Goal Attainment Scaling
Goal Attainment Scaling
56 psychiatric patients in day-hospitals and 12 outpatients in psychotherapy have been evaluated by goal-attainment-scaling:
That method itself has been questioned and scrutinized.
 
 

Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) verweigert die Aussage, ob zum Schutz der psychischen Gesundheit bessere Arbeitsschutzregeln nötig sind. Eine Polemik.
The Federal Institute for Occupational Safety and Health (BAuA) refuses to state whether for the protection of psychic health better occupational safety regulations are necessary. A polemic.


 

Wolfgang Bolm
Unveröffentlichtes Manuskript; Bockenem-Hary, 2017

letzte Änderung 21.10.2018



Zusammenfassung


 

Wer die bisher besten Zusammenfassungen zur Frage beruflicher Verursachungen psychischer Störungen bewertet, kommt nicht um die peinliche Feststellung herum: Den Stand der Forschung muss man andernorts suchen, die BAuA verfehlt das Ziel wegen einer ungeeigneten Methode der Literaturselektion, wegen massiver arbeitgeberfreundlicher Tendenz in der Zusammenfassung ihrer eigenen Teilergebnisse , obendrein lehnt sie es schlicht ab, aus den reichlich dargestellten krankheitsfördernden Arbeitsbedingungen staatliche Regulierungen abzuleiten.
Schlüsselwörter: Psychosoziale Belastungen ,Arbeitsplatz , Psychische Störungen, Primärprävention

Abstract


 

After evaluating the best reviews on occupational psychiatry , it is embarrassing to find, that the state of art concerning this field must be looked for elsewhere. BAuA misses the target by choosing an unapt method of selecting literature, by strongly summarizing their own subresults in a pro employer tendency and after all, they simply refuse to deduce federal regulations from unhealthy working conditions, they amply display.
Key words: Psychosocial stress, Workplace , Mental disorders, Primary prevention

 


 

Es scheint ein großartiger Fortschritt, wenn eine Regierungsbehörde den wissenschaftlichen Forschungsstand zu beruflichen Ursachen seelischer Störungen ermitteln will. So spricht die Studie (Rothe et al. 2017) von "psychischer Gesundheit in der Arbeitswelt", scheinbar auf der Höhe der Zeit, von "mental health" und Salutogenese. Der "BAuA-Bericht" zum Forschungsprojekt F 2353 bündelt 25 "Scoping Reviews" (die von der BAuA gewählte Methode der Literaturaufbereitung) von 48 AutorInnen. Ich will es wagen, aus einem derart facettenreichen Bild eine Gesamttendenz herauszulesen:
Mir drängt sich der Verdacht der Verwässerung der harten Krankheitsrisiken durch ausufernde Weite der Fragestellung auf, zumal bei dem "Scoping Review" für die Selektion der Studien, "methodische Merkmale (z.B. das Studiendesign, der Einsatz quantitativer Messverfahren) - im Unterschied zu systematischen Reviews- hier keine zentrale Bedeutung haben" (Rothe et al. p 15).
In der Zusammenfassung der Befunde wimmelt es jedoch von methodischen Bedenken, "gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse" (die der Arbeitnehmervertretung erlauben würden, Arbeitsschutz notfalls zu erzwingen) fehlen angeblich. Vielmehr wird wortreich begründet, dass die Zusammenhänge psychischer Störungen mit beruflichen Belastungen keinesfalls die Kriterien einer Berufskrankheit erfüllen, die Kausalität sei nicht bewiesen (Rothe et al, p 78 f, p 84).
Für den rasanten Anstieg der Berentungen und Krankschreibungen wegen psychischer Störungen (BPtK 2013) sei nicht ein Anstieg der wirklichen Häufigkeit dieser Störungen verantwortlich, vielmehr ein Rattenschwanz verzerrender Scheingründe bis hin zur Flucht in die Rente und einer unangemessenen "Pathologisierung der Gesellschaft und damit auch der Belegschaften " . "Dass die durch den Wandel der Arbeit entstehenden Arbeitsanforderungen eine Leistungsfähigkeit verlangen, die nicht bei allen Beschäftigten gegeben ist", (Rothe et al. p 79f) bleibt eine Hypothese unter vielen.
Insgesamt steht ausweislich ihrer Ergebniszusammenfassungen die BAuA-Studie damit der Sicht von Sandrock und Stowasser (2014) vom arbeitgeberfinanzierten Institut für angewandte Arbeitswissenschaft (ifaa) recht nahe. Diese hatten die Feststellung von Angerer et al. über arbeitsbedingte psychische Störungen (s.u.) als hypothetisch bezeichnet, da nur objektive Untersuchungen der Arbeitsbedingungen als Grundlage von Prävention geeignet seien. Die BAuA-Studie bietet den konservativen Arbeitgebern jederzeit Argumente, sich auf good-will-Aktionen zu beschränken, den "Marktkräften" nicht mit Arbeitsschutz in den Arm zu fallen.
Haben aber nicht in jüngster Zeit namhafte Autoren begründet, dass das Risiko psychischer Erkrankungen handfest mit beruflichen Bedingungen zusammenhängt?
Brenner (2012) erklärt 82% der Varianz der Suizidraten in 27 hochindustrialisierten Ländern im Krisenjahr 2008 mit deren makroökonomischer Lage: Eine Querschnittstudie ohne direkte kausale Beweiskraft, wäre da nicht der Hinweis Brenners auf ähnliche, sehr lange Zeitreihen zu Suizidraten und hätte er nicht (seit 1979 auf Deutsch verfügbar !) auf der Grundlage von US-Daten der Jahre 1841-1967 einen Zusammenhang von Rezession und Zunahme psychiatrischer Hospitalisierungen nachgewiesen.

Schon 2013 heben Riedel-Heller et al. im sekundäranalytischen Blick auf -zig Längschnittstudien hervor, "dass erhöhte psychosoziale Belastungsfaktoren in der Arbeitswelt das Risiko für häufige psychische Störungen fast um das Doppelte erhöhen".

 


 

Ähnlich dezidiert fassen Angerer et al. (2014 ) ihre Übersicht zusammen:
"1. Wir haben gezeigt, dass definierte, messbare psychosoziale Belastungen des modernen Erwerbslebens mit einem statistisch erhöhten Risiko bei exponierten Beschäftigten einhergehen, an einer stressassoziierten Gesundheitsstörung zu erkranken. Diese Gesundheitsstörungen, die Angst- und depressive Störungen, kardiovaskuläre Krankheiten und muskuloskelettale Beschwerden sowie reproduktive Störungen umfassen, sind in der Erwerbsbevölkerung relativ weit verbreitet, auch bei älteren Erwerbstätigen.
2. Die quantitative Bedeutung statistischer Beziehungen zwischen Arbeitsbelastungen und Erkrankungswahrscheinlichkeit wird anhand von Odds Ratios bzw. relativen Risiken (im Vergleich zu nicht Exponierten) ermittelt. Bei den untersuchten Krankheiten liegt die Risikoerhöhung im Mittel in einem Bereich zwischen 40 und 80 %, mit beträchtlicher Streuung zwischen einzelnen Studien. Eine solche Risikoerhöhung wird in der Forschung als moderat bezeichnet. Sie gibt jedoch Anlass zu präventivem Handeln, wenn die Exposition vergleichsweise hoch ist. In einer Vielzahl der referierten Studien liegt die Häufigkeit krankheitswertiger psychosozialer Arbeitsbelastungen (gemäß den gemessenen Modellen) in einem Bereich von 20 bis 30 %. Somit ist etwa jede vierte beschäftigte Person von dem erwähnten Zusammenhang betroffen.
3. Jede der genannten Gesundheitsstörungen wird durch unterschiedliche weitere Bedingungen und Risikofaktoren verursacht. Arbeitsbelastungen stellen lediglich eine von mehreren Determinanten dar. Ihr Beitrag kann wiederum anhand statistischer Verfahren ermittelt werden (sog. attributable Risiken). Demnach kann für depressive Störungen je nach Population davon ausgegangen werden, dass rein rechnerisch bis zu 20 % aller Depressionen in der Erwerbsbevölkerung dem Einfluss psychosozialer Arbeitsbelastungen zuzurechnen sind. Beim akuten Herzinfarkt ist der Beitrag geringer; hier geht man (bei Männern) davon aus, dass etwa jeder zehnte Herzinfarkt auf die genannten Arbeitsbelastungen zurückzuführen ist, während bei Frauen das attributable Risiko geringer ist.
4. Da die ermittelten statistischen Beziehungen jeweils nur für ein spezifisches Arbeitsstressmodell und eine spezifische Krankheit gelten, wird deren quantitative Bedeutung in der Praxis unterschätzt. An manchen Arbeitsplätzen treten kumulierte psychosoziale Arbeitsbelastungen auf, und manche gesundheitlichen Störungen sind mit hoher Komorbidität assoziiert. Ferner sind in der Mehrzahl der referierten Studien Arbeitsbelastungen lediglich einmal (zu Beginn der Studie) gemessen worden. Bei wiederholter Expositionsmessung werden jedoch in der Regel auch höhere relative Erkrankungsrisiken nachgewiesen.
5. Die wissenschaftliche Beweiskraft der vorliegenden Befunde ist trotz der Heterogenität der Ergebnisse relativ schlüssig, zumindest im Bereich von Angst- und depressiven Störungen sowie von kardiovaskulären Erkrankungen. Die Studien sind prospektiv angelegt, die Zahl positiver Ergebnisse ist höher als die Zahl negativer Befunde. Häufig lassen sich Dosis-Wirkungs-Beziehungen nachweisen, und zu den unterstellten psychobiologischen Mechanismen liegen experimentelle Resultate vor. Die Ergebnisse beruhen auf einer Vielzahl von Untersuchungen bei unterschiedlichen Berufsgruppen und Erwerbssektoren, bei verschiedenen Altersgruppen, Männern und Frauen sowie in verschiedenen sozio-kulturellen und wirtschaftlichen Kontexten. Die empirische Basis ist damit ungewöhnlich breit gefächert.
6. Als wichtigste Schlussfolgerung lässt sich festhalten, dass die den genannten psychosozialen Arbeitsbelastungen zuzurechnende Krankheitslast im Prinzip vermeidbar ist."

 


 

Rau et al. (2015) fassen ihren methodenkritisch elaborierten systematischen Review zusammen: „Wenn man die Datenlage unabhängig von den speziellen Beziehungen zwischen bestimmten Arbeitsbelastungen und Krankheitsarten dahingehend bewertet, ob eine Arbeitsbelastung potentiell eine Gesundheitsgefährdung (egal für welche Erkrankung) darstellen kann und daher in Gefährdungsbeurteilungen analysiert und bewertet werden sollte, dann ergibt sich das folgende Bild. Gesundheitsgefährdend sind: hoher Job Strain (d. h. die Kombination von geringem Handlungsspielraum und hoher Arbeitsintensität), iso-strain (d. h. die Kombination von geringem Handlungsspielraum und hoher Arbeitsintensität bei gleichzeitig geringer sozialer Unterstützung), hohe Arbeitsintensität (Job demand), geringer Handlungsspielraum (Job control), Effort-Reward-Imbalance (Ungleichgewicht zwischen erlebter beruflich geforderter Leistung und dafür erhaltener Belohnung/Wertschätzung), Überstunden, Schichtarbeit (mit Einschränkungen, siehe unten), geringe soziale Unterstützung, Rollenstress, Bullying/aggressives Verhalten am Arbeitsplatz, Arbeitsplatzunsicherheit."

 


 

Siegrist (2015) hält es für eine sehr konservative Schätzung, dass jeder zehnte Beschäftigte von Arbeitsstress betroffen und sein Risiko stressbedingter Erkrankungen dadurch um 20-30% gesteigert werde.
Im Vergleich mit diesen hochangesehenen, auf dem Gebiet langjährig erfahrenen Experten kommt das Team der BAuA in seiner Ergebnis-Zusammenfassung über methodische Zweifel wenig hinaus:
Zum Themenfeld psychische Gesundheit: "Auch wenn die Befunde der Scoping Reviews demonstrieren, dass die Outcome-Variablen multiple Zusammenhänge und Interaktionen zu den Arbeitsbedingungsfaktoren aufweisen und damit die für die gezielte Ableitung von Gestaltungsmaßnahmen notwendige Spezifizität fehlt, kann ein geschulter Betriebsarzt im Einzelfall konkrete Ursachen erfragen. Hier spielt auch die Interaktion zwischen der individuellen Disposition und der beruflichen Belastung eine Rolle. Wenn auch umgekehrt die breite Wirkung der Arbeitsbedingungsfaktoren auf die Gesundheitsindikatoren die Gestaltungsmöglichkeiten vergrößert, so bleibt zu bedenken, dass aufgrund der vielfältigen Wechselwirkungen der Faktoren die Effektivität der Maßnahmen auch im Einzelfall ggf. nur schwer abzuschätzen ist."(Rothe et al. p. 78)
Im Kapitel "Zusammenfassende Aussagen zu Wirkungszusammenhängen und zur Evidenz" heißt es: "Wenngleich die Prävalenz psychischer Störungen insgesamt stabil ist, besteht aus arbeitsmedizinischer Perspektive Klärungsbedarf zum attributablen Risiko, d. h. zur Frage, in welchem Ausmaß Arbeitsbedingungen zu psychischen Störungen und Erkrankungen beitragen.Hier besteht Bedarf an qualitativ hochwertigen Längsschnittstudien als Voraussetzung für Interventionen zur Prävention von psychischer Gesundheit sowohl im engeren als auch im weiteren Sinn (d.h. von körperlichen Erkrankungen). Zu hinterfragen ist auch, welche Berufsgruppen besonders gefährdet sind." (Rothe et al. 2017, p.91)
Während der Arbeitsauftrag dieser wissenschaftlichen Standortbestimmung laut Koalitionsvertrag durchaus noch "Handlungsoptionen für notwendige Regulierungen" einschloss, verweigern sich die Autoren hier: "Ob und in welcher Weise die Systeme der Rechts- und Regelsetzung durch regulative Ergänzungen weiterzuentwickeln wären, wird in den vorliegenden Empfehlungen nicht beurteilt, sondern vielmehr dem weiteren politischen Diskurs überlassen."(Rothe et al. 2017, p 121).
Die folgenden umfangreichen Empfehlungen implizieren lediglich die Fortsetzung der laufenden, auf good-will der Arbeitgeber angewiesenen Projekte der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie, gefährden die weitere Arbeitsverdichtung etwa keineswegs: Die durchweg sozialpartnerschaftliche Diktion regt keine Auflagen für die Arbeitgeber an, die krankmachenden Strukturen zu ändern, sondern setzt auf vorsichtige Appelle, z.B. die Ressourcen der Gestressten zu verbessern etc. - und blendet die weitgehende Machtlosigkeit der Gewerkschaften aus.

 


 

Ergibt sich ein anderes Bild der BAuA-Studie auf der Ebene der Darstellung einzelner Stressoren?

Die Analyse des Arbeitsbedingungsfaktors "Traumatische Belastung" (etwa von Feuerwehrleuten im Katastropheneinsatz) wird im scoping review von Schöllgen und Schulz verkürzt auf die Frage, ob es gesicherte Erkenntnisse über wirksame Prävention gäbe (Abstract p 172 ff), der eventuelle gesundheitliche Schaden dieser Exposition selbst wird gar nicht im Licht der reichlich vorhandenen Literatur ausgeleuchtet (Review von Skogstad et al. 2013 und Metaanalyse von Berger et al. 2012, letztere Gruppe stellt eine Prävalenz der PTSD von 10% fest, viel höher als die der allgemeinen Bevölkerung). Insofern wird hier die wissenschaftliche Standortbestimmung, anders als bei den übrigen Arbeitsbedingungsfaktoren, völlig verfehlt.
Zur Gestaltung der Arbeitsaufgaben heisst es p. 33 f: "Für einzelne Faktoren lassen sich kritische Merkmalsausprägungen formulieren, die es zu vermeiden gilt, wenn beispielsweise die Menge an Aufgaben in der vorgegebenen Zeit bei einer festgelegten Qualität nicht zu erledigen ist oder während des gesamten Arbeitstages Störungen und Unterbrechungen möglich sind. Liegen kritische Ausprägungen eines Faktors vor, ist betrieblicher Handlungsbedarf gegeben." Da zahlreiche Befragungen von Beschäftigten offensichtlich eine grosse Häufigkeit dieses Handlungsbedarfs belegen (Literatur in BPtK 2013), sollte man erwarten, dass die BAuA dringliche Aktionen anmahnt: Fehlanzeige ! Zuerst seien viele weiter Forschungsfragen zu klären...
Im Anhang finde ich über die Evidenz zum Einfluss der Gerechtigkeit, gemessen mittels der Effort/Reward-Imbalance (ERI):..."weitgehend homogene Ergebnisse, die die Zusammenhänge... mit den outcomes bestätigen" und ..."belegen die hier dargestellten Ergebnisse zu ERI grundsätzlich einen Zusammenhang zwischen ERI und den betrachteten Erkrankungen mit Schwerpunkten auf Depression, Herz-Kreislauf- sowie Muskel-Skelett-Erkrankungen." (p 183f)
p 39 wird bestätigt, dass "sich diese Effekte auch in Längschnittuntersuchungen nachweisen lassen". Wer nun erwartet, auf dieser soliden Grundlage schritten die BAuA-Forscher zur Intervention, wird sogleich belehrt, auch dem ERI- Konstrukt sei "ein Anteil an subjektiver Verarbeitung der Arbeitssituation durch die Beschäftigten inhärent"..."Für den Arbeitsschutz ist das ERI-Konzept problematisch und von begrenztem Nutzen, da hier jeder- also auch ein möglicherweise kurz- oder langfristig zu hoher -Aufwand (Effort) durch eine als angemessen bewertete Belohnung (Reward) kompensierbar ist...". (p 40) Zur Begründung wird auf die BAuA-Forscherinnen Haupt, Backe und Latza (2016) verwiesen: Dort finde ich jedoch zu ERI Tabelle 10 (p 54) mit 7 prospektiven Studien, die moderate bis massive Verschlechterungen der psychischen Gesundheit belegen und in der Zusammenfassung steht: "Es liegen zahlreiche Reviews und Metaanalysen vor, die die Evidenz zum ERI-Modell belegen. Notwendig scheinen hier weitergehende Studien, um insbesondere im Rahmen von Interventionsstudien weitergehende Fragen zur Beeinflussbarkeit von ERI zu klären, um darüber Handlungswissen zu generieren" (p 60).
Bemerkenswertes Detail zur Interventionsabstinenz der BAuA-Studie: Unter den Empfehlungen zum Stressor "Führungsverhalten" lesen wir (Rothe et al. p 41):"Negatives Sozialverhalten wie destruktive Führung und Mobbing sind strikt zu vermeiden", als Ergebnis des folgenden Expertengesprächs wird daraus die viel weitergehende Formulierung:"Inakzeptable Verhaltensweisen wie Mobbing oder destruktive Führung sind zu vermeiden und zu sanktionieren" (p43), die aber mit der Überschrift als "Hinweise und Überlegungen" herabgestuft wird. Wiederum ist das im Anhang pp 174 ff aufgeführte Abstract des scoping-reviews von Montano, Reeske und Franke in seiner Schlussfolgerung arbeitnehmerfreundlicher:"-die strikte Vermeidung bzw. SANKTIONIERUNG (Hervorhebung: W.B.) sämtlicher Formen destruktiver Führung." Daraus sollte kein wissenschaftlich belegter Regulierungsbedarf folgen?

Diskussion


 

2012 fordert die IG-Metall eine Antistressverordnung, die der Sanktionsmöglichkeiten entkleidet von der Bundesratsmehrheit aufgegriffen wird (2013). Die Bundesregierung verweist auf die kommende Studie der BAuA (2014) - und die verweigert 2017 die Aussage, vorbei an der durchaus vorhandenen Evidenz. Das sind für die arbeitspsychiatrische Primärprävention 5 verlorene Jahre. Ein Schelm, der Böses dabei denkt!
Bei multifaktoriell entstandenen Krankheiten ist der Anteil beruflicher Ätiologie im Einzelfall nicht sicher festzustellen; bei einer Ein-Jahres-Prävalenz psychischer Störungen von 28-38% kann auch in epidemiologischen Studien der Anteil individueller ätiologischer Faktoren nur groß sein; mit dieser Banalität weiter den Ausschluss der Betroffenen vom Recht auf Minimierung beruflicher Zusatzrisiken zu betreiben, ist skandalös (Bolm 2016). Auch wenn die Neuerkrankungen durch Jobstress viel seltener sind als die Wiedererkrankungen, auch wenn ein Teil der psychisch Kranken mit Jobstress chronisch Kranke mit Präsentismus sind, deren Genesungschancen durch Arbeitsstress verringert werden: Das Vorsorgeprinzip macht für alle betriebliche Schutzmaßnahmen obligatorisch, sobald ein gesteigertes Risiko wahrscheinlich ist ! Die herrschende Arbeitgeberposition, analog zur Regelung der Berufskrankheiten erst zweifelsfrei belegte Kausalität als Voraussetzung für alle Arbeitsschutzauflagen i.S. vorgelagerter, primärpräventiver "Antistress"- Maßnahmen gelten zu lassen, spielt mit dem Feuer einer Wiederholung des Asbest-Dramas, der Lungenkrebs-Epidemie etc., hat bereits zu einem Massen-Exodus von psychisch Kranken aus der aktiven Erwerbsbevölkerung geführt- unter unser aller Augen. Selbstredend gilt für alle konservativen Forscher in diesem hochpolitischen Feld die Unschuldsvermutung. Sollte aber in Vergessenheit geraten sein, mit welchen Manipulationen und PR-Tricks die Pharma-Lobby (Angell, 2010), die Asbest-Lobby (JPC-SE,2012), die Zigaretten-Lobby, die Zucker-Lobby etc. (Oreskes u. Conway 2011 ,Union of concerned scientists 2017) die wissenschaftliche Community an der Nase herumgeführt haben- und im Fall der Arbeitspsychiatrie sollen wir weiter das Spiel von Hase und Igel mitmachen?
Selbst die in methodischen Fragen eher naive Kurz- Besprechung des BAuA-Forschungsberichts (Rothe et al. 2017) durch Scharnhorst (2017), die von "methodisch fundierten" Ergebnissen spricht, obwohl sie feststellen muss, "bei den Scoping-Reviews werden keine besonderen Anforderungen an die in den jeweiligen Studien verwendete Methodik gestellt", selbst sie kommt nicht umhin zu beklagen, dass die "Empfehlungen enttäuschend vage und unverbindlich bleiben".
Im selben Heft wird an Ludborzs' desillusionierender Abrechnung mit der Gemeinsamen deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) überdeutlich, dass die "Verfilzung von Politik und Wirtschaft" in den Gremien der GDA den Arbeitgebern eine Bühne für Widerstand gegen und Aushöhlung wirksamer Arbeitsschutzmaßnahmen gegen psychische Überforderung bietet, sodaß der Leiter des Hamburger Amtes für Arbeitsschutz und Vorsitzender der Nationalen Arbeitsschutzkonferenz Kregel sagte, "dass er bisher den Eindruck habe, dass nach der Maxime gehandelt werde, es müsse etwas geschehen, aber passieren dürfe nichts."
Die "Gemeinsame Erklärung psychische Gesundheit in der Arbeitswelt" von 2013 schließe aus, "dass psychologische Faktoren von Arbeit wesentlich Krankheit verursachen können". Wie ich bereits gezeigt habe, will die Ergebnis-Zusammenfassung von Rothe et al. 2017 diese Behauptung entgegen vielerlei Evidenz weiter glauben machen, deshalb keine weitergehende Regulierung fordern, also Fortsetzung der GDA als beste aller möglichen Arbeitsschutzwelten ? Ludborzs dazu: "Es gibt genügend Hinweise, dass es weitergehen könnte mit dem emsigen Stillstand."

Literatur


 

Marcia Angell : Pharmakonzerne und Ärzte: Geschichte einer Korruption. ZEITSCHRIFT für psychoanalytische Theorie und Praxis, Jahrgang XXV, 2010, 1/2 , pp 139 ff

Peter Angerer, Karin Siegrist, Harald Gündel : Psychosoziale Arbeitsbelastungen und Erkrankungsrisiken. In: Seiler, K.; Jansing, P.-J. (Hg): Erkrankungsrisiken durch arbeitsbedingte psychische Belastung. transfer 4. Landesinstitut für Arbeitsgestaltung des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2014, 30 -169

Berger W, Coutinho E, Figueira I, Marques-Portella C, Luz M, Neylan Th, Marmar Ch, Mendlowicz M: Rescuers at risk: A systematic review and meta-regression analysis of the worldwide current prevalence and correlates of PTSD in rescue workers. Soc Psychiatry Psychiatr Epidemiol 2012 ; 47(6): 1001-1011

Bolm W: Retrospektive Begutachtung einer Serie von 87 Psychotherapiepatienten: war ihre Störung beruflich bedingt ? Zentralblatt für Arbeitsmedizin, Arbeitsschutz und Ergonomie 2016; 66 (6), 352-56

BPtK-Studie zur Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit. Psychische Erkrankungen und gesundheitsbedingte Frühverrentung 2013; Bundespsychotherapeutenkammer, Berlin

M H Brenner: Profound unhappiness in the international recession. The case of suicide in industrialized countries. In: LR Klein, Dalko V, Wang MH (Eds.): Regulating competition in stock markets; antitrust measures to promote fairness and transparency through investor protection and crisis prevention. Wiley, Hoboken NJ, 2012, p. 27 ff.

Brenner M H (1979) Wirtschaftskrisen, Arbeitslosigkeit und psychische Erkrankung. Urban & Schwarzenberg, München

C. Haupt E.- M. Backé U. Latza : Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt ; Gerechtigkeit und Belohnung, Forschung Projekt F 2353.
Link
Stand: 20.7. 2017

Position Statement on Asbestos from the Joint Policy Committee of the Societies of Epidemiology (JPC-SE) June 4, 2012.
Link
Stand: 19.12.2017

Ludborzs B: Gefährdungsbeurteilung zur arbeitsbedingten psychischen Belastung. Report Psychologie 42, 10, 2017, pp 386-90

Oreskes N ,Conway E: Merchants of Doubt, Bloomsbury Publishing, New York 2011

Riedel-Heller S G et al.: Psychische Gesundheit und Arbeit. Konzepte, Evidenz und Implikationen für Forschung und Praxis. Nervenarzt 84: 832- 37

Isabel Rothe, Lars Adolph, Beate Beermann, Martin Schütte, Armin Windel, Anne Grewer, Uwe Lenhardt, Jörg Michel, Birgit Thomson, Maren Formazin: Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt: Wissenschaftliche Standortbestimmung. Dortmund/Berlin/Dresden 2017, Forschungs-Projekt F 2353.

Skogstad M, Skorstad M, Lie A, Conradi H, Heir T, Weisaeth L: Work-related post-traumatic stress disorder. Occ Med 2013; 63: 175-182

Stephan Sandrock, Sascha Stowasser: Psychosoziale Arbeitsbelastungen und Erkrankungsrisiken: Wie kann von Befragungen auf Arbeitsbedingungen und deren Gestaltung geschlossen werden? In: Seiler, K.; Jansing, P.-J. (Hg): Erkrankungsrisiken durch arbeitsbedingte psychische Belastung. transfer 4. Landesinstitut für Arbeitsgestaltung des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2014, 178-193

Scharnhorst J: Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt. Eine wissenschaftliche Standortbestimmung. Report Psychologie 42, 10, 2017, pp 392-94

Siegrist J: Arbeitswelt und stressbedingte Erkrankungen. Urban & Fischer, München 2015, p 15

Union of concerned scientists 2017: The Disinformation Playbook:
Link
Stand: 19.12.2017

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