56 psychiatric patients in day-hospitals and 12 outpatients in psychotherapy have been evaluated by goal-attainment-scaling: That method itself has been questioned and scrutinized.
Methodenkritisches zum
Goal-attainment-scaling (GAS) im Vergleich zur Basisdokumentation
Psychotherapie (Psy-BaDo) im Verlauf von 12 tiefenpsychologischen
Psychotherapien (PT)
Wolfgang Bolm, Bockenem-Hary 2015
letzte Korrektur: 8.3.2023
01 ZUSAMMENFASSUNG:
GAS wird als Messinstrument für das Erreichen individueller
Therapieziele in Frage gestellt durch das Ausmaß der Gegenübertragung
und die im Verlauf der Arbeit wachsende Skepsis gegenüber Prognosen. Die
Prognosen in der Psy-BaDo sind allerdings noch weniger realistisch, als
beim GAS.
02 VORREDE:
GAS ist der in den 70-iger Jahren in den USA sehr populäre Versuch,
den Erfolg einer psychiatrischen Behandlung am Maßstab des individuell
Möglichen zu messen, statt mit sog. nomothetischen Skalen, die für alle
gleich sind- deren Erfolgskriterien aber recht weit von der Problemlage
des Einzelnen entfernt sein können. (Literatur z.B. bei Bolm, 1996,
2012, oder bei Dahling, 2006). Wo in der Behandlung von chronisch
Kranken 40% der Ziele die Verhütung oder Abmilderung einer erwartbaren
Verschlimmerung betreffen, verwandelt die traditionelle Messung solche
relativen Erfolge in Nullresultate oder Verschlechterungen - welch
eklatanter Mangel an Validität! GAS schien mir -frei nach v. Weizsäcker-
die "Einführung des Subjekts" in die Evaluationsforschung (Bolm, 1994).
Dabei ist das Thema sagenhaft alt, wie das französische Sprichwort lehrt: "Il ne faut pas mesurer les autres a son aune" ( Man messe die anderen nicht mit seiner Elle)...
In früheren eigenen Untersuchungen (Bolm 1994, 1996, 2013) führte
allerdings die gruppenstatistische Methodenkritik zu immer anderen, aber
doch in diesem Wechsel anhaltenden Zweifeln am GAS . Aus der viel
genaueren Kenntnis der Patienten (Pat.) in der PT erhoffte ich mir
Aufschluss, warum eine so vielversprechende Methode beim genaueren
Hinsehen enttäuscht; dazu dienen soll auch der Vergleich mit einem
weiteren Verfahren, individuelle Therapieziele auszuwerten (PsyBaDo).
Am Ziel 1 des folgenden GAS- Beispiels ist die Verhütung einer
Verschlimmerung als Ziel zu erkennen, Ziel 2 formuliert die Erwartung
einer Verschlimmerung: Das ist klinischer Alltag außerhalb der
Akutversorgung, der in nomothetischen Skalen zu Unrecht als Nullresultat oder gar Fehlschlag bewertet würde.
Dieser individuelle, prognoseabhängige Erfolgsmaßstab schärft den Blick
auf das Potential des Patienten, legt offen, wie weit eine völlige
Gesundung als Ziel aufgegeben wurde und erleichtert ggf. die
Koordination des Teams.
Tabelle 1
Beispiel einer Goal Attainment Scale
Ziel 1
Ziel 2
Ziel 3
Ziel 4
Haus verloren
Wohnung
Arbeit
Krankheitseinsicht
Ergebnis viel weniger als erwartet
führt Prozesse, dringt ins Haus ein, maßt sich Eigentümerrechte an
Wohnarrangement platzt, vollstationäre Aufnahme
verliert wegen Diebstahls Platz in interner Arbeitstherapie (AT)
Verleugnung nimmt zu
etwas weniger als erwartet
interne AT in „Cafebar“ #
„ich bin krank, will aber nicht hinsehen“; lehnt Teilnahme an Psychosegruppe ab
wie erwartet
kein stabiler Verzicht, anerkennt den Verlust für den Augenblick, lässt Gespräch darüber zu # *
hält Wohnung trotz zunehmender Schwierigkeiten
interne AT im Büro in Vorbereitung
lässt vereinzelt Informationen über Krankheit zu # *
etwas mehr als erwartet
hält Wohnung mit Schwierigkeiten (Diebstahl), “opfert“ sich als Putzfrau #
viel mehr als erwartet
stabiler Verzicht aufs Haus
punktuell besseres Einwohnen, äußert Wünsche adäquater vs. Mitbewohnerin, oder findet andere Wohnung für betreutes Einzelwohnen *
erste Bewährung in Büro oder anderer externer AT *
Rückbesinnung auf Krankheitsgegeschichte
Anmerkungen: Diese für das Qualitätssicherungs-Projekt
Berliner Tageskliniken von mir entworfene Skala wurde bereits von
Dahling 2006, S 42 publiziert. Der Ausgangszustand wird mit „#“
markiert, der Zustand nach drei Monaten oder bei Entlassung mit „* “.
Für den selben Zeitraum lautete der CGI-Veränderungswert „Zustand ist
viel besser“, der CGI-Schweregrad war von „deutlich krank“ auf „mäßig
krank“, der GAF von 30 auf 55 (von 100) Punkten gebessert, die Frage, ob
die bisherige Behandlung hier für sie hilfreich gewesen sei,
beantwortete die Patientin bei der Nachuntersuchung negativer (5 vs. 8
von 10 möglichen Punkten). {aus Bolm 2012, S 6 f.}
Die größte Anerkennung des Grundgedankens des GAS hierzulande stellt
sicher dar, dass die Basisdokumentation in der Psychotherapie,
„Psy-BaDo“, (Hg. Heuft und Senf 1998), ein von zehn medizinischen
Fachgesellschaften erarbeitetes Verfahren zur Qualitätssicherung (QS) ,
individuelle Therapieziele einschließt unter Betonung ihrer
Erreichbarkeit aber auch ev. erwartbarer „Restsymptome“. Andererseits
verschweigt der Literaturüberblick über das GAS von Dahling 2006 nicht
die zahlreichen methodischen Probleme, u.a. „eine maximal mittlere
Interraterreliabilität“(S.45).
03 FORSCHUNGSFRAGEN
A
1
Quantitativer Vergleich GAS- mit Psy-BaDo-outcome
2
Bewertung von GAS- und Psy-BaDo-Zielen im Lichte des Wissens vom gesamten Therapie-Verlauf
3
Dynamische Hypothesen zu den Zielen (P/Therapeut (T)/Umfeld)
4
Erreichen oder Verfehlen von Zielen statt mit „ja“/“nein“ mit mehrwertiger Logik adäquater abzubilden ?
a)
Ziele möglich / unmöglich bez. Ort, Zeit, subjektiver Bedeutung für P
? ( Ziel relevant für wunde Punkte P aus kulturellen Kontexten 1-n ?)
b)
Ziele relevant für Partner 1-n ?
c)
Ziel relevant für „wunde Punkte“ 1-n des T. ?
B
Neue Einsichten zur beruflichen Ätiologie, zum Thema Stigma, zu erotischer Leidenschaft als Ursache seelischer Störung ?
C
1
Welche Affekte hat T bez. der Ziele?
2
Wie fuzzy* sind die Ziele ?
3
Welches Modell über Wesen der Ziele, Funktion der Ziele in der PT,
über Aushandlungsprozess der Ziele zwischen P und T , über Einbeziehung
der Angehörigen?
4
Wie verändert meine Forschung meine PT ?
D
Was sagt die Art der Therapie-Beendigung durch P über Ziele und deren Dynamik ?
E
Selektion der P
* unscharf, ungenau, vgl. Moser, 1991
04 LITERATUR
Angesichts der uferlosen Literatur sind meine beiden wichtigsten
Erträge der Lektüre die Infragestellung von GAS durch das Ausmaß der
Gegenübertragung und die im Verlauf der Arbeit wachsende Skepsis
gegenüber Prognosen angesichts der Unvorhersagbarkeit von Geschichte und
der Unergründlichkeit des Menschen (Plessner). Nicht unerwähnt bleiben
darf die dürftige Datenlage, was die Evaluation der hier zu
betrachtenden tiefenpsychologisch fundierten PT angeht; die ersatzweise
herangezogene analytische Literatur zu extrapolieren bleibt
offensichtlich gewagt.
Searles (1991) soll über die Entdeckung sexueller Gegenübertragungen bei
sich so erschrocken gewesen sein, dass er die Publikation wiederholt
verschob.
H. Racker (1982, 1959) geht bei seinen Ausführungen zur
Gegenübertragung von Freud aus, der 1912 bei Lehranalysen, die maximal
Wochen oder Monate dauerten, von „praktisch gesunden“ künftigen
Analytikern gesprochen hätte. Heute dauere die Lehranalyse zwischen 4
und 10 Jahren „und wir wissen, daß wir selbst dann noch weit davon
entfernt sind, „praktisch gesund zu sein.“( S 74) G.Reich (1984) führt
auf dem Hintergrund der systematischen Familientherapie mit den Familien
von Familientherapeuten im Göttinger Institut die
Gegenübertragungsprobleme auf das Erleben von frühkindlicher
Vernachlässigung, Parentifizierung etc. beim Therapeuten zurück. Aus der
spärlichen Literatur zitiert er Krüll, 1979, der Freuds Revision seiner
Verführungstheorie mit Loyalität gegenüber Freuds Vater erklärt, den er
sonst als „pervers“ hätte beschuldigen müssen. Er zitiert Racusin et al
(1981), die in Tiefeninterviews in den Familien von 14 Therapeuten je
mindestens 1 Mitglied mit psychischen Leiden oder Verhaltensproblemen
feststellten und zitiert den Familientherapeuten Jackson (1956), viele
Therapeuten möchten ihre Patienten besser behandeln, als sie selbst von
ihren Eltern behandelt wurden. Eine der wesentlichen Erkenntnisse in der
Göttinger Arbeit mit den Herkunftsfamilien sei, „daß deutlich wurde,
wie wenig alle Teilnehmer der Ausbildung sich doch innerlich aus der
Kind-Position den Eltern gegenüber herausentwickelt hatten, daß alle
erlebten, daß sie noch Kinder waren. ...so wurde von den meisten das
Ausmaß der eigenen Individuation überschätzt“.
Blomeyer (1987) sieht den „Analytiker als Gefangenen seiner Rolle“,
die kollektiv aus Jahrtausende alten Traditionen ein
Vollkommenheitsideal fordere; jenseits allen kritischen
Selbstverständnisses gelte:“Wir sind ihm ausgeliefert“. Andererseits
stimmt er M.Sperber (Alfred Adler oder das Elend der Psychologie, 1970)
zu, der das Restproblem des Analytikers nach der Lehranalyse für
„unlösbar und beinahe so unausweichlich ...wie der Tod“ hält. Somit
gelte :“Unser analytisches Leben ist von der Gesundheitslüge begleitet“,
schon beim Bewerbungsgespräch für eine Ausbildung werde niemand die
Wahrheit über seine seelischen Probleme sagen. Ähnlich würden auch im
Bericht an den Gutachter Zweifel über die eigenen Behandlungsvorschläge
unterdrückt „Es wird selten so viel gelogen, wie vor der Wahl und nach
der Jagd und wie in solchen Berichten an die Gutachter“. Blomeyer
fordert, das Vollkommenheitsideal aufgeben zu dürfen und „daß wir auch
neurotisch krank sein dürfen, in Ehren krank sein dürfen“, und schließt
mit einem beeindruckenden Bekenntnis :“Ein Drittel meiner Probleme kann
ich lösen, ein Drittel mehr oder weniger lösen, gebessert. Ein Drittel-
unheilbar. Wissen Sie, was das ist ? Eine ausgezeichnete Bilanz. Alles
andere ist ein Riesenanspruch, ist Augenwischerei...“ Das gilt
selbstverständlich nicht nur für Analytiker, sondern auch für
Psychotherapeuten (den Verf. ausdrücklich eingeschlossen) . Blomeyer (
1989) leitet aus dem Gesagten ab, wie unrealistische Therapieziele von
Reifung und Heilung statt pragmatischer Alltagsbewältigung entstehen.
Bereits 1978 hatte Baum in diesem Zusammenhang behauptet:"So wählt
der Psychotherapeut sein Fach, um sich selbst von seiner emotionellen
Krankheit zu befreien".
ANMERKUNG 2019: Zu diesem weitgehend tabuierten Komplex seien
einige Hinweise ergänzt: Bei Befragung von Ärzten beim DGPPN-Kongress
2005 teilten 45% mit, bereits eine depressive Episode hinter sich zu
haben und 40% gaben risikobehaftete Alkoholmengen an. ( Braun M,
Schönfeldt-Lecuona C, Kessler H, Beck J, Beschoner P, Freudenmann RW:
Burnout, Depression und Substanzgebrauch bei deutschen Psychiatern und
Nervenärzten. Nervenheilkunde, 27, 800-804, 2008)
Ein Bericht über die mutige Offenlegung seiner 3
depressiven Episoden durch den Psychiater Freudenberg schließt
resigniert:"nach zig-fachen Aufrufen in der Standespresse und einigen
Fernsehbeiträgen" hätte er ein gutes Echo bekommen, aber nicht von
irgendeinem Psychiater." ( Freitag M: Mit seinem outing blieb er allein.
Eppendorfer 2013, 7 & 8, S.22)
Yalom, der 2017 in seinen Memoiren bewundernswert
freimütig von eigener Psychopathologie schreibt, dass er 1970 bei einem
Besuch in Wien als Patient Viktor Frankl konsultieren wollte, der in der
ersten Std. ohne eine Frage nach Yaloms Beschwerden nur von seinen,
Frankls , Problemen gesprochen und ihn in der 2. Std. um eine Einladung
nach Stanford gebeten habe. S. 214 schließt er mit der altersmilden
Feststellung:"Selbst die Besten unter uns sind manchmal von ihren
Wünschen und ihrem Bedürfnis nach Anerkennung geblendet". Er zitiert
mehrere Passagen aus der Belletristik über Ärzte als Patienten und hat
in "Und Nietzsche weinte" romanhaft die Fiktion gestaltet von der
Heilung von Breuers Besessenheit von seiner Patientin Anna O. durch
Nietzsche, der nur so als Therapeut seinen Widerstand gegen eine
Therapie seiner Liebesenttäuschung mit Lou Andreas-Salome bearbeiten
konnte. (Irvin D. Yalom: Wie man wird, was man ist. Memoiren eines
Psychotherapeuten. btb München 2017)
Die Pilotstudie von Braun et al. 2008 ist inzwischen um
die Kongressbefragung von Anästhesisten erweitert worden (Beschoner P et
al. 2016, Gender Aspekte bei Ärztinnen..., Bundesgesundheitsblatt, DOI
10.1007/s00103-016-2431-7). Eine Depression in der Vorgeschichte gaben
mit 38% der Männer und 47% der Frauen die Psychiater/Psychotherapeuten
gut doppelt so oft an, wie die Anästhesisten/Intensivmediziner.
"In der Schweiz sei jeder dritte Professorenkollege
Angehöriger gewesen", so zitiert der Eppendorfer (2/2019 S. 7) in einem
redaktionellen Beitrag über den vergangenen DGPPN-Kongress Asmus Finzen
und berichtet über mehrere Selbsthilfgegruppen von in der Psychiatrie
tätigen Betroffenen bzw. Angehörigen, die Angst vor Stigmatisierung
scheine abzunehmen.
In der Literatur zur Gegenübertragung wird das Thema weiter
aufgefächert: Gysling (2009, 1995) beschreibt, wie Gegenübertragung in
der Geschichte der Psychoanalyse, zunächst als verwerflicher Schandfleck
tabuisiert, mit Heimann (1950), vgl. dazu: Plenker, 2012, nicht vor
allem als Abbild der Restneurose des Therapeuten sondern als Echo der
Probleme des Patienten verstanden und nutzbar gemacht wurde. Bei vielen
Größen des Fachs beschreibt sie beachtliche Gegenübertragungsprobleme:
So zitiert sie Cremerius (1981, S.255) über Freud, der in dieser Frage
„aus schierer Furcht vor dem Disqualifiziertwerden“ geleitet gewesen
sei:“Ja schließlich hätte er auch das letzte Schreckliche sagen müssen,
daß nämlich auch er ein Patient ist, d.h. ein Mensch mit denselben
Phantasien und demselben schrecklichen Unbewußten wie der, der seine
Hilfe sucht. … Wahrscheinlich wäre es schlimm ausgegangen und vor den
Gerichten geendet, hätte Freud das alles publiziert.“ Gysling stellt
derart viele Seiten füllende Listen mit Gegenübertragungsfallen
zusammen, dass der Eindruck sich aufdrängt, ein erheblicher Anteil von
Therapiestunden dürfte davon berührt sein. Nachdem sie am Ende Kernbergs
Absicherungstendenzen und Mißtrauen mit dessen unbewußten
Gegenübertragungskomplikationen erklärt hat, fährt sie S.368
fort:“Gegenübertragungskomplikationen gehören jetzt aber zum Metier, und
Überheblichkeit in diesem Feld empfiehlt sich nicht. Keiner bleibt
ungeschoren, niemand unbefleckt, vor allem nicht, wer den Mut aufbringt,
sich auf schwerere Psychopathologie mit ihrer archaischen Abwehr und
den entsprechenden Konsequenzen für den Behandler einzulassen. … Daß das
ohne Schußwunden und wüste Narben in der Gegenübertragung nicht abgeht,
ist- zumindest bei manchen Behandlern- womöglich der Preis für so viel
Tollkühnheit“.
Wöller und Kruse ( 2010) beginnen ihr sehr detailliertes und
brauchbares Lehrbuchkapitel zur Gegenübertragung mit der Forderung,
diese bewußt wahrzunehmen und nicht zu agieren , um bald festzustellen
„so wichtig diese Forderung ist, so utopisch ist sie gleichzeitig“ und
erwähnen in diesem Zusammenhang “das unvermeidliche Mitagieren des
Therapeuten“ (a.a.O. S 252). Der Aufruf an die Leser, durch
Gegenübertragung verzerrte Therapieziele zu erkennen und zu korrigieren ,
wird breit begründet.
König (2010) normalisiert Gegenübertragung, insofern bei jedem
der
besprochenen Persönlichkeits-Typen von Therapeuten (depressiv,
zwanghaft, schizoid etc.) eine besondere Färbung der
Gegenübertragung
festgestellt wird; z.B. heißt es S. 249:“Wie depressiv
strukturierte
Therapeuten konfrontieren phobisch Strukturierte ungern, wenn
sie
meinen, daß es die Harmonie der Beziehung stören könnte. Das
behindert
sie beim Erreichen kurz- und mittelfristiger Ziele, und damit
auch der
langfristigen. Zielkonflikte sollen latent bleiben und werden
nicht
ausgetragen.“ Der phobische Therapeut lasse sich u.U. vom
Patienten
„missionieren“, d.h., dessen Ziele aufdrängen, weil er ihn in
der
Position eines „steuernden Objekts“ brauche. Während Königs
Feststellung wenig überrascht, muss doch wundern, wie wenig Ehrgeiz er
und mit ihm die ganze Profession zeigt, Häufigkeit und Ausmaß der so
bedingten Schäden am Patienten zu quantífizieren.
Hier klafft m.W. eine beeindruckende Forschungslücke, ein
blinder Fleck der Profession. Das gilt abgesehen von der
Debatte über „Nebenwirkungen“ der PT, auf die hier
nicht eingegangen wird.
Zum Thema schrieb Strupp (2000): „ Professionelle Therapeuten
reagierten häufig negativ und antitherapeutisch auf Feindseligkeiten der
Patienten, obwohl sie eigentlich vertraut sein sollten mit den
Konzepten der Übertragung und Gegenübertragung.“
Dieser kurze Blick auf tiefenpsychologische Literatur hätte sicher
besser am Beginn meiner Praxis als Psychotherapeut im Jahr 2000 gestanden, das Wissen
und Können zum Thema Gegenübertragung aus meiner 1990 beendeten
Weiterbildung war etwas angerostet. Er weckt bzw. bekräftigt aber auch
Zweifel an der Objektivität von Therapiezielen; eine grosse Zahl
von Kasuistiken bestätigt diesen Eindruck von der Häufigkeit, mit der
Gegenübertragungskomplikationen in der Psychotherapie das Aufstellen,
Erreichen und Bewerten von Zielen stören (z.B.: Ersfeld-Strauß, 1998;
Hinze, 2012; Peichl, 2000, Wengler, 1994).
Trotz aufwändigster Vorarbeiten ist Psy-BaDo ( Heuft G., Senf, W.
1998) in der Evaluation ambulanter PT m.W. nicht eingesetzt worden. Ein
Fehlschlag, den ein Anruf bei einem der Autoren vor ca. 3 Jahren
bestätigte. Dabei wird abgesehen von dem später abgebrochenen Projekt
des Instituts f. Qualität im Gesundheitswesen, NRW (Levartz et al 2003).
Zur Methodenkritik der Psy-BaDo vgl. Düsch, 2001: Objektivität,
Reliabilität und Validität seien nicht ausreichend geprüft. Der
grundsätzliche Verriss durch Piechotta, 1998, 2000 wirkt z.T.
ideologisch bzw. standespolitisch motiviert.
Der Eindruck, die Evaluation ambulanter PT gleiche einem
Haifischbecken wird u.a. bestätigt durch die Polemik um den
fehlgeschlagenen Versuch der Technikerkrankenkasse, den Nutzen der
Qualitätssicherung nachzuweisen: (Lutz et al. 2012; Scheidt et al.,
2012)
05: BEOBACHTUNGEN aus 27
unausgewählten Verläufen eigener PT- Patienten während ich am Design
für vorliegende Studie arbeitete:
Auch schon 2007 hatten meine P. überwiegend mäßig schlechte
Prognosen, z.T. auch sehr schlechte oder mittlere, wenig mittel-gute,
keine sehr guten – ich versuchte schon damals, wo irgend vertretbar,
jeden Hilfesuchenden zu behandeln, ohne die übliche „Rosinenpickerei“.
Gegenübertragungsthemen:
-2x die Ziele der P nicht akzeptiert; außerdem: seine depressive
Mutter ausgegrenzt, sein Ziel “Solidarität mit Mutter“ nicht akzeptiert;
-ihre Themen kommen mir zu nah (Alter, Tod);
-überengagierter T bei schöner P;
-die Vermittlung erfolgt über „very important people“; Problem ähnelt dem in meiner Familie;
-ich bin überengagiert, Problem erinnert an meine Familie;
-Intoleranz vs Sucht;
-als ob ich meine Familie in ihrer sähe. GAS zeigt seine Stärken, - indem das soziale Konstrukt einer planbaren Zukunft eine Placebo-Wirkung entfaltet,
- indem P. mit Selbstwertproblemen narzisstischer/depressiver Genese
und die strukturell Gestörten vom Fokus auf realistische Ziele
profitieren.
GAS kommt an seine Grenzen weil
- die prognostische Unsicherheit in derart vielen Verläufen zu Anfang
(wo ja die Ziele festgelegt werden) besonders ausgeprägt ist,
- in einigen Fällen die P wichtige Themen erst weit nach der Zielplanung ansprechen,
- der Zufall und die Improvisation, das freie Spiel der Kräfte im
sozialen Umfeld im Verlauf eine viel größere Rolle spielen als der
Behandlungs-Plan (13x),
- meine Gegenübertragungen den Vorgang der Zielerfassung und –Evaluation bei 8/27 Pat. stark verzerren,
- eine hohe Zahl von Abbrechern nicht für die Abschlussuntersuchung zur Verfügung steht ( 8x),
- „Therapie- Ziele“ tun so, als ob das Leben wie eine Landkarte im
Reisebüro vor uns liegt; ich berate den P. zu möglichen Zielen unter
Berücksichtigung seiner Wünsche, seines Geldbeutels und der verfügbaren
Angebote, später werten wir aus, ob es ihm gefallen hat. Das Leben als
Ware, ohne Geworfenheit, Chaos, Irrationales, Dunkles, Geschichte eben.
(Lübbe zit. in E. Schulin, Französische Revolution, München 1989, Beck:
„Die Beschäftigung mit der Geschichte vergegenwärtigt uns fremdes und
eigenes Dasein, soweit es nicht Resultat von Selbst- und
Mitbestimmungsprozessen ist, vielmehr von der Macht des Zufalls und der
Handlungsmacht Dritter abhängig“). GAS blendet diese geschichtliche
Geworfenheit von P und T aus.
1 METHODE
1.0 Ethikkommission
Eine Anfrage bei der Ethikkommission bei der Ärztekammer
Niedersachsen ergibt, dass die Studie bei Anonymisierung der
Patientendaten nicht als personenbezogen gilt und daher nicht vorzulegen
sei. (14.9.2007)
1.1 Vordruck Patienten-Zustimmung
Dr. med.Wolfgang Bolm, Nervenarzt, Psychotherapie,
Prinzenstr. 18, 31167 Bockenem-Hary
ZUSTIMMUNGSERKLÄRUNG
Sehr geehrte Patientin, sehr geehrter Patient, neben Ihrer
Psychotherapie führe ich eine wissenschaftliche Untersuchung durch, zu
der ich Sie um ihre Zustimmung bitte. Es geht um eine bei der
zuständigen Ethikkommission angemeldete vertiefte Erforschung eines
Messverfahrens. Damit werden die Ergebnisse der Behandlung an Hand
persönlicher Therapieziele beurteilt. Dazu werden die Protokolle der
Therapiestunden ausschließlich von mir ausgewertet. Falls aus Ihrer
Therapie Erkenntnisse in die Abschlussveröffentlichung einfließen,
geschieht das völlig anonym, d.h. ohne Namensnennung. Die Daten sollen
auch verfremdet werden (d.h. durch Änderung von Alter, Beruf,
Wohnortgröße usw. unkenntlich gemacht). Dennoch soll ein eventuell Sie
betreffender Text-Abschnitt Ihnen vorgelegt werden und nur
veröffentlicht werden, wenn Sie nochmals ausdrücklich Ihre Zustimmung
gegeben haben.
Es steht Ihnen ohne irgend einen Nachteil für ihre
Therapie sowohl jetzt, wie auch zu jedem Zeitpunkt der Therapie völlig
frei, eine Zustimmung zur Teilnahme an dieser Untersuchung
zurückzunehmen.
Meine Fragen zu dieser Erklärung wurden ausreichend beantwortet.
Ich stimme zu: O
Ich stimme nicht zu: O
…………………………………..…………………………………………………………………..
Datum........................
Unterschrift.............................................................
1.2 Zeitlicher Ablauf
Zwischen 4.9.07 und 7.12.11 habe ich von 12 lfd. PT- Patienten GAS
und Psy-BaDo erhoben; alle 5 Std. sollte GAS neu an den erweiterten
Kenntnisstand angepasst werden und der Fragebogen zur
Verlaufsbeobachtung ausgefüllt werden. Als ich immer öfter die
„Messpunkte“ vergessen hatte, nahm ich ab 1/09 keine neuen Pat. ins
Projekt auf.
1.3 Vordruck GAS:
In welcher ätiologischen Dimension liegen relevante Ziele ?
.........................occ Ae*.............Stigma*.................Herz*...............gift of love*...............Trauma
-2 = viel
weniger
als erwartet
-1
0 = Wie
erwartet
+1
+2 = Viel
mehr als
erwartet
* Anmerkung: "Occ AE" meint berufliche Ursachen, "Herz"
die (Liebes)-Beziehung,
„gift of love“ versucht mit Lorna Smith-Benjamin maladaptive
Muster im Gefolge der internalisierten wichtigsten frühen Beziehung zu
fassen. Nach Bedarf wurde oft noch eine Skala „Symptome“ ergänzt
1.5 Psy-BaDo-Vordrucke:(Seitenzahlen nach Heuft & Senf)
Therapieziele P (S. 59-61); Veränderungsdoku P, Beginn, (S 67-71);
Therapeutenangaben, Beginn (BSS, GAF etc, S.55); Therapieziele T (S.56-58);
Veränderungsdoku T, Beginn, (S.62-66);
Veränderungsdoku P, Ende, S. 79-83; Therapeutenangaben Ende (GAF, BSS etc) u. Veränderungsdoku T, Ende, (S.72-78)
2. AUSGEWÄHLTE ERGEBNISSE:
Die Forschungsfragen gehen offensichtlich auf weitere Daten aus, als
im therapeutischen Prozess zu gewinnen sind, ohne die Arbeitsbeziehung
zu gefährden, die aber selbstredend ganz vorrangig bleiben muss. Eine
ursprünglich geplante kasuistische Argumentation musste aus Gründen des
Datenschutzes aufgegeben werden. Schließlich bleibe ich bei der
Darstellung der Gegenübertragung zurückhaltender, als es der
Wissenschaft gut täte, meinem Schutz zuliebe.
2.10 Selektion
Im Beobachtungszeitraum habe ich nur einen P abgelehnt (der war
nicht krank, hatte ein Lebensproblem). Als einziger PT im Umkreis von 15
Km sah ich mich als Sozialpsychiater gefordert, an der „Vollversorgung“
teilzunehmen, also möglichst keinen abzuweisen, etwa wegen schlechter
Prognose (weil auch der chronische P Anspruch auf Verhütung einer
Verschlimmerung bzw. Milderung der Symptome hat) oder wegen Bedenken
meinerseits, ob die Passung P/T gegeben ist.
2.12 Zustimmung
Von 7 P liegen Zustimmungen zur Teilnahme an der Studie vor, von 5
nicht. Weil die Identität der Pat. nicht genügend verschlüsselt werden
kann, ist auch zu ihrem Schutz auf die Publikation einer ursprünglich
geplanten detaillierten kasuistischen Argumentation zu verzichten.
2.20 Behandlungsabbrüche
Von 8 Pat. liegen vollständige Daten einschließlich Abschlussuntersuchung vor.
9/12 Behandlungen wurden vorzeitig abgebrochen (davon eine von
mir beendete Probe- Therapie, 6x Fernbleiben, 1x Gesprächsabbruch in der
Std., 1x Beendigung gegen meinen Rat); allerdings sind 5/12 Fälle, bei
denen nach den Regeln der Kunst, also nicht nach meinem
“sozialpsychiatrischen Vollversorgungsanspruch“ keine Indikation
gestellt worden wäre. Diese Selektion von Fällen nach einem Kriterium,
das noch gar nicht in der fachlichen Community durchgesetzt werden konnte (auch die
Schwerstkranken müssen PT bekommen !!) , schränkt die Vergleichbarkeit der
Ergebnisse dieser Studie stark ein. Jedenfalls habe ich es unterlassen,
wie üblich eine Psychotherapieindikation für die P mit eher ungünstiger
Prognose zu verweigern. Das führte zu einer überhöhten Abbrecherrate,
die mit der der „Normalpopulation" aller PT-Pat. nicht vergleichbar ist. (s.u. 2.33)
Von den verbliebenen 4/7 (57%) könnte man bei zweien (Patientinnen 6
u. 8 ) eher sagen, sie hätten ihre gewünschte Therapie-Zeit gehabt,
bloß der T. konnte das nicht akzeptieren...
Therapie-Abbrüche im engen Sinne bleiben also 2/7 = 29% (Patientin 3 u. Patient 2).
In der Literatur geben Wierzbicki & Pekarik, 1993, zit. nach
Lambert & Ogles, 2004, aus einer Metaanalyse 47 % drop-outs an.
Demgegenüber fanden Cincaya et al., 2011, zit n. Nübling, 2012, unter
1391 Pat. der Mainzer verhaltenstherapeutischen Hochschulambulanz 14 %
„qualitätsrelevante" und 10% „qualitätsneutrale" (z.B. Umzug)
Abbruchsgründe.
Fazit: Die Abbrüche liegen , bezogen auf die Selektion der Gruppe, im Rahmen der Erwartungen.
2.21 Ausfüllen der BaDo-Bögen zu den eigenen Therapiezielen
5 Pat. füllten ihre BaDo-Bögen allein zu Hause aus.
7 Pat. füllten ihre BaDo-Bögen mit meiner Hilfe aus: 5 total, 2 partiell
Eine Unabhängigkeit der Ziele von P und T ist deshalb nur bei 42%
gegeben, von Einflüssen der sozialen Erwünschtheit (der Empfänger auch
der zu Hause ausgefüllten Bögen war ja ebenfalls der Therapeut) ganz
abgesehen.
2.30 Quantitative Daten
Der Ausgangswert des GAF liegt im Mittel bei 48; 75% liegen unter 60.
In der Studie von Levartz et al. haben nur ca. 37% einen
Ausgangs-Wert im GAF unter 60. Am Ende der PT erreichen in jenem
Kollektiv (N= 109) 43% einen GAF-Wert von 90-100, während von meinen P (N = 8)
nur der erfolgreichste 65 erreicht.
Die mittlere Verbesserung des GAF von + 5,6 Skalenpunkten ist
weniger als die 11,6 von Scheidt et al. (1999) bei 706 ambulanten
Psychotherapien aller Fachrichtungen.
Für GAF findet sich bei Soederberg et al. (2005) auf der Grundlage
von 81 Ratern von 5 Fallvignetten ein 95% Konfidenzintervall von 23
GAF-Skalenpunkten (so weit streuen die Beurteilungen für denselben
Patienten).
Angsichts dieser enormen Grenzen, die die geringe
Interraterreliabilität des GAF setzt, ist der Unterschied zwischen dem GAF-Zuwachs bei Scheidt et al. und vorliegender Studie gar nicht zu bewerten; er geht im Rauschen der Methode GAF unter !
Zum Problem der Messung von Therapieerfolg an Differenzwerten von
Statuserhebungen prae/post vgl. Stieglitz u. Baumann 1994, die
ausgesprochen viele, schwerwiegende Kritikpunkte zusammentragen. U.a.
diese Kritik am nomothetischen Messen hatte ja schon bei der Entwicklung
des GAS Pate gestanden.
Zählt man alle Ziele der BaDo zusammen und berechnet, wie häufig sie erreicht wurden, ergibt sich Folgendes:
bewertet von
Patienten
Therapeut
Angaben in %
entfallen
0
3
nicht erreicht
20
35
teilw. erreicht
52
48
erreicht
20
14
mehr als erreicht
8
0
Leider habe ich keine Vergleichsdaten aus ambulanter PT; im
stationär-psychosomatischen Bereich fanden Heuft et al. (2000) in der
Essener Klinik bei 1323 Zielen von 349 Patienten ganz ähnliche Werte.
Die Therapeuten äußern sich jedoch positiver: nicht erreicht 17%,
erreicht 34 % - ein Beleg für meinen zu großen Ehrgeiz ?
Die entsprechende Aufstellung der Ergebnisse meiner 35 GAS-Skalen sämtlicher 12 Pat. spricht dagegen:
viel weniger als erwartet
0%
weniger als erwartet
10
%
wie erwartet
62
%
mehr als erwartet
14%
viel mehr als erwartet
14
%
Anders, als in den Voruntersuchungen zum GAS (Dahling, a.a.O. S. 84 ff.), sind meine Erwartungen hier realistischer.
Bezug: 3 P mit kompletten Datensätzen und Zustimmungserklärung
ERLÄUTERUNGEN: * PBaDoZielerreichung = Patienten-Therapieziele n.
BaDo; TBaDoZielerreichung = Therapeuten-Therapieziele nach BaDo; mGAS
arithmetisches Mittel der Rohwerte der goal-attainment-Skalen
# : P, die einen verabredeten Termin ausfallen ließen und sich nicht
mehr meldeten, habe ich erst angeschrieben, wenn die maximal erlaubte
Unterbrechung von 6 Monaten auszulaufen drohte. War auch dieser Versuch
ohne Reaktion geblieben, habe ich nach Ablaufen der 6-Monatsfrist
angefragt, ob ich die Fragebögen zur Nachuntersuchung nach Hause
schicken darf.
z.B. Patientin 3:
Mittlere PBaDoZielerreichung* = 3,3 (3= erreicht, 4 = mehr erreicht als das Ziel ! cave: 7 Monate
nachdem sie die Therapie abbrach #); TBaDoZielerreichung* = 2 (teilweise erreicht), mGAS* =
4.0 (3= wie erwartet, 4= etwas mehr als erwartet).
T ist in den GAS-Prognosen realistischer als in BaDo; das
GAS-Ergebnis wird validiert durch GAF-Anstieg von 45 auf 60 (0=
schwerstkrank, 100 =kerngesund), durch CGI= viel besser und P's
Angaben , es sei das seelische Befinden und das allgemein seelische
Wohlbefinden deutlich gebessert (PBaDo).
Fazit: leichte Überlegenheit von GAS.
z.B. Patientin 5:
gibt in PBaDoZielerreichung * im Mittel 1.4 an (1= nicht erreicht, 2=
teilw.), TBaDoZielerreichung * hingegen ist im Mittel mit 2.3 viel
besser, aber mGAS* mit 3,5 überstrahlt alles: Des Rätsels Lösung ist
die besonders zurückhaltende Prognose bei GAS. Die Validität dieses
Urteils könnte in P's Angaben zu finden sein, es sei das seelische
Befinden und das allg. seel. Wohlbefinden etwas gebessert; auch GAF ist
von 35 auf 45 gestiegen und der CGI-Veränderungswert nur wenig besser.
Einen GAS-Wert 5 erreicht P mit dem teilweise erfolgreichen Coping von
Trauma-states; nach meiner Erinnerung hat sie da wirklich weit mehr als
erwartet gelernt.
Fazit: Überlegenheit von GAS.
z.B. Patientin 8:
Mittlerer PBaDoZielerreichung = 2.0 , TBaDoZielerreichung = 1.7 ; mGAS = 3.0.
In diesem GAS wird die Verhütung einer Verschlimmerung als Ziel
abgebildet und mehr oder weniger erreicht. Ein GAF-Absinken von 60 auf
50, CGI = unverändert und P's Fragebogen- Angaben , es sei das seelische Befinden etwas gebessert,
das allgemeine seelische Wohlbefinden jedoch etwas verschlechtert- alle
diese Ratings geben ein widersprüchliches Bild.
An diesem Beispiel ist gut zu erkennen, was allgemeiner Konsens ist,
daß GAS allein keine ausreichende Beurteilung eines Therapie-
Ergebnisses gestattet, es ist zwingend auf mindestens 1 nomothetisches
Verfahren angewiesen
Fazit: Erst die Langtexte von BaDo/GAS legen offen, welchen schweren
Verlauf diese Kranke hinter sich hat. Mißerfolg in GAF, CGI = unverändert, geringer
Teilerfolg in BaDo , erwartetes Ergebnis in GAS und Gegensätze in der
Selbsteinschätzung der P: Wenn tatsächlich die Prognose stimmt, daß nur
die Verhütung einer Verschlimmerung erreichbar ist, dann bestätigen die prognosebezogenen Erfolgsmaße GAS und BaDo die
Validität des Patienten-Urteils.
2.31b qualitativer Vergleich BaDo/GAS bei den übrigen Patienten: ist die Prognose realistisch ?
Patient 1:
Skalenvergleich GAS/ BaDo: z.T. GAS realistischer. Im GAS fehlen die wichtigsten Details zur beruflichen Ätiologie ganz.
Patient 2:
z.T. erheblich realistischeres und eindeutiger überprüfbareres GAS
Patient 3:
GAS realistischer überwiegend. Allerdings wäre der mGAS-Wert von 3.0
irreführend, wenn er ohne einen Blick auf die Skaleninhalte gelesen
würde: Ich konnte fast nirgends eine positive Entwicklung erwarten; die
Behandlung wurde bei sehr großem Leidensdruck trotzdem begonnen, um
nichts unversucht zu lassen.
Patient 4:
GAS etwas zu pessimistisch.
Patientin 1:
Skalenvergleich GAS/ BaDo: beide sind in Erwartung einer längeren
Therapie angesichts deren frühen Abbruchs gleicherweise zu optimistisch.
Patientin 2:
z.T. ist GAS realistischer, im Vergleich zu PBaDo-Zielerreichung viel realistischer.
Patientin 4:
GAS ist in 2 Skalen etwas, in 2 Skalen viel zu pessimistisch.
Patientin 6:
z.T. deutlich realistischeres GAS, z.T. zu pessimistisch. Wenn ich
wie oben unter 2.31a GAS bzw PBaDo-Zielerreichung an den übrigen
Erfolgskriterien zu validieren versuche, dann ist BaDo überlegen einem
GAS, das in 2 Skalen „Verhütung einer Verschlimmerung“ erwartet, in
einer „leichte Symptombesserung“, in einer „vz. kleine Fortschritte“.
Aber überlagert die von mir nie verifizierte Vor-Diagnose
„X“ nicht die ganze Evaluation, zumal etwa zur Zeit des
Ratings ( ca ½ J nach der letzten Std.) mir auffälliges Verhalten der P zu
Ohren kam ? Stigmatisiere
ich P ? Wie oft haben mich die schönsten
Hoffnungen bei Kranken mit dieser Diagnose bitter enttäuscht ! "Oh, wer
noch hoffen kann, aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen" !!
Patientin 7:
Nur 2 GAS-Skalen erstellt (statt der empfohlenen 3-5), ebenso bei TBaDo; die GAS erscheinen deutlich realistischer.
Fazit
Überwiegend fallen die GAS Skalen realistischer aus (7x), erweisen
sich aber mehrfach (3x) auch als anfällig für Pessimismus des T; 2x ist
der Skalenvergleich unentschieden. Die Prognose war 3x derart zu
optimistisch, dass im Nachhinein gesehen gar keine
Psychotherapie-Indikation hätte gestellt werden sollen (Patientinnen 1
u. 7 und Patient 1). Die Prognose war bei weiteren 6 Pat. zu
optimistisch, sodass bei 75% GAS und Psy-BaDo als Messinstrumente, da
prognoseabhängig, schwer kompromittiert sind.
Unabhängig davon ist bei 10 Patienten (83%) ein
Gegenübertragungsgeschehen von einer Stärke zu beobachten, das geeignet
ist, die Zielkonstruktion oder die Zielbewertung zu verzerren, das
betrifft Psy-BaDo wie GAS gleichermaßen. In meiner Voruntersuchung an
Hand der eigenen Routinepraxis (vgl. oben Abschnitt 05) war mir das nur
bei 30% aufgefallen, was mit der wesentlich umfangreicheren Reflektion
der 12 Forschungsfälle erklärt werden könnte. Insgesamt bestätigt sich
so die Literatur zur Gegenübertragung, deren Bedeutung für die
Evaluation mittels individueller Therapieziele aber meines Wissens
hiermit erstmals semiquantitativ geschätzt wird. Sollte sich das
Ergebnis bestätigen, müsste es sehr ernste Zweifel an der Objektivität
von Therapeuten-Urteilen über den Therapieerfolg wecken, nicht nur bez.
GAS.
2.32 Fortsetzung quantitativer Vergleich BaDo / GAS
mTBaDoZielerreichung* = 1.8 (zwischen 1= nicht erreicht und 2= teilweise)
mPBaDoZielerreichung# = 2.6 ( zwischen teilweise und erreicht)
mGAS = 3.3 ( zwischen 3= wie erwartet und 4= mehr als erw.)
Die auffällig schlechtere Bewertung des Erfolgs durch T liegt wohl
v.a. an meinen weitgehenden Zielen struktureller Verbesserung, die nur
z.T. erreicht werden, während P fast nur auf Symptome schauten. Die
Skalen selbst erscheinen valide.
Ausnahmen:
Patientin 1 hätte bei Ausnutzen aller 5 prob. Std. vermutlich eine schlechtere Prognose oder gar keine Indikation bekommen.
Patientin 5 war zu Beginn beim Formulieren der
BaDoZielerreichung-Ziele ganz auf Hilfe angewiesen, in einem hoch
verzweifelten Jammer; vielleicht wirken die Angaben deshalb z.T. etwas
karg und inadäquat.
Patient 4 hat in der GAS-Skala „strukturelle Störung“
ein mehr als erwartetes Ergebnis, weil er „einzelne Bsp. nur leichter
oder fehlender Störung der Ich-Funktionen [der Verbalisierungsfähigkeit
etc.] aufwies; aber hatte ich zu Beginn diese Fähigkeiten ev.
übersehen, so erschüttert, wie ich von dem schockierenden Bericht über
seinen Schicksalsschlag war ? Jedenfalls habe ich bei den
Verlaufserhebungen zum GAS keine Skalen so öd und leer gelassen, wie
seine !
2.33 Wie wirkte sich die Auswahl der P nach sozialpsychiatrischen Vollversorgungsansprüchen aus ?
Bei den Patienten 1, 3 und 4 sowie den Patientinnen 1, 2 und 7 wäre
nach Standardkriterien keine Indikation gestellt worden. Bis auf
Patientin 1 sind alle gebessert (Therapeutenrating global am Ende der
PT), wenngleich Patient 3 nur leicht; Patient 1 jedoch deutlich. Diese
Ergebnisse sind bis auf Patient 1 alle weniger als erwartet, wurden
dafür in unvergleichlich kürzerer Stundenzahl erreicht ( 14.5 / 67.6
Stunden), was am Überwiegen derer liegen dürfte, die der PT fernblieben.
2.4 Einige Aspekte der qualitativen Auswertung
Forschungsfrage A2:
Der Vergleich der GAS-Skalen des einzelnen Pat. im Verlauf der ca
alle 5 Std. erfolgenden Aktualisierungen und die Beantwortung der Frage
nach ev. Zieländerungen führt zu folgenden Ergebnissen (Bezug= 8 Pat. mit kompletten Datensätzen):
Patientin 1: o.B.
Patientin 3: 9 Zieländerungen an 11 Messpunkten, davon 4 nach
der 82. Std. (in der P von aushaltbarer aber deutlicher Angst bei 1.
Exposition in einer realen Angstsituation berichtete, die nach einer
erfreulichen Begebenheit „abgeflossen“ sei - sodass ich hoffte, eine
Katharsis durch ritualisierte Aggression mit ihr entwickeln zu können.
Jedenfalls warne ich mich in der GAS-Reflektion vor zu großem Ehrgeiz;
ich hatte gesagt, andere P brauchten 280 Std. für ihr Pensum.
Patientin 4: 13 Änderungen bei 15 Messpunkten; v.a.
Selbsthilfe-Ziele bei wachsender Ich-Stärke, einmal Rückschritt, einmal
Fortschritt auf der Symptomskala.
Patientin 5: neue Skalen „Kontakte“ u. „Symptome“ spät im
Therapie-Verlauf; 10 Zieländerungen bei 13 Messpunkten ( "zu krank",
"nicht satt zu kriegen"; "100 Std. LZT = zu geringes Stundenkontingent").
Patientin 6: P besucht zum Ende der PT ein berufsbezogenes Coaching, eine gute Ergänzung. Auf der Skale „Symptome/Berufsstress“
zunächst leichte Besserung erwartet, dann lange „keine Verschlimmerung“,
erst zum Schluss vorsichtig optimistisch. Nach 13. Std. wird in der
Skala“Abgrenzung von X“ die Messlatte deutlich zurückgenommen, was
„mehr als erwartet“ sei.
Patientin 8: Wegen erheblicher Zunahme des
Jobstress will P nach 21. Std. abbrechen, lässt nur ½ jährl Termine
anschließend zu, um dann zu beenden. Kurz vorher war noch neues Ziel f.
Traumaarbeit aufgetaucht, aber nicht konkret verabredet.
Patient 3: o.B. Patient 4: Neue Skala „Strukturelle Störung“ nach 11. Std..
Notiz W.B. nach 21. Std.:“implizit große Ziele aufgegeben, stützende
Gespr. mit Problemfokus, keine Indikation !“
Fazit:
- BaDo-Ziele, die ja in den ersten Std. aufzustellen sind, decken eindeutig nicht das Spektrum aller relevanten Ziele ab.
- Prognosen wechseln im Verlauf mehrfach, Ziele kommen und gehen:
damit gibt es kein wissenschaftliches Messen, es geht zu, wie an der
Börse.
5.1 Diskussion:
Die wichtigsten Reflektionen zu GAS aus den Protokollen während der Datensammlung/ -auswertung:
Für indiv. Therapieziele spricht, daß z.B. im Sport Kreis-und
Bundesliga, Frauen, Alte und Behinderte etc. ihre eigenen Maßstäbe von
Erfolg haben, auch wenn die Spielregeln gleich sind.
Weil ich schon als junger Assistenzarzt so oft den roten Faden erst
beim Verfassen der Epikrise wieder gesehen hatte, war ich für GAS.
Die 100. Therapiestd. gibt so wenig wie die 1. eindeutige Klarheit,
was realistische Ziele sind. (ob derlei Ziele erreicht sind, ist meist
weniger schwer einzuschätzen.)
Als zuletzt die aktuellen ökonomischen Großkrisen von fast allen
exzellenten Analysten nicht vorhergesehen wurden (Nassim Nicholas Talebs „schwarzer Schwan“, 2007) bestätigte sich ein uraltes Wissen: Interesse kann
alle Erkenntnis verblenden. So darf ich natürlich auch beim Thema GAS nicht überrascht sein, von meinen Interessen als
Kleinunternehmer oder Restneurotiker z.B. genarrt zu werden.
Die anhaltenden Schwierigkeiten , auch intellektuell beweglichen
Kollegen die Frage nach der Angemessenheit welcher Zielerwartung
verständlich zu machen spricht doch sehr gegen die Brauchbarkeit dieses
Instruments im Alltag.
GAS will den P. helfen, das utopische Moment in ihrem Leben zu
ergreifen- da darf ich auf dem Gebiet für mich selbst ein maximales
Training nicht versäumen ! Der das am 13.2.06 schrieb, muss heute
beschämt feststellen: „So griff ich nach den Sternen“...
Lange Zeit hatte ich als Generalnenner der Soziogenese die
„Maßlosigkeit der Mächtigen“ vermutet. Das ist stark verkürzt,
individuumzentriert und undialektisch. In ihrer Interaktion sind
Ohnmacht und Macht gleich wichtig. Man reduziere nicht die Ätiologie von
Zielvernebelung, Zielverfehlung, nicht die Hemmung der Mittel (zur
Zielerreichung), ihre Zerstörung, ihren Entzug etc. auf eine Ebene des
Sozialen !
Ich will die kritische und historische Analyse des Versorgungssystems
und die Wissenschaftsgeschichte der Psycho-Fächer nutzen: Das ätiolog.
Modell jedes Falls ist als systemische Analyse der Machtspiele von P,
Angehörigen, T und Umfeld anzulegen, daraus die Prognose und die
Erfolgskriterien abzuleiten ! Der das am 23.11.05 schrieb, muss heute
beschämt feststellen: „So griff ich nach den Sternen“...
p.s. 29.7.13: Heute Rücktritt Platzecks, weil 80 Wochenstd. mit
Schlaganfall nicht zu schaffen; vorgestern Zabels Dopinggeständnis:
leben wir in einer kollektiven Ralley zur Grandiosität ? Mein Griff nach
den Sternen, nach dem Zauberelixier muss neben aller individuellen u.
familiären Genese vor diesem historischen Kontext verstanden werden: die
Conditio humana ist den Verwertungszwängen, der Gipfelstürmerei
des Spätkapitalismus immer weniger gewachsen.
Ist die stillschweigende „Verurteilung“ zu einer schlechten
Prognose, die P. nicht kennt, ein Sprengsatz, der die wissenschaftliche
Aufarbeitung des Sumpfes GAS verbietet? Ja, am Beispiel der Patientin 5
hat sogar meine unbedachte Offenlegung einer gebesserten Prognose
(Gegenübertragung als grausamer Vater) ihre Angst mobilisiert, die Rente
zu verlieren. Um wieviel stärker würde der Verzicht auf das
paternalistische Schweigen des T. zur schlechten Prognose sich auswirken
!
Das GAS-Ideal von frei durch P vorgegebenen Zielen (
vs vom
Forscher-Therapeuten im stillen Kämmerlein gesetzten Zielen) wird
in dieser Studie durch die Psy-BaDo- Ziele erfüllt, die P vorgibt; die
Psy-BaDo-Therapeutenziele und GAS-Ziele habe ich tatsächlich erst
daran
anschließend für mich notiert. Das Thema z.B. unrealistischer
Hoffnungen
auf Wunderheilung habe ich nicht als Forscher standardisiert in
jedem
Fall sondern als T. nach Bedarf angesprochen.
Aus dem Verlauf der eigenen Störungen ist das unentwirrbare
Zusammenspiel von Zufall, Umfeld, therapeutischer Hilfe und eigenem
Versagen / eigenem Verdienst evident; outcome und life-event sind
begrifflich nicht zu trennen: Ich treffe das Ziel, weil ich alle Kraft
anstrenge / Das Ziel fällt mir zu, so wie es morgen dir zufällt.
Die Ziele der abwesenden Dritten ("böse" Gatten etc.) müssen
einbezogen werden. ( Bauriedel „Beziehungsanalyse“) Der das einst schrieb,
muss heute beschämt feststellen: „So griff ich nach den Sternen“...
Die Fehler der P. beim Erinnern und die Fehler von P und T beim
Einschätzen der objektiven (?) Chancen der Lebenslage sind so groß, das
der Versuch scheitern muss, das individuell Mögliche zu vermessen. (Das
gilt aber genauso auch für die „inneren“ Möglichkeiten von P und T !)
Therapieziele sind keine Beobachtungsdaten i.S. der
Naturwissenschaft. Es sind geisteswissenschaftlich zu interpretierende
Palimpseste mit unendlich vielen Bedeutungsschichten aus den jeweiligen ,
auch den ubw. Geschichten von P und T. Aber man fange bei „Geschichte“
ja zu suchen an noch vor dem „panta rhei“ und dem „Krieg als Vater
aller Dinge“! Man nehme auch die therapeutische Dyade als „soziale
Skulptur“ in den Blick. Andererseits: Wer derart die Fragestellung
entgrenzt, fabriziert der nicht zusätzliche „Unergründlichkeit“ ? Aber,
wer Plessner wirklich ernst nehmen will, darf nicht zurück zum
naturwissenschaftlichen medizinischen Modell !
Eine Prognose für den Einzelfall kann kein wissenschaftliches Datum
für statistische Untersuchungen sein: Die im statistischen Vorgehen implizite Fiktion von unendlich Vielen
in gleicher Lage ist ebenso unglaubwürdig, wie die von den unendlichen
Wiederholungen des Experiments bei konstanten Bedingungen.
Von den Details der GAS-Skalen getrennt, sind die Zahlen ein Popanz,
für die Verrechnung mit anderen Erfolgsmaßen ungeeignet . Der Abstand
von „Wie erwartet“ zu „Weniger als erwartet“ ist zwar 1 im GAS. Aber 1
wäre auch der Abstand von „Etwas gebessert“ zu „Unverändert“ und so
weiter auch über alle Vergleiche der nomothetischen Skalen
untereinander. Wo 1 nicht 1 ist, wird's unberechenbarer „Schwulst“ !
Der Vergleich von GAS- mit BaDo-Zielen muss an Hand der Texte erfolgen,
die Zahlenwerte sind reinstes Blendwerk ! (vgl. oben, 2.31)
So, wie die Sehnsucht der Psychologie, eine geachtete Wissenschaft zu
werden, sie in das Labyrinth der quantifizierenden Verfahren lockte (
Michell 1990), so lockte meine Sehnsucht, ein geachteter Wissenschaftler
zu werden, mich in das Labyrinth des GAS: “Leben ist ein Hauch nur - ein
verhallnder Sang - ein entwallnder Rauch nur...“ (De la Motte Fouque ).
Die vermeintlichen „Fakten“ werden durch widersprüchliche Bedeutungen
in ihr Gegenteil verkehrt: Die Indikation zur Probebehandlung beim
Patienten 3 trotz schwerer Bedenken meinerseits ist mein Fehler/ seine
Chance:
Mein Ideal „Armenarzt“ ist Symptom meiner Restneurose / gibt den
sonst Abgelehnten (z.B. der Patientin 5 oder 1) eine Chance, ist mein
politisches Ideal.
Mein „Nicht-Nein-Sagen-Können“ (Psychotherapie-Indikation verneinen)
ist Restneurose / nimmt den Therapie-Wunsch des Kranken ernst,
rebelliert gegen die Konvention, ist meine progressive Identität. Also
auch hier wieder: Keine eindeutige Zahl zuzuordnen. Da allzu oft auch
das Gegenteil einer Aussage wahr ist, verbietet sich die Verarbeitung
solcher Beobachtungen mit den Mitteln der positivistischen Empirie.
Vgl. Schweizer, 2006: Alle Versuche, Bedeutung durch Reduktion auf
Daten berechenbar zu machen, seien gescheitert; er habe als Theologe
vergeblich die PC-gestützte Textanalyse der Josefsgeschichte
unternommen.
++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++
ANMERKUNG 3/2023: Vorstehende schwerste und fast unüberwindliche Einwände gegen GAS müssen ergänzt werden:
Devereux hatte in anderem Zusammenhang behauptet, der Behaviorismus sei mit der Feststellung erledigt, “...verhaltenswissenschaftliche Daten erregen Ängste, die durch eine von der Gegenübertragung inspirierte Pseudomethodologie abgewehrt werden. Dieses Manöver ist für fast alle Mängel der Verhaltenswissenschaft verantwortlich.” a.a.O. S. 18). Zu den Ursachen dieser Ängste gab der Ethnologe und Psychoanalytiker als Beispiel einen Feldforscher, der einen Stamm untersucht, wo es die Sohnespflicht gebiete, die alten Eltern zu töten, während der Feldforscher daheim seine alten Eltern von seinem schmalen Einkommen unterstützen muss. Generell sah er mit Freud den “Narzißmus der kleinen Differenz” als Quelle genannter Ängste, der dazu verleite, unvertraute Ansichten und Praktiken als Kritik der eigenen zu erleben und darauf negativ zu reagieren. Außerdem werde Angst durch Material erregt, das die grundsätzliche Verwundbarkeit aller anrührt oder individuelle wunden Stellen. (a.a.O. S. 67f: Devereux G: Angst und Methode in den Verhaltenswissenschaften. Suhrkamp, Frankfurt/M 1988, 2. Aufl.; engl. Erstausgabe 1967) Das Ausmaß des Realitätsverlusts und der interessegeleiteten Emotionalisierung
in Zeiten der Coronakrise und des Ukrainekrieges geben Devereux eine fulminante Aktualität.
Die Gegenübertragung und den „Narzißmus der kleinen Differenz“ als ubiquitäre Fehlerteufel auch im Alltag des Goal-attainment-scaling einzukalkulieren klingt plausibel – ob noch viel von den Segnungen dieser Methode nach Abzug solcher Mess- und anderer Fehler übrigbleibt, nicht zuletzt beim GAS in der Teambesprechung, scheint mir inzwischen ungewiss.
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Selbstverständlich ist in der biografischen Katastrophe bestenfalls
Notfallhilfe möglich. Dann kann auch keine Zeit für GAS sein. Das
Verfahren kann nur außerhalb der Katastrophenzeiten angewendet werden. P mit
„katastrophalen“ Verlaufsstrecken: Patient 1, 3 u. 4; Patientin 2, 4 u. 5
(= 6/12). Wenn bei der Hälfte streckenweise nur Krisenintervention
möglich war, die methodischen Spielregeln von GAS gar keinen Platz
finden konnten, ist das auch ein ernstes Argument gegen GAS.
Nach Abschluss dieses Textes hat mich Abholz's (2013) Kritik an der
Verdrängung des Individuums aus der Medizin, zB. durch die „evidence
based medicine“ sehr stark motiviert, an individuellen Therapiezielen
festzuhalten.
5.2 Wie könnte GAS verbessert werden ? Ein Brainstorming
entlang der Osborn'schen Checkliste
1.
Die Arbeitszeit, die in diesem Forschungsprojekt steckt, erbrächte
als externe 1:1 Supervision meiner Gegenübertragungsprobleme eine
wirkliche Qualitätssteigerung. Dazu ist es aus persönlichen Gründen
leider nicht gekommen. Also ist ein Forschungsprojekt mit den vielen
Reflektionen über die Stunden das beste, was mir einfallen konnte ?
2.
„Qualitätssicherung“ ist makrosozial v.a. ein politisches Manöver zur
Bemäntelung konservativen Sozialabbaus: Die daran verschwendete Zeit
wäre besser der echten Fortbildung oder dem politischen Kampf gegen
Sozialabbau gewidmet.
3.
Die Patienten fantasieren lassen, wie sie als Gesunde leben würden,
was sie heute als ersten Schritt auf dies Ziel hin tun wollen.
4.
Externer Coach, der nach Kenntnis von P und Material die Ziele revidiert und hilft ggf. sogar die Indikation zu streichen.
5.
Alles GAS abräumen, abräumen ! Ganz und gar, sofort !
6.
Für das Forschungsprojekt hätte ich nur P annehmen sollen, die mit
anonymisierter Publikation kasuistischen Materials einverstanden gewesen
wären.
Könnte ich noch einmal in das Jahr 1983 zurückgehen, ich hätte damals
besser die Anregung zur Beschäftigung mit GAS verwerfen sollen.
9.
Der Zwang zur Prognose, die Hauptfehlerquelle von GAS wird gänzlich
abgeschafft: Die Ziele des P werden direkt in eine GAS-Skala incl. „viel
mehr/ weniger als erstrebt“ transformiert.
10.
Nachuntersuchung 2 Jahre später obligat durch Externen vorher mit P als Aufnahmebedingung festlegen.
5.3 Schlussbetrachtung:
Unter 12 Pat. lässt sich bei den Patientinnen 3 und 8 feststellen, dass
GAS den nomothetischen Skalen CGI und z.T GAF überlegen ist.
2/12 falsche Bewertungen, das wäre genug für die Existenzberechtigung
von GAS. Tendenziell ist GAS den Psy-BaDo-Zielen überlegen. Der große
Aufwand, die vielen, vielen methodischen Probleme v.a. bei der Prognose
und vermittels der Gegenübertragung (sollten sie sich denn in einer
größeren Studie bestätigen) und der bislang fehlende Nachweis, dass GAS oder
Psy-BaDo den Nutzen der Patienten mehren, sprechen sehr gegen einen Routineeinsatz.
Sinnvoll wäre dennoch, die qualitative Frage nach der Bewertung des
Erfolgs angesichts der Prognose in zukünftige Methoden-Studien
einzubeziehen.