder Arzt eine Offenbarung darüber
besäße, was das Rechte für seine Patienten sei, was sie also hoffen
sollten, dulden müssten, und als ob es seine , des Arztes, heilige
Pflicht sei, die Unwissenden und Ungläubigen unter den Patienten zu
diesem seinem Glauben zu bekehren.“ Muss ich mich fragen, ob meine
“Offenbarung” von den psychopathogenen Arbeitsbedingungen postmodern
beliebig neben den biologistischen "Offenbarungen" der Dienstklasse der
großen Vermögensbesitzer (Krysmanski 2015) steht, oder findet der Leser
eine andere Antwort ?
Die Multimilliardäre und ihre zahllosen Helfershelfer haben den
Sozialstaat in Westeuropa bis zur Unkenntlichkeit umgekrempelt und von
einer Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen profitiert.
Dieses vermehrte soziale Elend ist an der Wurzel vieler psychiatrischer
Einzelschicksale mehr oder weniger eindeutig als Teil-Ursache
nachweisbar (Bolm 2016); 200 Jahre nach Marx darf es getrost auch als
Ausfluss des siegreichen Klassenkampfes von oben gedeutet werden.
Kriminalität der Mächtigen
Wie kann eine Sozialpsychiatrie des Arbeitslebens auskommen, ohne die
Kriminologie der Mächtigen zur Kenntnis zu nehmen? Exemplarisch sei auf
Ruggiero (2008, S. 284) verwiesen:”Like colonialism building the
industrial revolution on predation, new corporations and states build
their profit on deregulation,… Far from reducing poverty, transnational
economic activity generates criminal opportunities...”.
Wer könnte nach der aktuellen Weltwirtschaftskrise, nach Dieselgate
und Panamapapers noch glauben, dass die CEO’s bei der Maximierung ihrer
Renditen die Erhaltung gesunder Arbeitsplätze oder die Vorschriften des
Arbeitsschutzes ernster nehmen als die des Steuerrechts oder des
Umweltschutzes – die sie bekanntlich auf breiter Front hintergehen ?
Der emeritierte Bremer Finanzwissenschaftler Hickel (2019) erklärt die
Selbstdemontage führender DAX-Konzerne :"Im aggressiven Klima des
finanzmarktgetriebenen Kapitalismus wird die maximale Kapitalrendite zur
einzigen Zielgröße. Shareholder-Interessen sowie die „Social
Responsibility“ werden zu Störgrößen"..."Dieser profitwirtschaftliche
Systemdruck führt jedoch nicht nur zu waghalsigen, hoch riskanten
Geschäften innerhalb des geltenden Rechtsrahmens. Nein, die asoziale
Profitlogik motiviert auch zu strafrechtlich kriminellem Verhalten. So
kommt es auch in den Industrieunternehmen immer wieder zu illegaler
Ausbeutung von Beschäftigten, zu monopolistischen Kartellabsprachen
(etwa Schienenkartell mit ThyssenKrupp), Zahlungen von
Bestechungsgeldern und kriminellem Umweltfrevel."
Von der Unterstützung Fords und Thyssens für Hitler über die
kriminelle Energie hinter der letzten Immobilienblase bis zu Schleckers
strafbarem Verhalten führt eine teils blutige Spur zum Leid der kleinen
Leute – hatte es nicht Zola in L’Argent schon 1890 treffend beschrieben ?
Die Verengung des analytischen Blicks durch den empiristischen,
individualistischen Szientismus der herrschenden Arbeitsmedizin und
Psychiatrie blendet allerdings diese kritische Perspektive weitgehend
aus: Cui bono ?
Thielscher (2018) leitet die Ökonomisierung der Medizin aus
Neoliberalismus, Globalisierung, Postmoderne und Utilitarismus ab: "Je
imperativer die ökonomische Fuchtel dominiert, desto inhumaner wird
Medizin", so zitiert er aus Bliemeisters Hilferuf eines ausgebrannten
Arztes "Katastrophe Krankenhaus". Im zitierten Text (Die Erlebnisse
eines Honorararztes in einem chronisch kranken System – subjektiv
verdichtet zu einem typischen Tagesablauf , Bliemeister 2014) heißt es
aber weiter:"Patienten sind keine Kunden, Gesundheit keine Ware, Ärzte
und Schwestern kein Service-Personal, Kliniken keine Reparaturbetriebe.
Soll ein Gesundheitssystem Gewinn erbringen, muss es funktionell sein.
Medizin als zwischenmenschliche Beziehung wird dabei versachlicht.
Profit für wenige macht alle zu Opfern. Interessanterweise wird die
unerbittliche Kälte dieser Entwicklung allgemein ignoriert. Lieber
attackieren Ärzte, Schwestern und Patienten einander wechselseitig als
gemeinsam die dafür verantwortliche Politik." Thielscher zum Nutzen der
wissenschaftlichen Analyse dieser Verhältnisse:"Akademischer Widerspruch
zählt nicht sehr (postmoderne Umwertung von Lügen zu "alternativen
Fakten" – es scheint ja alles gleich gültig zu sein)" (S. 819).
Ich nehme an, dieselben makrosozialen Kräfte erklären einen Großteil
der oben skizzierten Fälle von Ideologieverdacht in der
Arbeitspsychiatrie. Den Moloch der kapitalistischen Wirtschaft in seinen
menschenunwürdigen Auswirkungen zu analysieren, bis die letzten
Skeptiker überzeugt sind, nutzt wenig; es kommt darauf an, ihn zu
verändern.
Danksagung
Eine frühere Version dieses Textes hat sehr von den Rückmeldungen von
Helga Gerlinger-Bolm, Gerhard Bolm, Ulrich Bolm-Audorff und Heinz-Hubert
Hackelberg profitiert.
LITERATUR
Anderson E: Private Regierung. Aus dem Amerikanischen von Karin Wördemann. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019
Marcia Angell : Pharmakonzerne und Ärzte: Geschichte einer Korruption.
Zeitschrift für psychoanalytische Theorie und Praxis, Jahrgang XXV,
2010, 1/2 , S. 139 ff
Angerer P, Karin Siegrist, Harald Gündel : Psychosoziale
Arbeitsbelastungen und Erkrankungsrisiken: Wissenschaftliches Gutachten
(Expertise) im Auftrag des Landesinstituts für Arbeitsgestaltung des
Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf. In: Seiler, K.; Jansing, P.-J.
(Hg): Gesünder arbeiten und leben. Düsseldorf 2014.
Asselmann E, Beesdo-Baum K, Hamm A, Schmidt CO, Hertel J, Grabe HJ,
Pane-Farre CA: Lifetime and 12-month prevalence estimates for mental
disorders in northeastern Germany: findings from the study of health in
Pomerania. Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci . Published online, 15.6.
2018. Abgerufen 13.10.2018
Balint M. Der Arzt, sein Patient und die Krankheit. Stuttgart: Klett Cotta; 1957, 11. Auflage 2010: S. 284
Brenner M H : Profound unhappiness in the international recession. The
case of suicide in industrialized countries. In: LR Klein, Dalko V, Wang
MH (Eds.): Regulating competition in stock markets; antitrust measures
to promote fairness and transparency through investor protection and
crisis prevention. Wiley, Hoboken NJ, 2012, p. 27 ff.
Bundesanstalt f. Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA, Hg.) :
Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung, E. Schmidt-Verl., Berlin
2014, S. 48 ff.
BAuA : Abbildungen aus Arbeitswelt im Wandel - Zahlen, Daten, Fakten
(Ausgabe 2018) .
https://www.baua.de/DE/Themen/Arbeitswelt-und-Arbeitsschutz-im-Wandel/Arbeitsweltberichterstattung/Arbeitswelt-im-Wandel/Arbeitswelt-2018.html#Start;
abgerufen 19.11. 2019
BAuA Berufskrankheiten Merkblätter. Im Internet angerufen 19.2.2020:
https://www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Berufskrankheiten/Merkblaetter.html
Beelze B: Über Herrschaft im Betrieb. Das Mitbestimmungsgespräch (Düsseldorf) 1971, 17, pp. 3-6, 75-78, 131-34
Betzelt S, Bode I: Angst im Sozialstaat. WiSo direkt 38/2017. ISBN 978-3-96250-012-2
Bolm W: 1976 : Ätiologische Theorien in der Arbeitspsychiatrie - eine
Literaturübersicht. Unveröffentlichtes Manuskript, Berlin; im Internet
verfügbar unter www.goal-attainment-scaling.de (Stand: 11.4.2018)
Bolm W: 1980a: Die hilflosen Helfer - über die seelischen Leiden der
Beschäftigten in der Psychiatrie.Argument-Sonderband 53, Berlin, pp
26-33
Bolm W: 1980b: Zum Einfluß beruflicher Belastungen auf die Entstehung
psychischer Krisen- Eine klinische Untersuchung. Psychiatr Prax 7 (3):
172-177
Bolm W: Retrospektive Begutachtung einer Serie von 87
Psychotherapiepatienten: war ihre Störung beruflich bedingt ?
Zentralblatt für Arbeitsmedizin, Arbeitsschutz und Ergonomie 66 (6),
2016, 352-56
Bolm W: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA)
verweigert die Aussage, ob zum Schutz der psychischen Gesundheit bessere
Arbeitsschutzregeln nötig sind. Eine Polemik. Berlin 2018,
www.goal-attainment-scaling.de, Stand 17.10. 2018.
Bolm-Audorff U, Petereit-Haack G, Seidler A: Zusammenhang zwischen
beruflichen Traumata, posttraumatischer Belastungsstörung und Depression
– eine Beurteilung von systematischen Reviews. Psychiat Prax 2019;
46(04): 184-190
Böhme H: Müdigkeit, Erschöpfung und verwandte Emotionen im 19. und
frühen 20. Jahrhundert. In: Fuchs T, Iwer L, Micali St (Hg.) : Das
überforderte Subjekt, Suhrkamp, Berlin 2018, S. 27-51
Brandstetter S, Frank Dodoo-Schittko, Sven Speerforck, Christian
Apfelbacher, Hans-Jörgen Grabe, Frank Jacobi, Ulfert Hapke, Georg
Schomerus, Sebastian E. Baumeister: Trends in non-help-seeking for
mental disorders in Germany. between 1997–1999 and 2009–2012: a repeated
cross-sectional study. Soc Psychiatry Psychiatr Epidemiol (2017)
52:1005–1013
Brede K: Steinbruch Psychoanalyse. Kritische Ausführungen zu Martin
Dornes' Aufsatz "Macht der Kapitalismus krank?" Psyche - Z Psychoanal
2015, 69 , 745-55
Brugha T S , Jenkins R, Taub N, Meltzer H, Bebbington P E: A general
population comparison of the Composite International Diagnostic
Interview (CIDI) and the Schedules for Clinical Assessment in
Neuropsychiatry (SCAN). Psychological Medicine 2001, 31, 1001-1013
Cooper CL: Introduction: A discussion about the role of negative
affectivity in job stress research. J organiz behav 21, 77 (2000)
Dejours C: Work and self-development: The point of view of the psychodynamics of work. Critical horizons 2014, 15(2), 115-30
DeSanto Iennaco J, Cullen MR, Cantley L, Slade MD, Fiellin M, Kasl SV:
Effects of externally rated job demand and control on depression
diagnosis claims in an industrial cohort. Am J Epidemiol 171 (3), 2009,
303 - 310
DGB-Index Gute Arbeit 2016, Sonderauswertung: Arbeitshetze und
Arbeitsintensivierung bei digitaler Arbeit (2017). Im Internet
abgerufen: 14.1.2019:
https://index-gute-arbeit.dgb.de/veroeffentlichungen/sonderauswertungen
DGPPN: Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie,
Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) zum Thema Burnout. Berlin
2012
Dieroff HG: Lärmschwerhörigkeit. Fischer, Jena etc 1994, S. 246
Demet Dingoyan , Holger Schulz, Ulrike Kluge, Simone Penka, Azra Vardar,
Alessa von Wolff, Jens Strehle, Hans-Ulrich Wittchen, Uwe Koch, Andreas
Heinz, Mike Mösko: Lifetime prevalence of mental disorders among first
and second generation individuals with Turkish migration backgrounds in
Germany
BMC Psychiatry (2017) 17:177 DOI 10.1186/s12888-017-1333-z
Di Trocchio F (2003) Der große Schwindel. Betrug und Fälschung in der Wissenschaft, Rowohlt Taschenbuch, Reinbek, 2. Aufl.
Dornes M: Macht der Kapitalismus depressiv? Fischer, Frankfurt/M 2016;
unter demselben Titel: Psyche -Z Psychoanal 2015, 69, 115-60
Dreitzel H P: Die Weltkrise im Spiegel der Gestalttherapie. Thesen zur
Re-Politisierung der Psychotherapie. Vortrag Graz 2009. Abgerufen
13.6.2019:
https://www.dreitzel-gestalttherapie.org/texte/die-weltkrise-im-spiegel-der-gestalttherapie/
Dreitzel H P: Die gesellschaftlichen Leiden und das Leiden an der
Gesellschaft. Eine Pathologie des Alltagslebens. Enke, Stuttgart, 3.
Aufl. 1980
Dreitzel H P: Soziologische Reflektionen über das Elend des
Leistungsprinzips. In: Carl Friedrich von Siemens Stiftung : Sinn und
Unsinn des Leistungsprinzips. Ein Symposium. DTV, München 1974, 31-51
droit-travail-france.fr: Im Internet abgerufen 8.2.2020:
https://www.droit-travail-france.fr/suicides-a-france-telecom---les-anciens-dirigeants-condamnes-pour-harcelement-moral_ad1918.html
EATON, WILLIAM W. , ALYSON L. F. HALL, RYAN MACDONALD, & JODI
MCKIBBEN: Case identification in psychiatric epidemiology: A review.
International Review of Psychiatry, October 2007; 19(5): 497–507
Eckersley R: Commentary on Trzesniewski and Donnellan
(2010): A Transdisciplinary Perspective on Young People’s Well-Being. Perspectives on Psychological Science 2010, 5(1), 76- 80
Egloff G: La bête noire. Kommentar zu Martin Dornes' "Macht der Kapitalismus depressiv?" Psyche-Z Psychoanal 2015, 69 , 756-65
Elovainio M et al.: Perceived organizational justice as a predictor of
long-term sickness absence due to diagnosed mental disorders: Results
from the prospective longitudinal finnish public sector study. Social
science & medicine 91(2013) 39-47
Engelmann I: Auf dem Weg zu einer kapitalistischen Psychotherapie.
Anmerkungen zu Martin Dornes' "Macht der Kapitalismus depressiv?"
Psyche-Z Psychoanal 2015, 69 , 766-72
Esquirol JED: Von den Geisteskrankheiten: Ackerknecht EH (Hg.), Huber, Bern 1968
FAZ.net v. 13.12.2018 über BauA - Bericht „Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit“ 2017. Abgerufen 13.12. 2018
Feddersen, J: Buch über Leiden am Kapitalismus; uns geht's wohl zu gut. TAZ vom 24.5.2016
Ferrie JE, Head JA, Shipley MJ, Vahtera J, Marmot MG, Kivimäki M:
Injustice at work and health: causation, correlation or cause for action
? Occup environ Med 2007, June; 64 (6) 428
Frances A: Problems in Defining Clinical Significance in Epidemiological Studies. Arch Gen Psychiatry. 1998;55(2):119
Friedli, L: Mental health, resilience and inequalities. WHO, Kopenhagen 2009
Fuchs T: Chronopathologie der Überforderung. Zeitstrukturen und
psychische Krankheit. In Fuchs T, Iwer L, Micali St (Hg.) : Das
überforderte Subjekt, Suhrkamp, Berlin 2018, S. 27-51
GALEA S, TRACY M : Participation Rates in Epidemiologic Studies. Ann Epidemiol 2007;17:643–653.
Geschäftsstelle der Nationalen Arbeitsschutzkonferenz (Hg) c/o
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin Nöldnerstraße 40 –42
10317 Berlin: Zwischenbericht - Auswertung der Betriebs-und
Beschäftigtenbefragungen
Korrigierte Fassung; Stand: 2. März 2018
T. Giesen: Die rechtliche Sonderstellung der Berufskrankheiten – Teil I:
Die Geschichte der Berufskrankheiten (1). Zbl Arbeitsmed 58 (2008)
227–236
Griffiths, A: Organizational interventions: facing the limits of the natural
science paradigm. Scand J Work Environ Health 1999; 25(6): 589-596
Halliday JL: Psychosocial Medicine. A Study Of The Sick Society, Norton, New York 1948
Halliday JL: Industriegesellschaft als psychosoziales Umfeld,
Übersetzung: Horn, K. In: Mitscherlich A et al. (Hg): Der Kranke in der
modernen Gesellschaft, Kiepenheuer & Witsch, Berlin 1967, 159- 171
Handerer J, Thom J, Jacobi F: Die vermeintliche Zunahme der Depression
auf dem Prüfstand. Epistemiologische Prämissen, epidemiologische Daten,
transdisziplinäre Implikationen. In Fuchs T, Iwer L, Micali St (Hg.) :
Das überforderte Subjekt, Suhrkamp, Berlin 2018, S.199-209
HARO JM, ARBABZADEH-BOUCHEZ S, BRUGHA TS, DE GIROLAMO G, GUYER ME, JIN
R, LEPINE JP, MAZZI F, RENESES B, VILAGUT G, SAMPSON NA, KESSLER RC :
Concordance of the Composite International Diagnostic Interview Version
3.0 (CIDI 3.0) with standardized clinical assessments in the WHO World
Mental Health Surveys. Int. J. Methods Psychiatr. Res. 15(4): 167–180
(2006)
Haug FW et al. (Hg.): Historisch kritisches Wörerbuch des Marxismus, Bd. 6/I, Argument, Hamburg 2004
Hellpach W: Berufspsychosen. Psychiatrisch-Neurologische Wschr. 1906,
Nr. 17, 155-157; Nr. 18, 163-164; Nr. 19, 171-173
Herrmann U : Der Sieg des Kapitals. Westend Verlag, Frankfurt am Main 2013
Hickel R: Adler im Sturzflug. Von der Deutschen Bank bis BAYER: Warum
sich Konzerne selbst zerstören? Kevin Kühnert lässt grüßen! Stark
gekürzt in:„Der Freitag“ vom 29.05.2019, Ausgabe 22, Wirtschaft S. 13
Langfassung: Abgerufen: 14.6.2019
http://rhickel.iaw.uni-bremen.de/ccm/homepages/hickel/aktuelles/adler-im-sturzflug.de
Hien W: Kranke Arbeitswelt. VSA-Verlag, Hamburg 2016, S. 60
Hill, Austin Bradford :The Environment and Disease: Association or
Causation? Presidents address, 14.1.1965, Proceedings of the royal
society of medicine, section of occupational medicine p 295-300
Honneth A (1994) : Pathologien des Sozialen. Tradition und Aktualität
der Sozialphilosophie. In: ders. (Hg.) Pathologien des Sozialen, Fischer
Taschenbuch, Frankfurt/M, a.a.O. S. 61
Hund B, Reuter K, Jacobi F, Siegert J, Wittchen H-U, Härter M, Mehnert
A: Adaptation des Composite International Diagnostic Interview (CIDI)
zur Erfassung komorbider psychischer Störungen in der Onkologie: das
CIDI-O. DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0033-1357174
Online-Publikation: 2013 Psychother Psych Med
Ioannidis P: Why Most Published Research Findings Are False. August 30, 2005;
https://journals.plos.org/plosmedicine/article?d=10.1371/journal.pmed.0020124
abgerufen 10.5.2019
Jablensky A: Research methods in psychiatric epidemiology: An overview.
Australian and New Zealand J Psychiatr Res 2002, 36, 297-310
Jacobi F, Höfler M, Meister W, Wittchen H-U : Prävalenz, Erkennens- und
Verschreibungsverhalten bei depressiven Syndromen. Eine bundesdeutsche
Hausarztstudie. Nervenarzt 2002 · 73:651–658
Jacobi F · M. Klose · H.-U. Wittchen: Psychische Störungen in der
deutschen Allgemeinbevölkerung: Inanspruchnahme von
Gesundheitsleistungen und Ausfalltage. Bundesgesundheitsbl -
Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 2004 · 47:736–744
JACOBI F, SIMON MACK, ANJA GERSCHLER, LUCIE SCHOLL, MICHAEL HÖFLER,
JENS SIEGERT, ARIANE BÜRKNER, STEPHANIE PREISS, KATHRIN SPITZER, MARKUS
BUSCH, ULFERT HAPKE, WOLFGANG GAEBEL, WOLFGANG MAIER, MICHAEL WAGNER,
JÜRGEN ZIELASEK & HANS-ULRICH WITTCHEN: The design and methods of
the mental health module in the German Health Interview and Examination
Survey for Adults (DEGS1-MH). Int. J. Methods Psychiatr. Res. 22(2):
83–99 (2013a) Published online in Wiley Online Library
(wileyonlinelibrary.com) DOI: 10.1002/mpr.1387
Jacobi F, Kessler-Scheil S: Epidemiologie psychischer Störungen.
Häufigkeit und Krankheitslast in Deutschland. Psychotherapeut 2013b, 58,
(2), 191- 205
F. Jacobi, M. Höfler, J. Strehle, S. Mack, A. Gerschler, L. Scholl, M.A.
Busch, U. Maske, U. Hapke, W. Gaebel, W. Maier, M. Wagner, J. Zielasek,
H.-U. Wittchen: Psychische Störungen in der Allgemeinbevölkerung
Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland und ihr Zusatzmodul
Psychische Gesundheit (DEGS1-MH). Nervenarzt 2014 · 85:77–87
Jacobi F, M. Linden: Macht die moderne Arbeitswelt psychisch
krank – oder kommen psychisch Kranke in der modernen Arbeitswelt nicht
mehr mit? Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2018; 53: 530–536
Joint Policy Committee of the Societies of Epidemiology (JPC-SE) June 4,
2012: Position Statement on Asbestos .
https://www.ijpc-se.org/documents/03.JPC-SE-Position_Statement_on_Asbestos-June_4_2012-Full_Statement_and_Appendix_A.pdf
Im Internet abgerufen: 19.12.2017
Jorm A F, Reavley NJ : Changes in psychological distress in Australian
adults between 1995 and 2011. Australian & New Zealand Journal of
Psychiatry 2012, 46(4), 352–356
Jorm AF , Patten SB , Brugha TS, Mojtabai R : Has increased provision of
treatment reduced the prevalence of common mental disorders? Review of
the evidence from four countries. World Psychiatry 2017;16:90–99
Judge TA, Erez A, Thoresen J: Why negative affectivity (and self
deception) should be included in job stress research: Bathing the baby
with the bathwater. J organiz behav 21, 2000, 101-111
Jürgens K, Hofmann R, Schildmann Ch: Arbeit transformieren ! Denkanstöße
der Kommission “Arbeit der Zukunft”; Transcript-Verlag, Bielefeld 2017
Keupp H: Epidemiologie im Spannungsfeld zwischen klinischer und
sozialwissenschaftlicher Perspektive. In: Ders. (Hg.):
Verhaltensstörungen und Sozialstruktur. Urban & Schwarzenberg,
München 1974, S. 3 - 51
Keupp, H: Das erschöpfte Selbst – Umgang mit psychischen Belastungen .
In: Keupp, Heiner / Dill, Helga (Hg): Gesundheit und Prävention in der
flexiblen Arbeitswelt . TRANSCRIPT VERLAG Bielefeld 2010; S 41-60
Keupp H: Leben in der Gesellschaft 4.0. Beschleunigung ohne Ende –
Erschöpfung ohne Ende ? Sozialpsychiatrische Informationen 50 (1) 2020,
4-9
Kivimäki M, Hotopf M, Henderson M:Editorial: Do stressful working
conditions cause psychiatric disorders ? Occupational medicine 2010; 60:
86-87
Knappe S, Juliane Runge, Katja Beesdo, Frank Jacobi, Hans-Ulrich
Wittchen: Diagnostik psychischer Störungen: Gold -oder Blech -Standard?
Kritische Randbemerkungen zu standardisierten diagnostischen
Instrumenten und der Bewertung klinischer Routinediagnosen. Psychother
Psych Med 2008; 58: 72-75
Kolstad HA, Hansen AM, Anette Kærgaard, Jane F. Thomsen, Linda Kaerlev,
Sigurd Mikkelsen, Matias B. Grynderup, Ole Mors, Reiner Rugulies, Ann S.
Kristensen, Johan H. Andersen, Jens Peter Bonde: Job Strain and the
Risk of Depression: Is Reporting Biased ? Am J Epidemiol 2011;173:94–102
Krellmann J :Positionen und Forderungen der Fraktion Die Linke .In:
Ver.di Bundesverwaltung (Hg) Tagungsdokumentation SV-Tagung 2013, Berlin
2013, p 41;
abgerufen 12.7.2014:
http://arbeitsmarkt-und-sozialpolitik.verdi.de/service/publikationen/++co++9d2068ea-456f-11e3-bfef-52540059119e
Krysmanski HJ: Soziologie des Konflikts. Rowohlt, Hamburg 1971
Krysmanski HJ : 0,1% – Das Imperium der Milliardäre. Westend V., Frankfurt/M 2015
Paul A Kurdyak, William H Gnam: Small Signal, Big Noise: Performance of
the CIDI Depression Module. Can J Psychiatry, Vol 50, No 13, November
2005
Kutchins,H, Kirk S A: Making US Crazy. DSM: The psychiatric Bible And
The Creation of Mental Disorders. The Free Press, New York 1997
Lange H, Garrelts H: Integriertes Hochwasserrisikomanagement in einer
individualisierten Gesellschaft. Universität Bremen, Forschungszentrum
Nachhaltigkeit 2008. https://www.uni-bremen.de/fileadmin/user_upload/sites/artec/Publikationen/artec_Paper/152_paper.pdf
abgerufen : 19.12.2019
Lehmkuhl D: Buchbesprechungen: Frances A (2013): Normal: Gegen die
Inflation psychiatrischer Diagnosen. Sozialpsychiatrische Informationen
3/2015, 47-51
Linden M, Maier W, Achberger M, Herr R, Helmchen H, Benkert O:
Psychische Erkrankungen und ihre Behandlung in Allgemeinpraxen in
Deutschland. Nervenarzt 1996, 67, 205-15
Linden, M: Die Traumaschwemme. Editorial.Verhaltenstherapie 2011; 21: 152-53
ders.: Nehmen psychische Störungen zu ? Rehabilitation 2014: 53 131-32
Linden M, Muschalla B: Standardized diagnostic interviews, criteria, and
algorithms for mental disorders: Garbage in, garbage out. Eur Arch
Psychiatry Clin Neuroscience (2012) 262: 535-44
Micali St: Depression in der unternehmerischen Gesellschaft. In: Fuchs
T, Iwer L, Micali St (Hg.): Das überforderte Subjekt, Suhrkamp, Berlin
2018, S. 80-114
Lohmann-Haislah A: BAuA Stressreport Deutschland 2012
(https://www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Berichte/Gd68.pdf?__blob=publicationFile)
aufgerufen: 13.9.2018
MacKenzie D : Statistical Theory and social Interests: A case study. Social studies of science Vol 8 (1978, 35- 83
Madsen IEH, S. T. Nyberg, L. L. Magnusson Hanson, J. E. Ferrie, K.
Ahola, L. Alfredsson G. D. Batty, J. B. Bjorner, M. Borritz, H. Burr,
J.-F. Chastang, R. de Graaf, N. Dragano, M. Hamer, M. Jokela, A.
Knutsson, M. Koskenvuo, A. Koskinen, C. Leineweber, I. Niedhammer, M. L.
Nielsen, M. Nordin, T. Oksanen, J. H. Pejtersen, J. Pentti, I.
Plaisier, P. Salo, A. Singh-Manoux, S. Suominen, M. ten Have, T.
Theorell, S. Toppinen-Tanner, J. Vahtera, A. Väänänen, P. J. M.
Westerholm, H. Westerlund, E. I. Fransson, K. Heikkilä, M. Virtanen, R.
Rugulies, M. Kivimäki for the IPD-Work Consortium: Job strain as a risk
factor for clinical depression: systematic review and meta-analysis with
additional individual participant data. Psychological Medicine (2017),
47, 1342–1356.
Maske UE, Ulfert Hapke, Steffi G. Riedel-Heller, Markus A. Busch Ronald
C. Kessler : Respondents’ report of a cliniciandiagnosed depression in
health surveys: comparison with DSM-IV mental disorders in the general
adult population in Germany. BMC Psychiatry (2017) 17:39
Moffitt TE, Caspi A, Taylor A et al. How common are common mental
disorders? Evidence that lifetime prevalence rates are doubled by prospective
versus retrospective ascertainment. Psychol Med 2010; 40:
899–909
Mojtabai R: Clinician-Identified Depression in Community Settings:
Concordance with Structured-Interview Diagnoses. Psychother Psychosom
2013, 82, 161-169
Nachtwey O: Abstiegsgesellschaft. Über das Aufbegehren in der regressiven Moderne. Suhrkamp, Berlin, 5. Auflage 2017
Oreskes N , Erik Conway: Merchants of Doubt, Bloomsbury Publishing, New York 2011
Passchier-Vermeer, Willy and Passchier, Wim F. : Noise Exposure and
Public Health. Environmental Health Perspectives, Vol. 108, Supplement
1: Reviews in Environmental Health, 2000 (Mar., 2000), pp. 123-131
Positionspapier der Deutschen Rentenversicherung zur Bedeutung
psychischer Erkrankungen in der Rehabilitation und bei Erwerbsminderung.
Hg: Deutsche Rentenversicherung 2014
Positionspapier Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und
Beatmungsmedizin e.V: Atmen: Luftschadstoffe und Gesundheit. Holger
Schulz, Stefan Karrasch, Georg Bölke, Josef Cyrys, Claudia Hornberg,
Regina Pickford,
Alexandra Schneider, Christian Witt, Barbara Hoffmann. Berlin 2018
Im Internet abgerufen 11.12.2018: https://pneumologie.de/fileadmin/user_upload/DGP_Luftschadstoffe_Positionspapier_20181127.pdf
Priebe, S. Wo kann es hingehen mit der Psychiatrie? Nervenarzt 89, 1217–1226 (2018).
Rau R, Buyken D (2015) Der aktuelle Kenntnisstand über
Erkrankungsrisiken durch psychische Arbeitsbelastungen. Z. Arbeits- und
Organisationspsychologie 59 (N.F. 33) 3, 113-129
REED V, FRANZ GANDER, HILDEGARD PFISTER, AXEL STEIGER, HOLGER SONNTAG,
CLAUDIA TRENKWALDER, ANNETTE SONNTAG, WOLFGANG HUNDT, HANS-ULRICH
WITTCHEN : To what degree does the Composite International Diagnostic
Interview (CIDI) correctly identify DSM-IV disorders? Testing validity
issues in a clinical sample. International Journal of Methods in
Psychiatric Research, 1998, Volume 7 ( 3) 142-155
Ribeiro WS, Annette Bauer, Mário César Rezende Andrade, Marianna
York-Smith, Pedro Mario Pan, Luca Pingani, Martin Knapp, Evandro Silva
Freire Coutinho, Sara Evans-Lacko : Income inequality and mental
illness-related morbidity and resilience: a systematic review and
meta-analysis. Lanct Psychiatry 2017; 4: 554-62
Richter D, Klaus Berger: Nehmen psychische Störungen zu? Update einer
systematischen Übersicht über wiederholte Querschnittsstudien. Psychiat
Prax 2013; 40: 176–182
RIESSMAN, CATHERINE KOHLER : Interviewer Effects in Psychiatric
Epidemiology: A Study of Medical and Lay Interviewers And Their Impact
on Reported Symptoms Am. J. Public Health 69 (5):485-491, 1979
Ritsert : Ideologie. Theoreme und Probleme der Wissenssoziologie. Westfälisches Dampfboot, Münster 2002
Rohrbeck F : Was bewegt Niko Paech? Der Verstoßene. Der bekannte
Wachstumskritiker Niko Paech hat seine Professorenstelle verloren. Haben
alternative Ökonomen wie er keine Chance in der Wissenschaft? DIE ZEIT
Nr.11/2017, 9. März
Rosenman S: Cause for caution: culture, sensitivity and the World Mental
Health Survey Initiative. Australasian Psychiatry 2012, 20 (1), 14-19
Rothe,Isabel , Lars Adolph, Beate Beermann, Martin Schütte, Armin
Windel, Anne Grewer, Uwe Lenhardt, Jörg Michel, Birgit Thomson, Maren
Formazin: Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt: Wissenschaftliche
Standortbestimmung. Dortmund/Berlin/Dresden 2017, Forschungs-Projekt F
2353
Jani Ruotsalainen: Cochrane Members for Change open meeting in Krakow,
April 3rd, 2019 Posted on April 30, 2019 . Abgerufen 2.5.2019
https://cochranemembers.org/2019/04/30/minutes-of-first-cochrane-members-for-change-open-meeting-in-krakow-april-3rd-2019/
Rudolph G : Opfer-Überzeugungen. Forum Psychoanalyse 2012: 28, 359-372
Rügemer W & Wigand E : Union Busting in Deutschland. Die Bekämpfung
von Betriebsräten und Gewerkschaften als professionelle Dienstleistung.
Otto Brenner Stiftung, Frankfurt/M 2014
Ruggiero V: Crimes of the powerful. A case for Anti-Criminology. In:
Prittwitz C et al. (Hg.): Kriminalität der Mächtigen. Nomos. Baden Baden
2008, 282-95
Sandrock S: Psychische Störungen nehmen faktisch nicht zu - Arbeitgeber
sollten präventiv agieren. Verbandsnachrichten, Verband der Wirtschaft
Thüringens VWT (www. vwt. de ) Aus Unternehmen für Unternehmen
Juli 2017/ 23. Jahrgang. Abgerufen bei der Pressesprecherin per mail am 2.7.2018 (ute.zacharias@vwt.de )
Sandrock S: Contra. Gründe gegen eine Anti-Stress-Verordnung - aus der
Sicht des Instituts für angewandte Arbeitswissenschaften (ifaa).
Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed 2015: 50 (4), 269-70
Satzer R.: Gefährdungsbeurteilung der psychischen Belastung: Aktionen, Widerstände und Durchbrüche. Gute Arbeit 7, 2014
Schlegel R (2013) „Das Konzept des BMAS“ In: Ver.di Bundesverwaltung
(Hrsg) Tagungsdokumentation SV-Tagung 2013, Berlin, S 19–32.
http://arbeitsmarkt-und-sozialpolitik.verdi.de/
service/publikationen/++co++9d2068ea-456f11e3-bfef-52540059119e.
Zugegriffen: 12. Jul 2014
Schleim St: Diagnosen psychischer Störungen steigen stark an. Im Internet abgerufen am 13.8.2018 unter:
https://scilogs.spektrum.de/menschen-bilder/diagnosen-psychischer-stoerungen-steigen-stark-an/
Schopenhauer A: Die Kunst, Recht zu behalten . F. Volpi (Hg), Insel V., Frankfurt 1995
Schumann M: Das Ende der kritischen Industriesoziologie ? Leviathan 30, 325-44, 2002
Seffrin J: Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität. Z Allgemeinmedizin 2015, 91 (2) 89-90
Semmer N, Zapf D, Greif S (1996) Shared job strain: a new approach for
assessing the validity of job stress measurements. J Occup Organ Psychol
69:293–310
Shah, Divyang : Healthy worker effect phenomenon. Indian J Occup Environ Med. 2009 Aug; 13(2): 77–79
Siegrist J: Arbeitswelt und stressbedingte Erkrankungen. Urban & Fischer, München 2015
Sonnentag, S. & Frese, M. 2012. Stress in organizations. In:
Industrial and organizational Psychology. Weiner, I. B., Schmitt, N. W.
& Highhouse, S. (Hrsg.). 2 Aufl. New York: John Wiley & Sons
(USA), S. 560-592 (Comprehensive Handbook of Psychology; Band 12)
SOSKOLNE C L: A WIN-WIN-WIN PATH FOR FLIGHT SAFETY, HEALTH, AND
CORPORATE PROFITS. Vortrag: THE 2017 AIRCRAFT CABIN AIR QUALITY
CONFERENCE; IMPERIAL COLLEGE LONDON, ENGLAND – SEPTEMBER 19-20, 2017
Im Internet abzurufen (24.1.2018) unter:
http://www.colinsoskolne.com/documents/Soskolne_-_Aircraft_Cabin_Air_Quality_Conference_London_England_Sept_19-20_2017-FINAL.pdf
Spector PE, Zapf D, Chen PY, Frese M: Why negative affectivity should
not be controlled in job stress research: don‘t throw out the baby with
the bath water. J organiz behav 21, 79-95 (2000)
Talala K, Huurre T, Aro H, Martelin T, Prättälä R: Trends in
socio-economic differences in self-reported depression during the years
1979–2002 in Finland. Soc Psychiat Epidemiol (2009) 44:871–879
Terracciano A: Secular Trends and Personality: Perspectives
From Longitudinal and Cross-Cultural Studies—Commentary on Trzesniewski
& Donnellan (2010). Perspectives on psychological science 2010,
5(I), 93-96
The WHO World Mental Health Survey Consortium: Prevalence, Severity, and
Unmet Need for Treatment of Mental Disorders in the World Health
Organization World Mental Health Surveys. JAMA 2004, 291 (21) 2581-2590
Thielscher Ch: Zur Pathogenese der Ökonomisierung. Dt. Ärzteblatt 115, 2018, 818- 819
Theorell T, Anne Hammarström, Gunnar Aronsson, Lil Träskman Bendz, Tom
Grape, Christer Hogstedt, Ina Marteinsdottir, Ingmar Skoog, Charlotte
Hal: A systematic review including meta-analysis of work environment and
depressive symptoms . BMC Public Health (2015) 15:738 DOI
10.1186/s12889-015-1954-4
Trzesniewski K H u. Donnellan M B: Rethinking ‘‘Generation Me’’: A Study
of Cohort Effects From 1976–2006. Perspectives on Psychological Science
2010 5(1) 58–75
Tuckett D: Die verborgenen psychologischen Dimensionen der Finanzmärkte. Psychosozial, Gießen 2013, S. 309 f.
Twenge JM: The Age of Anxiety? Birth Cohort Change in Anxiety
and Neuroticism, 1952-1993. J personality soc psychology 2000, 79(6),1007-21
Twenge JM, Campbell WK: The Narcicissm Epidemic. 2009 (2013) Atria Paperback, New York
Union of concerned scientists 2017: The Disinformation Playbook:
https://www.ucsusa.org/our-work/center-science-and-democracy/disinformation-playbook?utm_source=twitter&utm_medium=social&utm_campaign=tw#.We9KPBNSxKN
. Im Internet abgerufen: 19.12.2017
Verkuil B, Atasayi S, Molendijk ML: Workplace bullying and mental
health: A Meta Analysis on cross-sectional and longitudinal data. PLOS
ONE; DOI: 10.1371/journal.pone.0135225 August 25, 2015
Wainwright D , Calnan M : Work Stress: the Making of a Modern Epidemic. Buckingham/Philadelphia: Open University Press, 2002
Wallraff G: Aus der schönen neuen Welt. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2012
Weinmann St: Die Vermessung der Psychiatrie. Täuschung und Selbsttäuschung eines Fachgebiets. Psychiatrie-Verlag 2019
Wilkinson R, Pickett K: The spirit level. Penguin books, London (2009)
2010; im Internet abgerufen 9.11.2019 :
https://www.equalitytrust.org.uk/health
Wittchen H U, Müller N, Storz S: Psychische Störungen: Häufigkeit,
psychosoziale Beeinträchtigungen und Zusammenhänge mit körperlichen
Erkrankungen. Gesundheitswesen 60 (1998) Sonderheft 2, 95-100
Wittchen H-U, Üstün T B, Kessler R C: Diagnosing mental disorders in the
community. A difference that matters ? Editorial. Psychological
medicine 1999, 29, 1021-1027
Wittchen H.U., F. Jacobi, J. Rehm , A. Gustavsson , M. Svensson , B.
Jönsson , J. Olesen , C. Allgulander , J. Alonso , C. Faravelli , L.
Fratiglioni , P. Jennum , R. Lieb , A. Maercker , J. van Os , M. Preisig
, L. Salvador-Carulla ,R. Simon , H.-C. Steinhausen: The size and
burden of mental disorders and other disorders of the brain in Europe
2010. European Neuropsychopharmacology (2011) 21, 655–679
Zapf D, Christian Dormann & Michael Frese: Longitudinal Studies in
Organizational Stress Research: A Review of the Literature With
Reference to Methodological Issues. Journal of Occupational Health
Psychology 1996, Vol. 1, No. 2, 145-169