Goal Attainment Scaling
Goal Attainment Scaling
56 psychiatric patients in day-hospitals and 12 outpatients in psychotherapy have been evaluated by goal-attainment-scaling:
That method itself has been questioned and scrutinized.
 
 

Goal attainment scaling (GAS): Ein Pilotprojekt

Wolfgang Bolm

Vortrag am 3.2.1986 in der Nervenklinik der Freien Universität Berlin (FUB)


 

1. METHODE


In der Abteilung für Sozialpsychiatrie der FUB wurde zwischen dem 9.5. und dem 10.10.1983 für alle 22 Erst- und Wiederaufnahmen vom Aufnahmearzt (Verf.) zunächst ein vorläufiger Therapieplan notiert, der nach einem Vierteljahr Behandlungsdauer mit dem Therapeuten durchgesprochen und ergänzt wurde. Dieses zweistufige Verfahren wurde für das Pilotprojekt gewählt, weil bei schwer gestörten Patienten die zur Bestimmung von Therapiezielen erforderliche Information und die fremdanamnestischen Angaben oft erst nach längerer Zeit zur Verfügung stehen. Nach 3 Monaten wurden die Therapieziele gewichtet und der Therapieerfolg, die Mitarbeit des Patienten und ev. nötige Änderungen und Erweiterungen des Behandlungsplans festgehalten. (Der Therapieerfolg auf einer fünfstufigen Schätzskala, die Compliance auf einer vierstufigen Skala, s. Anlage) Abweichend vom klassischen GAS (Kiresuk und Sherman) wurde in dieser Pilotstudie versucht, auf die aufwendige Konstruktion von individuellen, prognoseabhängigen Skalen für jeden Zielbereich zu verzichten.


2. ERGEBNISSE


1.1 Die systematische Analyse der Behandlungspläne zeigte, dass in dem Oberbegriff "Behandlungsplan" drei ganz verschiedene Kategorien von Zielen verborgen liegen, die bei der weiteren Arbeit an dem Forschungsprojekt getrennt bewertet werden müssen:
Zielgruppe A: FRAGEN, die zum Verständnis der Probleme noch beantwortet werden müssen.
Zielgruppe B: Die therapeutischen SCHRITTE, die zur Lösung der Probleme getan werden sollen, z.B. Motivierung zur neuroleptischen Dauertherapie, Vermittlung eines beschützten Arbeitsplatzes, Bearbeiten einer Kontaktscheu in der ambulanten Gruppe etc.
Zielgruppe C: Die ERGEBNISSE, die nach Ablauf der Beobachtungszeit als individueller Maßstab für den Therapieerfolg dienen können: Z.B. Teilremission des paranoid-halluzinatorischen Syndroms, Pflegen der Wohnung, gelegentliche selbständige Besuche bei Mitpatienten etc.

1.2 Die Gewichtung der Therapieziele im Sinne des klassischen GAS erwies sich als methodisch fragwürdig, weil die Therapeuten Gewichte teils nach der Schwere der therapeutischen Aufgabe, teils nach dem Stellenwert des Problems für das Wohlbefinden des Patienten oder nach der Bedeutung für seine Umgebung bemaßen (vgl. die Kritik von Seaberg und Gillespie ). Eine leicht handhabbare eindeutige Operationalisierung des Gewichtens konnte also nicht erarbeitet werden. Die meisten der vergebenen Ziele erhielten das maximale Gewicht, zudem erschien bei nachträglicher Durchsicht der Gewichte die Differenzierung in mittleres und maximales Gewicht oft willkürlich. Deshalb wurde auf die Gewichtung in der weiteren Arbeit mit GAS verzichtet, wie es auch von Roecken empfohlen wird.

1.3 Die klinische Anwendung des GAS führt häufig zu fruchtbarer Klärung der nächsten Aufgaben von Therapeut und Team, ist ein hilfreiches Mittel der Supervision und gibt zugleich Anstöße zur Einbeziehung des Patienten in ein Arbeitsbündnis, soweit seine Störungen ihm das erlauben.
Die Vorgabe individuell bemessener Ziele ist bei chronisch Kranken ein gutes Mittel, denkbaren Riesenerwartungen von Patient oder Therapeut unter Berücksichtigung der Prognose gegenzusteuern oder einer Resignation vorzubeugen.

1.4 Das zweistufige Verfahren der Aufstellung von Therapiezielen erwies sich als wenig geeignet: Die vorläufigen Therapiepläne des Aufnahmearztes blieben- ohne Beteiligung des Teams als aussenstehendes "Messinstrument"- in der Hand des Forschers relativ abstrakt, so dass viele Möglichkeiten der Fokussierung der therapeutischen Teamarbeit auf die Ziele ungenutzt blieben. Ein Zeitraum von 3 Monaten bis zur gemeinsamen Besprechung von Zielen schien zu lang, weil 7 der 22 Patienten schon vor diesem Zeitpunkt entlassen wurden.

1.5 Die Globalbewertung der Ergebnisse zeigte, dass 54% der beabsichtigten therapeutischen Schritte teilweise oder ganz getan werden konnten. Der hohe Anteil von 46% nicht erledigter therapeutischer Aufgaben entspricht ähnlich schlechten Compliance-Werten der Patienten und wirft ein Licht auf die Enttäuschungen, denen der Optimismus von Therapeuten und z.T auch der Patienten standzuhalten hatte. Andererseits ist erfreulich, dass trotz der schwierigen Klientel 58% der angestrebten Behandlungsergebnisse teilweise oder ganz erreicht werden konnten. Die Einschätzung von Nullresultaten, teilweisen Misserfolgen und teilweisen Erfolgen erschien jedoch gelegentlich willkürlich, wenn keine präzise beschriebene Ausgangssituation und abgestufte Vorgaben über das individuelle Therapieziel vorlagen. Deshalb wurde bei der Hauptstudie die fünfstufige GAS-Skala zur Schätzung des Therapieerfolgs eingeführt.

1.6 Bei der Nachbesprechung nach einem Vierteljahr stellte sich heraus, dass bei 10 von 22 Patienten in der Zwischenzeit die Therapieziele geändert werden mussten. Darunter waren viermal die angezielten therapeutischen Schritte zu schwierig, achtmal konnten zusätzliche oder weitergehende Schritte oder Ergebnisse angestrebt werden. Wider Erwarten mussten die Therapieschritte und -ziele insgesamt relativ selten geändert werden, so dass eine Festlegung der Therapiepläne nach 14 Tagen im Hauptprojekt durchgeführt werden konnte.

1.7 Bei 13 Patienten implizierte das erstrebte Ziel die Hinnahme einer teilweisen, bei 7 Patienten die Hinnahme einer erheblichen Behinderung. Damit ist evident, dass es für den praktisch-therapeutischen Umgang mit den Hoffnungen und Wünschen der Patienten im negativen Sinne utopisch wäre, an der völligen Gesundung als mittelfristigem Ziel festzuhalten. Die Verwendung prognosebezogener individueller Ziele ist also bei fast allen Patienten auch aus diesem Grunde gerechtfertigt, man könnte sagen, als Schutz vor einem zu großen Rehabilitationsdruck.

Kommentar Nov. 1986: ...Rehabilitationsdruck, der aus der Forschung bei Verwendung normativer (für alle gleichen) Ziele auf die Therapie "durchschlagen" könnte. Hauptargument:Wenn "krank bleiben", "nur halbgesund werden","Arbeit aufgeben","Rente beantragen","Kind weggeben" etc. relevante Ziele sind, ist die Messung am Maßstab völliger Gesundung schon auf völligen Messfehler vorprogrammiert. Also ist grade die Validität der nomothetischen Skalen wie CGI, BPRS, GAF in Frage zu stellen !

Kommentar Aug. 2015: Dieser Text verrät an einigen Stellen ein custodiales Modell: Die Patienten sollen zu den vom Therapeuten erkannten Ziel geführt werden, es tauchen keine Hinweise auf Ziele der Patienten auf, die dem Therapeuten als Auftrag erteilt werden, über die zu verhandeln wäre. Ich erinnere einen leitenden Mitarbeiter, dem als Ideal des sozialpsychiatrischen therapeutischen Milieus eine Struktur vorzuschweben schien, in dem wie der Kugel im Spielautomaten dem Patienten nichts übrig bleibt, als sich von einem therapeutischen Angebot zum nächsten der Genesung entgegen zu bewegen. Derlei Compliance fordernde, aber nicht genug Autonomie fördernde "Strukturen" begünstigen die Fortsetzung eines Machtkampfes, wie ihn viele Patienten bereits in ihren Herkunftsfamilien verloren hatten.


LITERATUR:


Kiresuk T J, Sherman R E. GAS: a general method for evaluating comprehensive community mental health programs. Community Ment health J 1979; 4 (6): 443-453
Roecken St: Goal attainment scaling. Eine Methode zur Evaluation psychotherapeutischer Maßnahmen. Freiburg i. Br.: Forschungsberichte des psychologischen Instituts der Albert-Ludwigs-Universität Nr. 14, 1984
Seaberg JR, Gillespie DF: GAS. A critique. Social Work Research and Abstracts 1977, 13 (2): 4-9


Anlage:

Erhebungsbogen : Therapieziele, Pilotstudie

Name:............................................... Therapeuten: Ac, Lis_______________Aufnahme: 7.9.1983

Ziel Nr.

 

Compliance Gewicht

Erfolg

Ziel 1 Im alten Beruf als Sekretärin tätig, zunächst Auffrischkurs (-) med 0
Ziel 2 Regelmäßige Teilnahme an der Tagesklinik + max +2
Ziel 3 Massive depressive Rückzugstendenzen mildern + max +2
         
         
         
 

Nachuntersuchung 8.12.1983

Therapeuten: Ac ................Pat. gesehen ? ja

     
Ziel 1 Teilzeitstelle (6 Std/Wo) als Familienhelferin finden   med  
Ziel 2 Lithium Dauertherapie halten   max  
Ziel 3 Langfristig Halbtagsstelle annehmen   med  
Ziel4 Beziehung zum Freund klären   med  
Ziel 5 Regelmäßig stützende Gespräche (etwa 1 / Monat)   med  
         

Compliance: - deutlich negativ, (-) eher negativ, (+) eher positiv, + deutlich positiv

Gewicht: minimal, medium, maximal

Erfolg: -2 wesentl. Mißerfolg, -1 geringer Mißerfolg, 0 unverändert, +1 geringer Erfolg, +2 wesentl. Erfolg

 

 
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